Rollstuhl-Prozess: lange Zeugenbefragung und Gericht ohne Menschenwürde

Prozesserklärung, Zeugenvernehmung, Meschenwürde vor Gericht antastbar, unerwarteres vorläufiges Ende, Rückfahrt im Liegen, Fazit, Widerstand geht weiter, Presseberichte

Rückfahrt mit der Bahn
Rückfahrt mit der Bahn

Teil III

Die Anklage wurde verlesen und ich wurde gefragt ob ich zur Sache aussage. Ich habe dies verneint und erklärt, eine Prozesserklärung zu den Umständen abzugeben. Das recht diese Erklärung musste ich erkämpfen, der Richter wollte gleich zur Zeugenbefragung übergehen. Rechtliches Gehör ist nicht die Stärke des Gerichtes!

Prozesserklärung

Ich möchte eine Erklärung zu diesem Prozess abgeben. Es ist eine Erklärung zu den Umständen dieses Prozesses, die in diesem Verfahren ihren Platz hat, weil – man kann versuchen dran zu glauben – es sowas wie das Recht auf rechtliches Gehör, den Anspruch auf ein faires Verfahren und §46 StGB zu Tatumständen gibt.Ich beziehe mich auf die Aktenlage und den Anklagetext aus dem Strafbefehl. […]

Dass ein Strafbefehl unterschrieben wurde, sehe ich als problematische Vorverurteilung an. Ein Strafbefehl wird unterschrieben, wenn nach Aktenlage der Richter von der Schuld überzeugt ist. Alternativ kann er seine Unterschrift verweigern und das Hauptverfahren eröffnen. Dies wäre hier die richtige Vorgehensweise gewesen, denn die Tatsache, dass wegen der schwierigen Rechtslage ein Pflichtverteidiger beigeordnet wurde zeigt ja auch, dass der Fall gar nicht so klar ist. Es ist nicht davon auszugehen, dass ich mir ein neutraler Richter gegenüber steht. Der Richter wird dazu neigen, sein bisheriges Verhalten zu rechtfertigen, also an der Schuld der Angeklagten festzuhalten und die Verhandlung in diese Richtung zu führen. Zb indem er Anträge die die Rechtmäßigkeit des Polizeieinsatzes als bedeutungslos abwimmelt.

Dem Vorsitzenden dürfte der Perseverenzeffekt bekannt sein. Ich beziehe mich hier auf Prof. Dr. Schünemann, in „Der Richter im Strafverfahren als manipulierter Dritter? Zur empirischen Bestätigung von Perseveranz- und Schulterschlusseffekt, StV 2000, 159 ff und Hans Georg Soeffner in Auslegungen des Alltags – Der Alltag der Auslegung, 2004, S. 245.

[…]Durch den polizeilichen Schlussbericht kann somit eine vorläufige Festlegung des Richters erfolgen, die zu einer selektiven Informationsaufnahme führen kann.

Aus Untersuchungen der Erkenntnispsychologie ist bekannt, dass häufig nur das Erwartete wahrgenommen wird.

Es ist zu befürchten, dass dieser Perseverenzeffekt durch den Ablauf der Verhandlungen gegen Frau N. und K. verstärkt wurde.

Richter Hofmeier war dort im Publikum anwesend. Nach eigenem bekunden war er als Pressesprecher anwesend. Erstaunlich ist aber, dass ein Pressesprecher diese Rolle in einem Verfahren spielt, indem er als gesetzlicher Richter indirekt persönlich involviert ist. Denn in der Anklage, soweit ich diese verstehe, soll Widerstand geleistet worden sein und zwar gegen eine Amtshandlung, die sich gegen Frau N. richtete. Woran dann die Widerstandshandlung bestanden haben soll verstehe ich nach wie vor nicht. Erstaunlich ist auch, dass dieser Pressesprecher sich dann inhaltlich in die Verhandlung einmischte, wie Herr Hofmeier dies tat.

