Mein Prozess um eine durch (ableistische) Polizeigewalt unterbundene Protestaktion gegen RWE im Jahr 2017 ist am Donnerstag vor dem Amtsgericht Essen vorerst geplatzt. Neuer Verhandlungstermin wird schriftlich bekannt gegeben (ich veröffentliche den Termin dann).
Der Gegenstand der Anklage blieb im Hintergrund, es kam nicht einmal zur Verlesung dieser. Es gab stattdessen einen heftigen Schlagabtausch zwischen Publikum, Verteidigung und Richterin. Es ging um den Öffentlichkeitsgrundsatz, um die unzulässige Einflussnahme der Richterin auf die Zusammensetzung des Publikums, die Räumung von Zuschauer*innen aus dem Saal, sowie um die unsachgerechte Zurückweisung eines vor der Hauptverhandlung gestellten Befangenheitsantrags (die Richterin hat im Grunde genommen selbst über die eigene Befangenheit entschieden) und die Missachtung der Rechte einer Angeklagten mit Behinderung.
Ableismus prägte die Verhandlung durchgehend. Ich berichte darüber, denn Ableismus in der Justiz gehört genauso wie anderswo bekämpft!
Streit um Grundrechte einer Angeklagten mit Behinderung vor der Hauptverhandlung
Ich hatte noch vor dem Hauptverhandlungstermin einen ausführlich begründeten 9-seitigen Befangenheitsantrag schriftlich eingereicht. Gegenstand von diesem Antrag war das Verhalten der vorsitzenden Richterin im Vorverfahren, das an ihre Unvoreingenommenheit zweifeln ließ, nämlich:
- Diskriminierung und Ableismus. Meine Verhandlungsfähigkeit ist auf Grund meiner chronischen Grunderkrankung insbesondere wenn ich zuvor dem Stress einer mehrstündigen Anreise ausgesetzt bin, eingeschränkt. Ärztlicherseits wird daher eine Verlegung der Hauptverhandlung nach Lüneburg empfohlen und wenn eine Anreise sich nicht vermeiden lässt, soll diese nicht am gleichen Tag wie die Hauptverhandlung statt finden und sowohl bei Anreise als auch bei der Unterkunft Barrierefreiheit gewährleistet werden. Ich wollte deshalb am Vortag anreisen, um meine Gesundheit nicht zu gefährden. Da ich Anspruch auf Zusendung einer Fahrkarte durch das Gericht hatte, stellte ich meine Anträge, erläuterte wie das Buchen einer Fahrkarte mit Rollstuhl- und Ein- Ausstiegshilfe funktioniert beim Mobilitätservice der Bahn und reichte Belege zu meiner Schwerbehinderung ein. Die Übernachtung wurde bewilligt – also der Anspruch auf Anreise am Vortag anerkannt, aber es wurde mir die falsche Fahrkarte zugeschickt, für den falschen Tag und mit Platzreservierung mitten im Wagen, wo ich mit Rollstuhl sicher nicht hingekommen wäre. Eine neue Fahrkarte konnte nicht zugeschickt werden, weil die Postlaufzeit nicht mehr ausreichte und man ist beim Amtsgericht Essen offensichtlich nicht in der Lage Online-Tickets oder Bahn-Tix mit Abholung am Automaten zu organisieren. Die Richterin lehnte dabei eine Aufhebung des Termins, die den Zweck gehabt hätte, meine Anreise zum neuen Termin entsprechend meiner gesundheitlichen Einschränkungen zu gewährleisten ab. Sie war nicht in der Lage, ihren Fehler einzugestehen und entsprechend umzuplanen. Die daraus resultierende Gefährdung meiner Gesundheit war Gegenstand des Antrages. Und dass die Richterin meine Anträge nicht liest. Denn ich bekam eine Fahrkarte nicht nur für mich für den falschen Tag ausgestellt, sondern auch für meine Assistenz. Ich hatte das Gericht darauf hingewiesen, dass ich nur die kostenlose Platzreservierung benötige, da meine Assistenz aufgrund des B im Schwerbehindertenausweis kostenlos mitfährt und das hatte ihr mein Anwalt am Telefon nochmal erklärt… Merkwürdig, dass man einer Richterin das Schwerbehindertenrecht erklären muss.
- 5 Jahre lange Verschleppung meines Antrages auf Pflichtverteidigung, so dass meine Verteidigungssituation erst kurz vorm Termin überhaupt klar wurde. Die Richterin lehnte im März 2022 meinen bereits 2017 gestellten Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers ohne Begründung ab. Ich musste Beschwerde beim Landgericht einreichen. Es wurde mir schließlich meiner Argumentation entsprechend, ein Pflichtverteidiger beigeordnet, weil die Sach- und Rechtslage schwierig ist. Das bedeutet auch, dass die Richterin den Strafbefehl leichtsinnig, wenn nicht gesetzeswidrig unterschrieben hat, denn das Strafbefehlsverfahren ist eigentlich für Verfahren mit einfacher Rechts- und Sachlage vorgesehen.
