Redebeitrag von Cécile Lecomte, für Sortir du nucléraire, 895 Organisationen haben die Charta der Antiatom-Dachorganisation unterschrieben (Video und Text)
Lingen, 22.1.2022
Wir stehen heute hier im Niedersächsischen Lingen vor der Brennelmentefabrik von französischen Konzern Framatome. Vor hier aus werden zahlreiche zum Teil sehr marode Atomreaktoren in Frankreich mit Brennstoff beliefert.
Zeit, ein Augenmerk drauf zu lenken, welche Politik durch den Weiterbetrieb dieser Anlage unterstützt wird.
Die französische Atompolitik sorgt derzeit für Schlagzeilen.
Präsident Macron will Atomkraft zum Gegenstand der Präsidentschaftswahl 2022 machen. Er kündigte im Herbst 2021 den Bau von neuen Atomreaktoren. Zugleich wird seitens vom Netzbetreiber RTE und vom Stromversorger EDF vor einem möglichen Blackout in der Stromversorgung des Landes bei der nächsten Kältewelle gewarnt. Die Strompreise steigen und sind inzwischen höher als in Deutschland. Es wird suggeriert, der Bau von neuen Reaktoren könne sowohl das Versorgungs- als auch das Klimaproblem lösen.
Atomkraft wird als grüne Lösung zur Klimakrise präsentiert. Der aktuelle Betrieb der Atomkraftwerke und der (Neubau)EPR zeigt aber, dass dem nicht so ist.
Im Atomland Frankreich fallen aktuell ca. 20% der Atomkraftkapazität aus. Statt 60 Gigawatt produzieren die Atomkraftwerke nur noch zwischen 43 und 51 Gigawatt. 5 Reaktorblöcke sind derzeit wegen Rissbefunden an Schweißnähten in den Sicherheits-Einspeisesystemen vom Netz, die Liste könnte noch länger werden, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass es sich bei diesen Rissbefunden um ein generisches Problem handelt, von dem auch weitere Reaktoren betroffen sein könnten. Insgesamt 15 Reaktoren stehen aktuell aus diversen Gründen nicht zur Verfügung.
Der Bau des EPR in Flamanville, der seit 2007 läuft, ist ein Fiasko.
Der Bau hat bereits 11 Jahren Verzögerung. Der Reaktor soll nach aktuellem Stand der Dinge 2024 in Betrieb genommen werden – besser wäre, wenn er nie in Betrieb gehen würde, denn ein neuer Reaktor bedeutet weiterhin Atommüll und GAU Gefahr. Die Baukosten sind explodiert. Der Reaktor wurde für 3 Milliarden Euro versprochen. Der Französische Rechnungshof geht inzwischen von Kosten in Höhe von 19,1 Milliarden Euro aus.
Ein in Taishan (China) in Betrieb genommener EPR-Reaktor musste aufgrund eines Konzeptionsfehlers wieder vom Netz genommen werden. Vibrationen im Reaktordruckbehälter führten zur Beschädigung der Brennelemente und zum Austritt von Radioaktivität.
Dies führt bei Macron und der französischen Atomlobby allerdings nicht zu einem Umdenken. Im Gegenteil. Geplant ist der Bau von 6 neuen Reaktoren angekündigt, für voraussichtlich insgesamt 49 Milliarden Euro.
Weil der EPR mit allen den Problemen beim Bau in Verruf geraten ist, zauberte Macron zusätzlich sogenannte « Small Modular Reactors » (SMR) aus seinem Hut. Es handelt sich dabei um Atomkraftwerk mit geringer Leistung. Mit einsatzfähigen Reaktoren ist nicht vor 2035 zu rechnen, Macron will 1 Milliarden Euro in die Forschung investieren.
