Im Juni berichtete ich über Mobilitätseinschränkungen für Rollstuhlfahrer*innen Sonntags und abends im Landkreis Lüneburg.
Zu diesen Zeiten fahren keine Busse, sondern ein „Anruf Sammel Mobil“ ASM, das Mobilität eher einschränkt als fördert, da der Dienst sich nur stündlich nach einem starren Fahrplan 30 Minuten im Voraus bestellen lässt. Die Fahrzeit verdoppelt sich regelmäßig, weil mehrere Fahrgäste zu unterschiedlichen Orten gefahren werden. Außerdem kostet der Dienst trotz Dauerkarte für den Nahverkehr ermäßigt noch 3,50 Euro.
Bis vor wenigen Wochen wurden Rollstuhlfahrer*innen nicht befördert. Das sei technisch nicht möglich hieß es. Also konnte ich Abendveranstaltungen in Hamburg häufig nicht besuchen. Radfahren kann ich bei Rheuma-Schüben nicht. Ich will aber auch bei einem Rheuma-Schub mobil bleiben!
Nach vier Monaten Kampf mit Beschwerden und Anträgen habe ich mich durchgesetzt! Das ein wichtiger Etappensieg: Rollstuhlfahrer*innen werden nun durch ASM befördert!
Ich berichte heute darüber, wie dieser Kampf gewonnen wurde. Vielleicht ermutigt es andere Betroffenen, Aktivist*innen ebenfalls zu kämpfen. Und ich habe gleich die nächste Beschwerde eingereicht. Es ist noch ein langer Weg, bis wir einen ÖPNV haben, der richtig diesen Namen verdient.
Beschwerde und Anträge
Ich berichtete im Juni über meine Erfahrung mit dem ÖPNV und ASM in Lüneburg. Ich schrieb eine erste Dienstaufsichtsbeschwerde (Bericht).
Ich stellte über FragdenStaat eine Anfrage um an die Verträge zwischen KVG (Verkehrsbetriebe in Lüneburg) ran zu kommen und zu sehen, was zu Barrierefreiheit darin steht, ob sich daraus ein Rechtsanspruch für die Beförderung von Rollifahrer*innen durch ASM ergibt.
Meine Anfrage wurde lange ignoriert. Juristisch konnte ich dagegen nicht vorgehen, da Niedersachsen anders als andere Bundesländer kein Informationsfreiheitsgesetz IFG hat. Darüber berichtet ZDF in der Sendung „Frontal21“ (ein Highlight ist meiner Meinung nach das Interview mit der Justizministerin Niedersachsen)
Ich nahm Kontakt mit diversen Vereinen und Interessengruppen auf. Der Behindertenbeirat zeigte Interesse. Doch nach einem ersten Gespräch passierte nicht besonders viel. Es schien Resignation zu herrschen. Es hieß, man sei schon seit Jahren dran aber der Landkreis stelle sich taub. Der VCD übernahm das Thema Barrierefreiheit in eine Stellungnahme an den Landkreis Lüneburg im Rahmen der Beratungen zum neuen Nahverkehrsplan, der ab Ende 2019 in Kraft tritt.
Ende August konfrontierte ich den Verkehrsausschuss persönlich mit der Problematik der Barrierefreiheit bei der Bürgerfragerunde zu Beginn einer Ausschusssitzung. Ich sprach sowohl die ASM-Problematik als auch die Tatsache, dass man als Rollifaher*in oft gar nicht in den Bus hinein kommt weil es zu wenig Platz gibt, an. Zu diesem Zeitpunkt hieß es noch lapidar, das Problem ASM sei bekannt, es gehe technisch jedoch nicht anders. (Bericht zur Verkehrsausschusssitzung)
Ein Kreistagsabgeordneter von DIE LINKE (C. Podstawa) nahm sich der Sache an und stellte einen Antrag. Wenn ASM keine Rollstuhlfahrer*innen mitnimmt, wenn diese wegen zu vollen Bussen abgewiesen werden, dann sollen sie Anspruch auf Erstattung der Kosten für ein privates Taxi haben und lediglich den ÖPNV-Fahrkartenpreis entrichten.
Etappensieg
Im Oktober war es dann so weit: 3 behindertengerechte Fahrzeuge wurden für ASM angeschafft. Also ist es nun doch „technisch möglich“.
Der Landkreis hat die Informationen jedoch nicht so wirklich verbreitet, so dass viele Betroffenen noch gar nicht Bescheid wissen. Selbst die Abgeordneten erfuhren erst in der Sitzung davon, zwei Wochen nach Anschaffung der neuen Fahrzeuge. Vergangene Woche traf ich zufällig einen Vertreter von VCD, der an der Stellungnahme und den Passus zur Barrierefreiheit seines Vereins an den Landkreis beteiligt war. Er wusste, dass Fahrzeuge angeschafft werden sollen, nicht aber, dass diese doch schon im Einsatz waren. So viel zur Informationspolitik vom Landkreis.
