Scheitert die Barrierefreiheit an bürokratischen Barrieren?

Cécile bei der Srraßentheateraktion fürbarrierefreie Bahn in berlin

Ich habe zum 5. Mai, dem europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung, ein Kommentar für die GWR geschrieben, das ich heute hier unten online stelle.

Es gab außerdem eine Straßentheater-Aktion in Berlin (Bildergalerie) anlässlich derer ich den Kobinet Nachrichten ein Interview gegeben habe (zum Interview). Auch habe ich ein Kommentar für das portal inklusion.de, das sich eher an die Planern, Berhörden (ist der Zweck des Portals).

Ich hatte für die Kommentare ein paar Presseanfragen gestellt und Statistik abgefragt. Darmstadt-Dieburg und Lüneburg haben meine Anfragebeantwortet. Frankfurt hat trotz mehrmaliger Nachfrage ignoriert, Köln hat nach Presseausweis und zweck der Publikation gefragt, die Inforamtionen erhalten und …. die Anfrage im weiteren Verlauf einfach ignoriert. Barrierefreiheit ist scheinbar nicht oben auf dem politischen Agenda in diesen Städten.

Bildergalerie

Kommentar (GWR 469 Mai 2022)

Das Personenbeförderungsgesetz sah vollständige Barrierefreiheit für die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) bis zum 1. Januar 2022 vor. Ausnahmen müssen begründet werden. Der Stichtag ist vorbei – und die Barrieren sind geblieben. Der Ausbau geht nur langsam voran. Ich habe Anfragen an Landkreise und Kommunen gestellt und nach den Gründen gefragt.

Lästige Minderheit?

Ein Grund dürfte sein, dass Barrierefreiheit auf der politischen Agenda ganz am Ende steht. Das betrifft ja in den Augen vieler nur eine lästige Minderheit. Behinderte sollen zu Hause bleiben, und gut ist. Dass Barrierefreiheit – neben weiteren Verbesserungen wie Verdichtung des Taktes, Verbesserung des Angebotes insbesondere auf dem Land, Kostenfreiheit – den ÖPNV attraktiver machen würde und alle einen Vorteil davon haben würden, sehen die Menschen nicht auf den ersten Blick. Barrierefreiheit kann viel bewirken: Schnelleres entspanntes Ein- und Aussteigen mit Gepäck, Kinderwagen, Rollstuhl oder Fahrrad, keine Auseinandersetzung darüber, ob die Person mit Rollstuhl oder die mit dem Kinderwagen mangels Platzes im Bus oder in der Bahn draußen bleibt und dadurch von der Beförderung ausgeschlossen wird.

Doch Landkreise und Kommunen beantworten Presseanfragen zum barrierefreien Ausbau des ÖPNV nur zögerlich. Selbst Großstädte wie Frankfurt am Main und Köln geben keine Antwort. Und wenn doch, ist das Ergebnis ernüchternd. Der Landkreis Darmstadt-Dieburg weist eine Quote von nur ca. 35 % barrierefreien Haltestellen aus. Dem Ausbau des zentralen Umsteigeplatzes Luisenplatz steht ein „historisches Bodenmosaik“ entgegen. Im Staatsgebiet Lüneburg waren 98 von 320 Haltestellen zum Stichtag am 1.1.2022 barrierefrei umgebaut.

Ernüchternde Zahlen

Es wurde ein Gesetz erlassen, das vollständige Barrierefreiheit vorsieht. Doch dessen Umsetzung wurde nicht mitgedacht.

„Die Bushaltestellen im Lüneburger Stadtgebiet werden sukzessive durch die Stadt barrierefrei umgebaut, pro Jahr ist der Umbau von etwa drei bis fünf Haltestellen möglich. Hierfür werden regelmäßig Fördermittel bei der LNVG (Landesnahverkehrsgesellschaft) genutzt. Pro Jahr werden maximal 8 Haltestellen pro Antragsteller gefördert, diese müssen aber auch haushaltsrechtlich gesichert sein“, erläutert die Hansestadt Lüneburg.

Bei diesem Tempo wird es bis zur vollständigen Barrierefreiheit noch viele Jahre dauern. Ich werde es möglicherweise nicht mehr erleben.

Streit um Zuständigkeiten

Der Landkreis Lüneburg lässt Kritik an dem Gesetz und dessen nicht mitgedachter Umsetzung durchblicken; die unterschiedlichen Zuständigkeiten seien das Problem: „Die ÖPNV-Aufgabenträger sind die Adressaten des Gesetzes, während sich für die Straßenbaulastträger keine Verpflichtungen aus den Vorgaben des Personenbeförderungsgesetzes ergeben. Es ist weiter zu berücksichtigen, dass die Zuständigkeit für die Haltestellen bei unterschiedlichen Straßenbaulastträgern liegt: So ist z. B. der Landkreis für die Haltestellen an Kreisstraßen verantwortlich, während Haltestellen innerhalb geschlossener Ortschaften in der Regel in den jeweiligen kommunalen Zuständigkeitsbereich fallen.“

So sticht Bürokratie die Barrierefreiheit. Ernüchternd. Es ist mehr Druck nötig, damit Veränderungen geschaffen werden, Gelder in den ÖPNV fließen und Bürokratien abgebaut werden. Es braucht Verkehrswendekonzepte, die die Barrierefreiheit von vorneherein miteinbeziehen, keine Lippenbekenntnisse, um sich ein gutes Gewissen zu geben, sondern Handlungen. Hier ist auch die Klimabewegung gefragt.

Eichhörnchen