Eine hohe Anzahl an Reaktoren wäre zur Bereitstellung signifikanter Mengen elektrischer Leistung notwendig. Ihre Nutzung würde das Risiko atomarer Verseuchung um ein Vielfaches erhöhen. Mit dieser Art von Reaktoren steigt die Gefahr der Proliferation – also der Nutzung für militärische Zwecke wie der Herstellung von Kernwaffen.
Zahlen sollen für die teure ohne staatliche Zuschüsse nicht finanzierbare Atom-Sackgasse, die europäischen Steuerzahler über die Taxonomie. Mit etwas Greenwashing und der Einstufung der Atomkraft als Nachhaltig inklusive.
Diese Politik blockiert die notwendigen Investitionen in erneuerbaren Energien und Energieeffizienz. Allein die landesweit verbreitete Elektroheizung in schlecht gedämmten Wohnungen bei Kälte führt zu einem sehr hohen Stromverbrauch- und -Verschwendung.
Mehrere kürzlich veröffentlichte Studien (durch RTE oder das NegaWatt-Szenario)zeigen, dass eine Versorgung mit 100 % erneuerbaren Energien möglich ist, ohne Versorgungsunterbrechung und unter Einhaltung der Klimaziele.
Statt dessen wird die Atompolitik über Biegen und Brechen ohne demokratische Debatte durchgesetzt.
Zu dieser Politik passt auch, die staatliche Repression gegen Atomkraftgegner*innen in der Gegend von Bure in Lothringen. Die Atommüllfrage ist in Frankreich genauso wenig geklärt wie in Deutschland. Cigéo, das französische Atommüllklo-Projekt in Bure, soll aber trotz zahlreichen Bedenken bezüglich Sicherheit gebaut werden und Atommüll in 500 Meter Tiefe gelagert werden. Das Planfestellungsverfahren läuft noch. Im Rahmen dessen haben die offizielle Gutachter*innen ihr Bericht kurz vor Weihnachten vorgelegt und sich den zahlreichen Einwendungen zum Trotz für die Gemeinnützigkeitserklärung ausgesprochen. Paris wird nun voraussichtlich der Empfehlung folgen. Gegner*innen werden kriminalisiert und zu „Malfaiteurs“ , zu Mitgliedern einer kriminellen Vereinigung. Ein Gericht in Bar-Le-Duc verhängte im September 2021 hohe Strafen, darunter mehrmonatige Haftstrafen für Delikte, wie die Planung und Durchführung einer nicht angemeldeten Versammlung. Eine Berufungsverhandlung steht aus. Der Widerstand wird zugleich mit Polizeigewalt konfrontiert. Während Frankreich weiter Atommüll produziert, schaltet Deutschland seine AKW ab. Das ist zu begrüßen – auch wenn bei der Herstellung von Brennelementen wie hier in Lingen, auch Atommüll entsteht. Unser Motto ist und bleibt „les déchets nucléaires, arreter d’en produire et ne surtout pas enfouir“ (Atommüll, mit der Produktion aufhören, und erst recht nicht tief einlagern)
Aufgeben ist nicht drin. Auch wenn die französische Atomwalze mächtig ist, hält der Widerstand dagegen. Sortir du Nucléaire ruft dazu auf, die Neubauprojekte zu blockieren. Die heutige Demonstration ist daher wichtig. Die Schließung der Lingener Brennelementefabrik von Framatome würde dazu beitragen, den wahnsinnigen Neubauprojekten von Macron, Wind aus dem Segel zu nehmen. Kein Rückenwind für Macrons Atompläne! Sondern für die Erneuerbaren, für Windräder!
Quellen
https://www.sortirdunucleaire.org/Fissures-sur-des-tuyauteries-cruciales-pour-la
https://www.oeko.de/aktuelles/2021/studie-klaert-was-von-small-modular-reactors-smr-zu-erwarten-ist
https://www.heise.de/tp/features/Frankreich-immer-naeher-am-Blackout-6330119.html
https://www.graswurzel.net/gwr/ Ausgabe 464 und 465