Noch kein Rechtsanspruch
Das ist ein wichtiger Sieg für Rollifahrer*innen. Doch ein Rechtsanspruch besteht nach wie vor nicht. Meine Anfrage über FragdenStaat wurde bis Oktober ignoriert. Ein Abgeordneter bemängelte dies in der Oktober Verkehrsausschusssitzung. Es wurde behauptet, die Verwaltung habe von einer solchen Anfrage keine Kenntnis (obwohl ich zahlreiche Erinnerungen an meine Anfrage verschickte). Doch es wirkte. Zwei Tage später erhielt ich eine Antwort auf meine Anfrage.
Ich bekomme die Verträge nicht. Weil diese 2004 zwischen der Hansestadt Lüneburg und KVG geschlossen wurden, der Landkreis habe diese nur übernommen, als die Zuständigkeit ihm übertragen wurde. Man könne keine fremden Verträge veröffentlichen. Eine etwas absurde Begründung, wie ich finde. Denn der Landkreis hat als Rechtsnachfolger die Zuständigkeit für diese Verträge übernommen. Aber ohne IFG kann ich nicht klagen. Und nur der politische Druck hat den Landkreis dazu bewogen meine Anfrage überhaupt zu beantworten. Der Landkreis teilte in seiner Antwort mit, Barrierefreiheit sei nicht Gegenstand der Verträge gewesen und es habe nun bei den Änderungen in Sache KVG formal keine neuen Verträge gegeben.
Daraus ist zu schließen, dass es zwar schön und gut ist, wenn es nun 3 behindertengerechte Fahrzeuge gibt, schöner wäre es wenn es für die Betroffenen noch dazu Rechtssicherheit gebe. Sie hätten bei Nicht-Beförderung eine Klagemöglichkeit. Es ist zu befürchten, dass auch in den ab Ende 2019 gültigen Verträge für den neuen Nahverkehrsplan dazu nichts stehen wird. Obwohl es die Verpflichtung zur Barrierefreiheit ja kein Landesrecht ist, sondern auf europäischen Ebene beschlossen wurde.
Aber gut, auf den Rechtsstaat sollte sich Mensch eh nicht groß verlassen. Selber in die Hand nehmen und politischer Druck ausüben wirkt besser.
Es gibt noch viel Verbesserungsbedarf
Ich habe gestern die nächste Beschwerde (pdf) eingereicht, dieses mal bei KVG.
Es geht mir zum einem um den Platzmangel für Rollis, Kinderwagen, Rollatoren in Bussen. Die Landkreisverwaltung und KVG waren in der Sitzung frech genug zu behaupten, das Problem gebe es nicht, es habe sich niemanden beschwert. Das ist eine Falschbehauptung. Denn ich sprach das Problem bereits in meiner Beschwerde vom Juni an den Landkreis an und dann persönlich bei der Sitzung von Ende August! Ich bezweifle, dass meine Beschwerde gründlich gelesen wurde. Ich bekam lediglich eine pauschale Antwort und auf das Problem mit den vollen Bussen ging der Landkreis mit keinem Wort ein. Jetzt bekommt auch KVG eine Beschwerde!
Ist der neue Verkehrsplan wirklich eine Verbesserung?
Das ist wichtig, weil der Landkreis den zum 1.12.19 in Kraft tretenden Fahrplan als Verbesserung feiert. Es gib in der Tat Verbesserungen: Busse sollen Sonntags ab Vormittag fahren, abends eine Stunde länger bis 21:40 Uhr unter der Woche. Dafür wird aber auf vielen Linien der Takt reduziert oder die Linie gekürzt (zb die 5011). Das ist leider auch bei den Linien, die ich nutze und jetzt schon nicht genug Platz für alle und insbesondere Kinderwagen, Rollatoren und Rollis bieten, der Fall.
Daran sieht man, dass die Entscheidungsträger*innen fern ab von der Realität leben und egoistische Autofahrer sind. Sie entscheiden über ÖPNV ohne diesen regelmäßig zu nutzen. Es wird immer mit der Kostenkeule gegen Verbesserungen argumentiert. Dadurch wird der Autoverkehr weiter bevorzugt, obwohl dieser durch CO2 Ausstoß und Feinstaub das Klima verpestet und auf langer Sicht der Gesellschaft mehr schadet und kostet!
Auch musste ich in meiner Beschwerde auf aktuelle Probleme mit ASM hinweisen. ASM (oder Rufbus wie es ab ende 2019 heißen wird, weil ASM einen schlechten Ruf hat) halte ich so oder so nicht für eine geeignete Lösung. Eine Stadt mit ca. 80 000 Einwohner*innen wie Lüneburg braucht ein echtes ÖPNV mit NachtBUSsen! Auf Ebene des Landkreises in ländlichen Regionen kann ASM/Rufbus eine Lösung sein – das Modell ist da aber auch sehr Verbesserungswürdig, es gibt Landkreise mit einem deutlich benutzerfreundlicheren System als das was im Landkreis Lüneburg angeboten wird!