Herr Hofmeier hat sich verbal und non-verbal in die Verhandlung vom Kollegen Ludes eingemischt. Er hat bei der Umformulierung eines Antrages der Angeklagten K. im Verfahren bei Herrn Ludes laut mit ins Protokoll diktiert. Dabei wurde der Antrag der Angeklagten verfremdet. Sie wollte, dass Polizeibeamt*innen in Zivil im Publikum des Saale verwiesen werden. Dr. ludes verstand den Antrag zunächst nicht. Der Antrag wurde ins Protokoll aufgenommen und insofern mit „Hilfe“ von Herrn Hofmeiner umformuliert, dass nur beantragt wurde, dass die Zeugen den Saal verlassen. Somit half Herr Hofmeier dem Kollegen einen Rechtsfehler zu verhindern, denn Herr Dr. Ludes hatte vergessen die geladenen Zeugen aus dem Saal zu bieten. Das ist aber nicht die Rolle eines im Publikum sitzenden Pressesprechers!

A propos: welche Funktion haben Sie heute, Herr Hofmeier? Wo ist der Pressesprecher? Wo ist der Richter? […]

Auszug aus der Erklärung

Zum Vorwurf habe ich sodann ähnlich, auch wenn in gekürzter Form, wie beim ersten Prozessanlauf im Gerbst vorgetragen.

Zeugenvernehmung

Ich hatte zu diesem Zeitpunkt bereits mit starken Schmerzen zu kämpfen, aber das von mir 2 Tage vor der Verhandlung beantragte Feldbett im Gerichtssaal war nicht da, der Richter hatte den Antrag ignoriert und sagte nur auf Nachfrage, es gebe keins. Ich lies mich auf Grund der fortgeschrittenen Zeit auf die Vernehmung des Einsatzleiters G. ein – ohne Pause einzufordern.

Das war möglicherweise ein Fehler, aber wer weiß, ich ich hätte sicher unnötig um diese Pause kämpfen müssen, weil man mir ja irgendwie nicht glauben will, dass ich Schmerzen habe. Und ich ahnte nicht, wie lange die Zeugenvernehmung andauern würde. Nach eigener Aussage, ist das die Stärke meines Anwaltes. Das hat sich bestätigt!

Die Zeugenvernehmung dauerte 2,5 Stunden an! Der Richter Verlies zwischendurch die Geduld. Im Nachhinein verstehe ich warum, er hat da geahnt, dass wir mit einem einzigen Termin nicht fertig werden und hatte sein März-Urlaub im Kopfe, das möglicherweise die Festlegung eines Fortsetzungstermins unmöglich machen würde. Dies wussten zu diesem Zeitpunkt aber weder ich noch mein Anwalt. Ich schreibe keine Details zu den Inhalten der Verhandlung, ich gehe davon aus dass die Polizei hier fleißig mitliest, auch habe ich nicht alles mitbekommen, ich war nicht mehr in der Lage mich zu konzentrieren.

So viel aber: der Zeuge hatte keine Ahnung davon, wie ein Rollstuhl funktioniert und ist nicht mal auf die Idee gekommen, die Bremse zu lösen.

Und: es war eine Demo, es waren viele Menschen anwesend, die sich ähnlich verhalten haben. Ergo sie waren laut und haben das Verhalten der Polizei und die Festnahme kritisiert „waren damit nicht einverstanden“.

Einzig angeklagt: ich

An Details konnte sich der Zeuge nicht erinnern, wollte aber noch wissen was ich wann getan hätte – und verstrickte sich in Widersprüche, trotz der Tatsche dass er seine Erinnerung mit seinem damaligen Bericht vor der Verhandlung aufgefrischt hatte. Auch wollte er zum Zeitpunkt der Demo nicht gewusst haben wer ich bin. Das finde ich bei einem Einsatzleiter sehr merkwürdig, zumal der martialische Auftritt der Polizei auf der letzten Demo in Lingen bei einer Nachbesprechung mit dem Demoanmelder mit „der Störerkreis um Frau Lecomte wurde erwartet“ begründet wurde! Ich bin für die Polizei per se eine Störerin, keine Demonstrantin. Also habe ich keine Grundrechte? Fakt ist jedenfalls, dass ich angeklagt wurde, obwohl – das ist aktenkundig – keine Feststellung meiner Personalien erfolgte.