- Ich warf der Richterin schließlich vor, über meinen Antrag auf Aussetzung des Strafverfahrens bis meine Klagen gegen die Polizei verhandelt sind, nie beschieden zu haben. Obwohl das Landgericht inzwischen bestätigte, dass der Widerstand der mir vorgeworfen wird, sollte dieser überhaupt geschehen sein, nur strafbar ist, wenn die Amtshandlung der Polizei wogegen dieser sich richtete, rechtmäßig war. Und daran gibt es erhebliche Zweifel, darum meine Verwaltungs-Klagen gegen das Polizeiproblem, das unsere Demo gegen RWE damals ohne Vorwarnung durch Anwendung von (ableistischer) Gewalt auseinander nahm, sämtliche Teilnehmer*innen wurden festgenommen.
Verletzter Öffentlichkeitsgrundsatz
Dass es nicht einmal zur Anklageverlesung kommen würde, damit hatte ich nicht gerechnet. Schließlich wurde die Strafprozessordnung so geändert, dass eine Aufschiebung der Entscheidung über einen Befangenheitsantrag lange möglich ist. Die Richterin lieferte aber selbst die Gründe, weshalb wir überhaupt nicht zur Verhandlung des Vorwurfes gegen mich kamen.
Sie hatte einen viel zu kleinen Saal gewählt, mit einer einzigen Reihe Stühlen für das Publikum. Sie hätte beim sorgfältig lesen der Akte ahnen können, dass aufgrund des politischen Hintergrundes des Verfahrens Publikum kommen würde. Dass eine Richterin sich da verschätzt, geschenkt.
Was in diesem Zusammenhang jedoch passierte, überraschte mich selbst. Es durften aufgrund von Corona-Abständen nur 8 Plätze belegt werden. 3 davon hatte die Richterin allerdings für ihre Praktikantinnen (Studenten, angehende Journalisten) reserviert. Zuschauer*innen wurden mit Zwang aus dem Saal getragen, damit die Student*innen Platz nehmen können. Ich habe nichts gegen die Student*innen als Personen. Aber was die Richterin da machte, war eine unzulässige Einflussnahme auf die Zusammensetzung der Öffentlichkeit und wurde durch meinen Anwalt entsprechend beanstandet.
Unsachgerechte Behandlung eines Befangenheitsantrages, neuer Befangenheitsantrag
Die Richterin fuhr mit ihrer fragwürdigen Auslegung der StPO fort. Nach der Feststellung der Personalien fragte mein Anwalt, ob der vor der Hauptverhandlung gestellter Befangenheitsantrag zur Kenntnis genommen worden sei und wie damit verfahren werde.
Die Richterin verkündete daraufhin einen Beschluss, der mich und meinen Anwalt zunächst sprachlos zurück lies.
Sie entschied selbst und mit inhaltlicher Wertung über den Befangenheitsantrag, statt diesen einer*em anderen Kollegin*en vorzulegen. Sie erklärte den Antrag für unzulässig. Er diene ausschließlich der Prozessverschleppung. Gewagte Auslegung, bei einem bereits um Jahre durch die Justiz selbst verzögertes Verfahren, bei einem noch vor Beginn der Hauptverhandlung gestellten Antrag, beim allerersten Antrag dieser Art.
Im Antrag gehe es lediglich um ihre Entscheidung, am Verhandlungstermin festzuhalten. Da fragt man sich ob der Antrag überhaupt gelesen wurde…
Dies war jedenfalls Grund genug für eine Pause zum Formulieren eines neuen Befangenheitsantrages wegen der unsachgerechten Behandlung des ersten Befangenheitsantrages und Verstoßes gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz an dem die Richterin festhielt.
Während der 15min Pause wurde eine andere Sache verhandelt (Owi), die Richterin bat die Zuschauerinnen den Saal zu verlassen, obwohl die Verhandlung öffentlich war. Die Zuschauerinnen blieben. Währenddessen formulierte mein Anwalt RA Mertens den Befangenheitsantrag, dieser war sehr schön formuliert.
