Ich greife heute in meiner Kolumne „anders sein“ das Thema Mobilität und ÖPNV auf. Mir fallen, jetzt dass ich häufiger mit dem Rolli unterwegs bin, viele Dinge auf, die mir vorher nicht unbedingt bewusst waren. Ich weiß dass man sich nicht hinein versetzen kann. Ich ziele mit meinen Berichten auf Aufklärung über die Situation von Menschen mit Handicap. Aus subjektiver Betroffenenperspektive, versteht sich.
Am 24. Juni fuhr ich zur „Mobilitätsmesse“ nach Hamburg. Diese findet ein mal im Jahr statt. Schwerbehinderte erhalten ermäßigtem Eintritt – sofern sie die Messe erreichen. Ich habe mich dort nach diversen Hilfsmitteln, die mir trotz körperlicher Einschränkung zu einer besseren Mobilität im Alltag verhelfen könnten, erkundigt. Ob es Orthesen gibt, die mir ermöglichen würden, mehr zu laufen? Welches Zubehör gibt es für Rollstühle, welche gibt es auf Krankenkassenkosten, welche nicht? Da meine Krankheit fortschreitet, ich mir aber weder Sport (Klettern!) noch Mobilität nehmen lassen will, stellen sich mir viele Fragen.
Ich wurde aber an jenem Tag eines besseren belehrt. Um besagte Mobilitätsmesse zu erreichen, benötigte ich von Lüneburg nach Hamburg über 3 Stunden und der „Spaß“ schenkte mir einen heftigen Rheumaschub, der erst jetzt langsam zu Ende geht.
Anruf Sammel Mobil: Rollstuhlfahrer*innen ausgesperrt
Da Taxen und Mietwagen als ASM eingesetzt werden, ist systembedingt eine Barrierefreiheit nicht möglich ( aus dem Flyer als pdf, zuletzt aufgerufen am 20.7.18) )
Ich lese zwischen den Zeilen: Barrierefreiheit, Nicht-Diskriminierung mobilitätseingeschränkter Menschen geht uns am Arsch vorbei, hat keine Priorität, siehst du selbst wie du teilhaben kannst.
Ich reiche umgehend eine Dienstaufsichtsbeschwerde beim Landkreis ein. Schließlich gibt es ja ein Personenbeförderungsesetz, das besagt, dass der ÖPNV bis 2022 barrierefrei zu sein hat (Umsetzung einer EU-Regelung) und Verzögerungen zu begründen sind, etwa mit einem erheblichen baulichen Aufwand. Davon kann bei einem Taxiunternehmen, das als Dienstleister im öffentlichen Auftrag fährt, wohl nicht die Rede sein.(Beschwerde als pdf).
[…] Der Nahverkehrsplan hat die Belange der in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Menschen mit dem Ziel zu berücksichtigen, für die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs bis zum 1. Januar 2022 eine vollständige Barrierefreiheit zu erreichen. Die in Satz 3 genannte Frist gilt nicht, sofern in dem Nahverkehrsplan Ausnahmen konkret benannt und begründet werden. Im Nahverkehrsplan werden Aussagen über zeitliche Vorgaben und erforderliche Maßnahmen getroffen. […]
Es ist leider richtig, dass das ASM derzeit nicht barrierefrei ist. Unser Dienstleister verfügt nicht über die notwendige Anzahl von Fahrer*innen und Fahrzeugen, die erforderlich wären einen barrierefreien Transport zu garantieren. Es müssten dazu erhebliche Vorhaltezeiten in Kauf genommen werden. Dies wäre nur zu verhindern, wenn entweder die Anmeldefristen deutlich verlängert werden oder alle Fahrzeuge barrierefrei und alle Fahrer*innen geschult wären. Dies ist aus logistischen Gründen zur Zeit nicht möglich, da wir uns eines Taxiunternehmens bedienen.
Kein Wort zu der Tatsache, dass andere Landkreise – die sich auch eines Taxi-Unternehmens bedienen – Rollstuhlfahrer*innen selbstverständlich befördern oder Lösungen für ihren Fall, wie ein monatliches Budget für normale Taxi-Kosten wenn der ÖPNV für sie nicht erreichbar ist, anbieten. Ich bin inzwischen in Kontakt mit dem Lüneburger Behindertenbeirat und einem Kreisabgeordneten. Die Angelegenheit werde ich nicht auf mich sitzen lassen, zumal ab 2019 neue Verträge mit den Dienstleistern für ÖPNV in Lüneburg geschlossen werden. Barrierefreiheit soll bitteschön ausgeschrieben und Interessenvertretung behinderter Menschen miteinbezogen werden! Das ist bislang nicht passiert, der Behindertenbeirat von Lüneburg wurde nicht mal um Stellungnahme gebeten (wird aber nun trotzdem mitmischen und sich melden!). Es geht um politischen Willen, Es ist nicht « leider » nicht möglich!