Die Widersprüche konnten durch die Verteidigung nicht mehr im Rahmen einer § 257 StPO Erklärung erörtert werden, dafür fehlte die Zeit. Es war bereits kurz vor 18 Uhr und ich hätte als Angeklagte das Recht auf eine eigene Erklärung gehabt, war aber nicht mehr Verhandlungsfähig und ich wollte meine Verteidigunsrechte durch meine Verhandlungsunfähigkeit nicht eingeschränkt sehen. Es geht ja um das rechtliche Gehör, bei einer solchen Erklärung.

Mein Anwalt brachte zum Schluss noch einen Beweisantrag zum Thema Bedienung eines Rollstuhls und Rolle der Standbremse ein. Schon absurd womit Gerichte sich beschäftigen. Aber es ist ja nicht meine Anklage!

Die Menschenwürde ist…. vor Gericht antastbar!

Nach ca. 20 Minuten Vernehmung musste ich mich hinlegen, ich konnte wegen der Schmerzen der Verhandlung nicht mehr folgen. Im Liegen kann ich schon ein wenig Folgen, weil ich da eine weniger Schmerzhafte Position einnehmen kann.

Aber das klappt nicht so wirklich, wenn ich am BODEN liegen muss, weil das Gericht meinen Antrag auf Feldbett ignorierte, über meine eingeschränkte Verhandlungsfähigkeit und Schwerbehinderung Bescheid wusste, aber weiter machen wollte als wäre nichts. Ich lag am Boden zwischen Fenster und Angeklagtentisch. Zwischen den Tischbeinen konnte ich die Beine des Zeugens sehen. Ich lag so ca. 2 Stunden. Auf Jacken, die mir Zuschauer*innen zur Verfügung stellten.

Zum Zuhören musste ich den Kopf etwas hoch alten, die Akustik war in der Position an dem Ort ja schlecht. Das hat nicht geholfen, die Schmerzen zu lindern. Irgendwann konnte ich nicht mehr. Und wollte es mir nach der Zeugenvernehmung auf keinen Fall gefallen lassen, dass es weiter geht, ohne dass ich in der Lage dem Geschehen angemessen zu folgen.

Vor dem Hintergund, dass ich ein Feldbett schriftlich beantragt hatte und zu Beginn der Verhandlung mit dem Befangenheitsantrag deutlich erklärt hatte, was ein Rheumaschub bedeutet und was Sache mit meiner Verhandlungsfähigkeit ist, ist das Verhalten des Richters unwürdig, diskriminierend und unakzeptable.

Ob es daran liegt, dass ich Atomkraftgegnerin und keine wegen Korruption angeklagte Managerin bin? Manager bekommen Feldbett im Gerichtssaal, wenn sie Schmerzen im Rücken haben!

Zuschauer*innen haben nach dem Prozess gefragt, wo man sich dazu beschweren kann. Ich denke das Justizministerium ist eine Adresse. Ansonsten, kann man dem Richter privat schreiben, das geht in die Akte. Außerdem ist der Richter Pressesprecher vom Gericht, man kann ihm Fragen wie das Gericht zu seinem Verhalten steht. Ah ah ah!