Und in der Stadt?! Nö, das ist schlicht ungeeignet und schreckt die Leute ab: Zusatzkosten weil normale Fahrkarte nicht gilt, lange Wartezeiten, längere Fahrzeiten, Nervenkrieg am Telefon wenn die Nummer von ASM dauerbesetzt (ich hing schon mal bis 20 Minuten lang in der Warteschleife)
Und das funktioniert nicht mal richtig, aus diesem Grund kann ich erstmals kein ASM bestellen, weil es zu gefährlich ist und die sind außerdem derart schlecht koordiniert, dass sie Fahrgäste mal 30 Minuten im Regen stehen lassen. Im Rollstuhl kann man sich da kaum warm halten!
Aus meiner Beschwerde:
– Im Verkehrsausschuss wurde mi
tgeteilt, es gebe nun 3 Fahrzeuge und die Fahrer seien geschult worden. Dies entspricht nicht der Wirklichkeit. Ich bin zwei male ASM gefahren. Die Fahrer waren stets sehr freundlich. Sie waren aber nicht eingewiesen worden, kein Fahrer wusste wie das Gurtsystem funktioniert. Ich wurde mitgenommen, konnte mich aber nicht anschnallen. Beim ersten mal ist es einigermaßen gut gegangen, ich hatte genug Kraft mich festzuhalten und der fahre hatte einen sanften Fahrstil. Mein Rollstuhl hat sich nur ein wenig hin und her bewegt. Aber aus Verkehrssicherheitssicht geht es eigentlich so nicht klar. Bei einem Unfall wäre ich nicht gesichert gewesen. Beim zweiten mal war ich gesundheitlich angeschlagener, konnte mich nicht festhalten und der Fahrer hatte einen ruppigen Fahrstil. Ich bin im Fahrzeug sehr stark hin und her gerutscht, im Kreis gedreht, fühle mich unwohl und unsicher, insbesondere als der Fahrer über die Umgehungstrasse schnell gefahren ist. Er ist dort lang gefahren, denn eine andere Person wurde vor mir nach Bardowick gefahren. Ich verstehe nicht warum es nicht andersrum geschehen ist, denn wenn ich schon ohne Sicherheitsgurt fahren musste, wäre es ratsam gewesen, den kürzesten Weg für mich zu wählen!
Ich bitte darum die Schulung der Fahrer nachzuholen, damit diese wissen wie das Gurtsystem für Rollstühle funktioniert. Derzeit traue ich mir nicht ein weiteres Mal ASM zu fahren.– Eine weitere Kritik, die nicht nur Rollstuhlfahrer*innen betrifft, bezieht sich auf den Fahrplan.
Ich wollte am 30. Oktober vom Markt nach Kaltenmoor. Am Telefon wurde mir 22:15 Uhr gesagt. An der Haltestelle stand auch 15nach für ASM und ein weiterer Mensch, der nach Bardowick wollte, wurde ebenfalls 22:15 Uhr gesagt. Als der ASM nicht kam, überprüfte ich den Fahrplan im Internet, der gab 22:28 Uhr an. Da um diese Zeit auch kein ASM kam und es mir sehr kalt wurde – es gab keinen richtigen Wetterschutz, es regnete und im Rollstuhl ohne Bewegung sitzend ist es sehr kalt, rief ich bei ASM an um nachzufragen wo das Taxi geblieben ist. Ich konnte aber 20 Minuten lang niemanden erreichen. Die Leitung war dauerbesetzt. Um 22:45 kam schließlich ein ASM. Der Fahrer teilte mit, ihm sei 22:45 Uhr gesagt worden. Welcher Fahrplan stimmt denn jetzt?
Wie kann es sein, dass es für eine Fahrt 3 verschiedene Uhrzeiten gibt, nämlich die durch KVG-ASM telefonisch mitgeteilte und an der Haltestelle angegebene Zeit, die Uhrzeit in der Bahn-ap, und die Uhrzeit die dem Fahrer mitgeteilt wird? Wie kann es sein dass deshalb Fahrgäste im Regen stehen gelassen werden? Das muss sich ändern!
Wenn es sich nicht ändert, kann ich nach wie vor mit ASM nicht fahren, weil ich im Winter nicht das Risiko eingehen kann 30 Minuten ohne Kälte- und Regenschutz bewegungslos im Rollstuhl zu warten! Das ist das Gegenteil von Barrierefreiheit.
Der Weg zur Barrierefreiheit ist lang. Aber es lohnt sich zu kämpfen!