Ableismus vom Feinsten
Im neuen Befangenheitsantrag wurde die Diskriminierung aufgrund meiner Behinderung, der Ableismus thematisiert:
Die Begründung mit der der erste Befangenheitsantrag abgelehnt wurde, hatte es nämlich in sich:
das Gericht hat der Angeklagten im Vorfeld des Hauptverhandlungstermins verschiedene Anreisemöglichkeiten angeboten. Der heutige Hauptverhandlungstermin zeigt, dass die Angeklagte in der Lage war selbstständig anzureisen.
Richterin
Mein Anwalt trug vor, mein erster Befangenheitsantrag sei unrechtmäßig als unzulässig zurückgewiesen worden. Ich hatte in meinem Befangenheitsantrag nicht auf die Unzulässigkeit der Terminverlegung abgestellt, sondern darauf dass der Termin um jeden Preis auf Kosten meiner Gesundheit stattfinde, obwohl ich dem Gericht dezidierte Handlungsrichtlinien an die Hand gegeben hatte, um eine barrierefreie behindertengerechte Termingestaltung zu ermöglichen.
Er erklärte, ich habe versucht meine Teilnahme zu ermöglichen. Ich wollte allerdings nicht unter den Voraussetzungen anreisen, die nur durch valide Menschen (ohne Behinderung) erfüllt werden können. (fand ich gut formuliert!)
Die willkürliche Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes wurde außerdem ebenfalls im Antrag angeprangert.
Ich habe mündlich ergänzt, denn die Begründung der Richterin war zutiefst ableistisch und gegen die Menschenwürde.
« Ja mein Körper kann von A nach B kommen. Aber unter welchen Bedigungen, unter Inkaufnahme von welchen Schmerzen, die ich dann habe? ich musste heute um 5 Uhr aufstehen um in den Zug zu steigen. Ich hatte wegen der Morgensteifigkeit starke Schmerzen, die Reise war für mich Gift und Stress. Das ist Ableismus wenn man die Rechte und Menschenwürde von Menschen mit Behinderung nicht berücksichtigt. Ableistisch sind auch die Barrieren der Bahn, ich Kann nichts dafür, wenn die Anreise stressig ist, weil die Bahn nicht barrierefrei ist und Stufen hat. Ich habe ärtzliche Atteste eingereicht, die besagen, dass der Stress einer Reise und die Verhandlung am selben Tag gesundheitsschädlich sind. »
Angeklagte
Spielchen, oder Ausdruck der Missachtung
Es entwickelte sich ein Austausch, der noch tiefer gehende Missachtung zu Tage förderte, mein Anliegen mit der behindertengerechen barrierefreien Anreise betitelte sie als « Spielchen ». Vor diesem Hintergrund sehe ich erst Recht eine Verhandlung mit ihr als problematisch an, denn es geht in der Hauptsache um Polizeimaßnahmen ableistischer Natur (gehbehinderte Person dazu mit Gewalt und Schmerzreize dazu zwingen aufzustehen, stehen zu bleiben, mitzulaufen, siehe Prozessankündigung).
» Sie sind die Angeklagte und das ist Ihre eigene Pflicht vor Gericht zu erscheinen. Und die ganzen Bemühungen im Vorfeld mit der Fahrkarte, sogar dass ich vorgeschlagen habe, Sie mit der Polizei anreisen zu lassen. Das war alles Entgegenkommen. Andere Richterkollegen hätten gesagt, kommen Sie her wie es irgendwie geht das ist nicht mein Problem.
Ich bin nicht mehr bereit auf diese Spielchen einzugehen. »
Richterin
Ich bin nicht bereit mit erheblichen Schmerzen zu verhandeln. Das sind keine Spielchen
Angeklagte
Frau Vorsitzende Ihre Äußerungen sind am Rande dessen was in einem deutschen Gerichtssaal zuträglich ist. (…) Nein in einem deutschen Gerichtssaal wird so nicht über Behinderte gesprochen.
Rechtsanwalt
Ich habe kein Wort über Behinderte gesagt
Richterin
Natürlich haben Sie das nicht, weil Sie das implizit tun.
Rechtsanwalt
Ich hatte in schriftlichen Stellungnahmen erklärt, weshalb die « angebotenen Alternativen » nichts taugten, weil nicht behindertengerecht. Aber Krüppel muss danke sagen, auch wenn das « Angebot » überhaupt nicht passt und gesundheitsgefährdend ist.
Die Richterin hatte u.a vorgeschlagen, mich « behindertengerecht » von Lüneburg nach Essen durch die Polizei bringen zu lassen. Ich hatte abgelehnt, denn aktenkundig ist, dass ich im Zuge der durch die Polizei auseinander genommenen Versammlung, verletzt wurde und wegen Polizeigewalt traumatisiert bin. Schlau, eine durch Polizeigewalt traumatisierte Person, durch die Polizei zum Gericht bringen lassen zu wollen, gell?