Unerwarteter vorläufiger Abschluss

Der Richter wollte die Beweisaufnahme nach der Vernehmung des Zeugen schließen und die 4 weiteren zeugen abladen. Dem hat mein Anwalt widersprochen. Zum einem weil die Verteidigung sich bei der Wahl ihrer Strategie nach dem Ladungsplan vom Gericht gerichtet hat. Zum anderen weil ich nicht mehr in der Lage war meine vorbereiteten Beweisanträge, die ich wegen des Ausfalls der zeugen hätte bearbeiten müssen, vorzutragen. Geschweige mich auf mein letztes Wort vorbereiten. Und ich musste noch einen Zug nach Lüneburg zurück erwischen, weil ich am Tag darauf einen lange im voraus festgelegten Facharzttermin hatte. Der Termin war mir wegen Krebsverdacht sehr wichtig und nicht verschiebbar! (Ergebnisse gibt s nach der Mammografie)

Schließlich sah auch der Staatsanwalt ein, dass ich nicht mehr verhandlungsfähig war. Ich vermute er wollte vor allem keine Befangenheits- oder Revisionsgründe. Denn die Verhandlung gegen eine nicht-verhandlungsfähige Angeklagte, das ist ein Revisionsgrund. Erst zu dem Zeitpunkt wurde klar, warum der Richter sich so ungeduldig zeigte, die Zeugen nicht mehr hören wollte und sein Urteil noch am selben Tag sprechen wollte. Es war nicht möglich, einen Fortsetzungstermin festzulegen. Mein Anwalt hat kommende Woche jeden Tag Verhandlung (am Montag bin ich wieder mit ihm dran, wir verklagen die Polizei in Lüneburg) und im März fährt der Richter für einen Monat in den Urlaub. Ich hatte mit einem Fortsetzungstermin gerechnet und war überrascht.

Ergo: der Prozess muss irgendwann von Neuem beginnen. Auch weil die Staatsanwaltschaft partout nicht einstelle will, nicht mal gegen eine Geldauflage wie im Fall der anderen wegen Widerstand angeklagten Aktivistinnen im Dezember.

Rollstuhlfahren gefährdet Ihre Polizei, Ihren Staatsanwalt und ihre Justiz!!!

Rückfahrt im Liegen

Die Rückfahrt war nicht so ansengend wie befürchtet. Ich habe mich in allen Zügen hinlegen können, diese waren nicht voll und pünktlich. Juhu! Ich habe die 18 Uhr Verbindung, die ich beim Mobilitätsdienst für die Reise mit Rollstuhl angemeldet hatte, verpasst. Schön fand ich dass Carsten, der Menschen vom Service in Lüneburg mich anrief, um zu fragen wie es mir geht, als er sah, dass ich nicht mit dem angemeldeten Zug ankam. Zwei Personen haben mich begleitet, ich konnte mein Cannabis nehmen um weniger schmerzen zu haben, die anderen haben den Rollstuhl in den Zug getragen, mich von A nach B gebracht. Danke! Danke auch an den Schaffner vom IC, der Verständnis dafür zeigte, dass ich zwei Begleitpersonen brauchte (wohl auch weil die Bahn nicht barrierefrei ist!) und keine Nachzahlung für die zweite Begleiterin die nicht die passende Fahrkarte hatte, forderte. Nach so einem Tag, tat es gut auf verständnisvolle Menschen zu treffen. Danke!

Fazit:

Solch ein Prozess ist ein Dilemma. Ich könnte meinen Einspruch zurück nehmen, dann gebe es keinen Prozess, das wäre besser für meine Gesundheit. Der Prozess ist gerade eine große Belastung für mich. Aber ich wäre ohne Prozess verurteilt. Das geht auf gar keinen Fall! Ich will mich gegen den diskriminierenden Vorwurf verteidigen! Und darf dies auch. Das gericht HAT meine Rechte als Schwerbehinderte, meine eingeschränkte Verhandlungsfähigkeit zu berücksichtigen. Laut meinem Anwalt hat der Richter dies langsam verstanden. Er ordnet eine amtsärztliche Untersuchung zu dieser Frage. Ist mir wohl recht.

Und: der Protest geht natürlich weiter! Die Proteste gegen den Castortransport nach Biblis stehen an, ich will im Frühjahr beim Widerstand gegen das Atomklo in Bure mitmischen, einen Kletterkurs für Menschen mit Behinderung veranstalten, etc… Ich habe außerdem jede Menge Texte zu übersetzen und schreiben. Ich hoffe der blöde Schub ist bald vorbei! Ich will raus!

Presseberichte