[…]Bei der Aufstellung des Nahverkehrsplans sind die vorhandenen Unternehmer frühzeitig zu beteiligen; soweit vorhanden sind Behindertenbeauftragte oder Behindertenbeiräte, Verbände der in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Fahrgäste und Fahrgastverbände anzuhören. Ihre Interessen sind angemessen und diskriminierungsfrei zu berücksichtigen. .[…]
Bahn: Kaputte Aufzüge, kein Gleiswechsel und « Upps wir haben Sie vergessen »
Die Schaffner sind sichtlich gestresst. Sie erläutern uns, dass wir nicht bis zum Hamburger Hauptbahnhof fahren dürfen, weil der Aufzug Gleis 13 nicht funktioniert und die Bahn einen Gleiswechsel abgelehnt hat. Wir müssen in Hamburg Harburg aussteigen und uns durch die viel zu steile Unterführung bis zur S-Bahn durchschlagen. Der S-Bahnfahrer lehnt aber viele von uns ab, denn es dürfen angeblich nur zwei Rollifahrer*innen pro S-Bahn mitfahren. Beim Umstieg am Hauptbahnhof ist in der zweiten S-Bahn dagegen nicht mehr die Rede davon. Wir fahren zu viert mit. Der Fahrer fragt uns, wo wir aussteigen wollen, weil die Lücke zum Bahnsteig beim Ein- und Aussteigen mit einer Metallplatte überbrückt werden muss. Er vergisst dann aber den Halt „Sternschanze“ („Entschuldigung, das ist eine Ausbildungsfahrt, wir waren in Gesprächen vertieft und haben Sie vergessen) und wir müssen eine Station weiter aussteigen und zurück fahren. Irgendwann kommen wir an. Endlich. Und wir können uns über „Mobilität“ informieren, es ist kurz vor 14 Uhr. Ich hetze durch die Messe, weil ich 2 Stunden später wieder am Bahnhof sein will und wer weiß wie gut ich dorthin komme.
Ich habe inzwischen geübt, über die Lücke zwischen S-Bahn und Bahnsteig mit meinem Rolli zu „springen“, das geht weil es keinen Höhenunterschied gibt. Weitsprung nenne ich das. Ich
Rückfahrt mit Hindernissen
hren wird, das müssen entweder der/die Schaffner*in oder der/die Lockführer*in mit einem speziellen Schlüssel machen – es ist leider nicht wie zb. im Rhein Main Verkehrsverbund wo viele Regio-Züge eine Platte haben, die am Bahnhof beim Anhalten des Zuges automatisch raus fährt. Manchmal muss der Lockführer dafür von ganz Vorne nach Hinten zum Behindertenwagen joggen, wenn kein Schaffner da ist. Mein Zug verspätete sich um 5 Minuten. Kein Weltuntergang… es sei dem es ist Sonntag und Mensch wohnt in Lüneburg. Spricht der ÖPNV ist Sonntags miserabel. Es fahren nachmittags Busse, aber die fahren nur stündlich. Sie sind angeblich auf die Zeiten der Regionalbahn aus und nach Hamburg abgestimmt – warten bei Verspätung jedoch nicht. Der Schaffner im Zug versuchte das Busunternehmen zu erreichen, um darum zu bieten, dass der Bus auf mich wartet. Es ging aber keineR ran. Ich habe meinen Bus noch gesehen. Aber nicht bekommen.
Die Quittung: ein heftiger schmerzhafter Rheumaschub
Da ich keine Lust habe, eine ganze Stunde auf den nächsten Bus zu warten, rolle ich nach Hause. Eine fatale Entscheidung, wie es sich am Tag später herausstellt. Ich habe meine Gelenke damit überlastet. Übung ist gut, Überlastung nicht. Die Entzündung in den Gelenken ist hoch gegangen. Die Storry hat mir einen Schub einer noch nie erreichten Intensität beschert. Ich war 3 Wochen lang kaum in der Lage mich fortzubewegen, konnte keinen Schritt machen, musste den ganzen Tag im Rolli verbringen, schlief Nachts nicht, litt unter Panikattacken, weil die Schmerzen nicht in den Griff zu bekommen waren und ich verzweifelt war. Ich fand keinen Umgang mit den unerträglichen Schmerzen, heulte Nachts stundenlang. Der Schub ist inzwischen vorbei, hat aber in Körper und Seele deutliche Spuren hinterlassen. Ob der Schub nicht so oder so gekommen wäre, kann ich nicht sagen. Aber gut war die Überlastung sicher nicht.
Kolumne: anders sein
Ich leide seit 2004 an chronische rheumatoide Arthritis (Autoimmunkrankheit, schmerzhafte chronische Gelenkentzündung). Der Verlauf meiner Erkrankung gilt als schwer beeinflussbar. Auf dem Papier habe ich einen Grad der Behinderung von 80 mit Merkzeichen G und B. Aber was heißt „Behinderung“ im Alltag? Das ist nicht auf eine Plastikkarte mit der Aufschrift „Schwerbehindertenausweis“ zu reduzieren! „
Ich berichte in dieser Kolumne „anders sein“ über den Kampf um eine adäquate Schmerzbehandlung, über meine Erfahrungen als Schwerbehinderte und den Umgang der Gesellschaft damit. Manche Texte richten sich an „gesunde“ Menschen, es geht um Vermittlung, weil „gesunde“ Menschen sich in den Alltag chronisch kranker Menschen nicht hineinversetzen können. Andere Texte, können anderen Betroffenen Ideen für ihren eigenen Kampf gegen die Krankheit und die Mühlen des bürokratischen Gesundheitssystems nützlich sein.