Kleiner Exkurs: Mit Ableismus haben alle Menschen mit Behinderung zu kämpfen, eine Zuschauerin mit Behinderung hat mir berichtet, wie die Verhandlung für sie war.
Die Zuschauerin hatte sich während der zwischengeschobenen Owi-Verhandlung diskret in einer Ecke auf einer mini- Matratze hingelegt, weil sie aufgrund einer Behinderung viel liegen muss.
„Die Richterin erklärte sinngemäß und abfällig „oh ja einige im Raum schlafen ja schon“. Ich erklärte ihr weshalb ich im Liegen zuhöre. Darauf erwiderte sie sinngemäß: „Ich kann ja verstehen dass sie nicht lange sitzen können aber, dass sie liegen müssen kann ja echt nicht sein und merken sie nicht dass sie dem ganzen Prozess damit schaden?“ Ich habe ihr gesagt, dass sie mich nicht ableistisch beleidigen soll und sie scheinbar wenig verstanden hat, weil es ja genau darum geht, dass sie die Grenzen von Behinderten nicht akzeptiert. Und sie das bei dir ja auch nicht getan hat und das ich auch als chronisch kranke Person ein Recht habe, den Prozess beizuwohnen.“
Zuschauerin mit Behinderung
Die Anwesenheit von Zuschauer*innen mit Behinderung ist bei der Justiz nicht vorgesehen.
Nötigung?
Es ging noch weiter mit Ableismus und… ja, mir kam es schon so vor, als wolle die Richterin mich dazu nötigen, meinen Antrag zurück zu nehmen und auf meine prozessuale Rechte zu verzichten… und mein Gesundheitszustand dafür her halten soll.
Ich möchte Ihnen was sagen. Ich möchte sehr gerne auf die Bedürfnisse einer behinderten Angeklagten eingehen und mache folgenden Vorschlag. Es gibt zwei möglichkeiten, wie wir mit dieser Sache jetzt weiter verfahren. Wenn Sie diesen Befangenheitsantrag aufrecht erhalten, werde ich die Hauptverhandlung für heute schließen und es wird ein Fortsetzungstermin anberaumt, was natürlich für die Angeklagte wieder bedeutet, dass sie sich wieder den Stress aussetzen muss, anzureisen.
Dafür können Sie sich entscheiden. Sie können aber auch wenn Sie den Antrag zurück nehmen, wir haben nur einen Zeugen, das kann ganz schnell gehen. Wir können den Zeugen hören, dann können wir das heute ganz schnell beenden und Sie müssen nicht nochmal anreisen. Sie können jetzt gerne beraten was Sie machen.
Richterin
Mein Gesundheitszustand ist nicht gut. Dieses Verfahren wurde 5 Jahre lang verschleppt aus diversen Gründen, vor 5 Jahren wäre es anders gewesen. Ich habe eine fortschreitende Erkrankung, das ist nun mal womit hier alle umgehen können müssen. Und es bedeutet aber nicht, dass ich deshalb weniger prozessuale Rechte habe und man einen schnellen Prozess machen muss. Wenn es schnell geht, wenn es prozessual sich so ergibt, ist es in Ordnung, aber wenn ich meine Anträge für notwendig halte oder eben mein Anwalt und diese meiner Verteidigung dienen, möchte ich nicht diese nicht stellen können, nur weil die Sitzung schnell beendet werden soll, damit meine Gesundheit nicht gefährdet wird. Ich will nicht, dass meine Gesundheit her hält um einen kurzen Prozess zu machen, wenn inhaltlich noch Sachen zu sagen sind. Der Befangenheitsantrag wird aufrecht erhalten.
Angeklagte
Solidarität
Mal sehen wann der Prozess weiter geht…
Ich habe mich sehr über die Soli-Mahnwache gegen Ableismus in Polizei und Justiz gefreut, es waren ca. 20 Menschen da. Und weil #GerichteSindZumEssenDa haben wir im Anschluss auf der Wiese vor dem Gerichtsgebäude gepicknickt.
Und nun, nach 2 Tagen Erholung kam ich endlich dazu diesen Bericht zu schreiben. Die Rückreise verlief leider nicht ohne Stress… weil mein Zug ausfiel und die Bahn kein Personal für Ausstiegshilfe (Hubliftbedienung) für die alternative Verbindung hatte. Ja deshalb ist Anreise am gleichen Tag wie Verhandlung in meinem Fall gesundheitsschädigend, zu viel Stress auf einmal, langes Sitzen führt zu großen Schmerzen in der HWS. Deshalb brauche ich Begleitung bei den Reisen. Zu viele Barrieren in der Gesellschaft.