Widerstand im Rollstuhl – Reportage auf Arte TV – mein Kommentar 

screenshot Arte Beitrag, ich fahre Rollstuhl und hebe die Arme als wäre ich frei und trage ISL t-Shirt

Arte TV hat am 20.10. einen 30min Beitrag über mich ausgestrahlt, Namens “Widerstand im Rollstuhl, die Kletteraktivistin Cécile” in der Sendungsreihe Re: 

ich wurde viel gefragt, wie ich den Beitrag finde und habe auch schon überwiegend positives Feedback bekommen. Ich schreibe heute ein Kommentar zum Beitrag. Je nachdem, was die Erwartungen sind, fällt die Bewertung unterschiedlich aus.  

Sowohl Freundinnen als auch Menschen, die ich nicht kenne, haben mir geschrieben. Ich denke das ist ganz gut für mich auch zu sehen wie der Beitrag bei anderen Menschen, die nicht unbedingt mit den gleichen Erwartungen wie ich daran gegangen sind, ankommt. Ich habe deshalb mit dem eigenen Kommentar ein bisschen gewartet. 

Finde die Dokus sehr spannend, vor allem weil ich deine kompromisslose Einstellung und deinen Aktivismus klasse finde 💕 am Anfang den Lernmoment des Kamerateams fand ich gut und wichtig, auch dass das offen kommuniziert wurde von der Erzählerin. Was mir nicht ganz so gut gefallen hat war, dass Irgendwann gesagt wurde die Behinderung würde dein Leben bestimmen. Ich finde unsere Behinderungen bestimmen nicht, WAS wir machen, sondern WIE wir es machen. Auch sehr gut gefallen hat mir, dass du nicht als bemitleidenwert oder unselbstständig/unmündig dargestellt wurdest, aber auch nicht als « inspiration porn ».

Seras Vega via Bluesky

Daraus schließe ich, dass eins meiner Ziele erreicht ist, nämlich die Vermittlung über Ableismus, über Behinderung und Aktivismus. Auch wenn sehr zu bedauern ist, dass meine Erläuterungen zu Ableismus nicht vorkommen und der Begriff im gesamten Beitrag nicht einmal vorkommt, obwohl er genau das beschreibt, wogegen ich in meinem politischen Alltag als behinderter Mensch kämpfe. Das ist anderem behindertenrechtsaktivist*innen natürlich sofort aufgefallen. Céline Extenso vom französischen feministischen anti-ableistischen kollektiv « Les Dévalideuses” auf Bluesky kommentierte: 

Un reportage qui fait du bien, sur la militante activiste handi franco-allemande @hoernchencecile.bsky.social ♿🔥 On regrettera juste que même sur un sujet comme ça, les journalistes « oublient » de prononcer le mot validisme !…  

Übersetzung 

Ein Bericht, der gut tut, über die deutsch-französische Aktivistin @hoernchencecile.bsky.social. Zu bedauern ist, dass ausgerechnet bei so einem Thema, die Journalisten “vergessen”, das Wort Ableismus auszusprechen!… 

Zwar ist mein Banner “fight ableism, disability justice now” oft im Bild und dass es um den Kampf gegen Ableismus geht, ergibt sich aus dem Geschehen. Der Begriff fehlt aber leider im Kommentar und es ist ein mal die Rede von Behindertenfeindlichkeit. Behindertenfeindlichkeit gehört aber zum Konzept des Ableismus und ist nicht das gleiche. 

Banner Fight Ableism Disability justice now an meinem Rollstuhl und daneben Eichhörnchen Plüschtier
screenshot Arte Beitrag

Positiv hervorzuheben ist, dass der Kampf um Barrierefreiheit im ÖPNV gut rüber kommt. Auch der mit einer nicht barrierefreien Bahn verbundene Stress im Alltag, bis hin zu Gewalt. Gut dass das Video von meinem Rauswurf aus der Bahn zu sehen ist! Das freut mich sehr, dass der Vofall so eine breite Öffentlickeit erreicht. Es gab Rekationen in Sozialen Medien dazu und ich habe den Link zum Video direkt gepostet. (Hintergründe gibt es auch im GWR Artikel)

Das Video von Cecile beschäftigt mich sehr. Wie hier die Bundespolizei gegen eine Person vorgeht, die auf den Rollstuhl angewiesen ist, und grobfahrlässig eine Körperverletzung in Kauf nimmt, ist unverständlich. Unverständlicher ist noch, dass Sie für dieses Rausschleppen noch bezahlen soll.

Marc Yves Meier via Bluesky

 Der Abschnitt zu den inklusiven Kletterworkshops kommt auch gut rüber, die Botschaft auch. Teilhabe, Selbstwert, Abbau von Stereotypen (Der Verein Sit’n Skate nutzt den hier auch passenden Hashtag #DestroyingStereotyps) und Para-Klettern als Aktionsform. 

Wir wohnen alle in XXX und haben riesen große Lust Aktionen zu starten und unser errungenes Wissen anders anzuwenden. Vielleicht könnten wir uns auch erst persönlich kennenlernen und eine Runde klettern 😀 

Baumpfleger*innen

Die Machart der Reportage finde ich so lala. Routiniertes profile piece. Bissi 0 8 15. Aber der Inhalt: Bombe. Gerade den Kletterteil finde ich großartig.  

Bonita Mascota auf Mastodon

“Du strahlst viel Energie aus” wird mir oft gesagt. Auch zu dem Beitrag. Meine Antwort ist: Jaein. Mag sein aber das ist die halbe Wahrheit, Mensch sieht nicht wenn die Krankheit tagelang verhindert, dass ich mein Bett verlasse. Die Aneinaneinanderreihung von Aktionen im Film verstärkt diesen Eindruck. Aber das Filmteam war im Abstand von mehreren Wochen am Start… 

ich habe gerade die Arte-Reportage über dich in der Mediathek geschaut. Mein Glückwunsch zu deiner Energie! Ich wünsche dir weiterhin viel Kraft, dich für eine bessere Welt einzusetzen.  

Sozialmedia Nachricht

Ich sehe dich das erste Mal und zwar im Fernsehen. Ich freue mich, wie stark du bist.

Sozialmedia Nachricht

Es gab darüber hinaus viel Lob. Ich freue mich, aber ohne Begründung kann ich wenig damit anfangen. Es ist mir dann zu viel Fokussierung auf meine Person und zu wenig auf die Inhalte. Das war natürlich das Risiko mit einer Reportage über mich. Medien greifen gerne Einzelfälle, Persönlichkeiten auf, interessieren sich nur am Rand für Inhalte oder das Kollektive. Ich habe auch deshalb zugesagt, weil Behinderte und ihre Belange im Fernsehen unterrepresentiert sind und sie oft als passive Menschen dargestellt werden. Ich finde wichtig das zu ändern. Nichtsdestotrotz hatte ich die Erwartung, dass inhaltlich mehr rüber kommt und das Kollektive was Grundlage für politisches Engagement ist, sichtbarer wird. 

Beim Abschnitt zur Demonstration in Lingen bin ich zwiegespalten. Inhaltlich kommt so gut wie nichts rüber weshalb dort demonstriert wurde und ich bin sehr enttäuscht und verärgert. Antiatom ist immerhin DAS Thema zu dem ich seit 23 Jahren aktiv bin! Ich hatte in Interviews ausführlich erklärt, dass die Uranfabrik trotz Abschalten der letzten AKW in Deutschland unbefristet weiter läuft, der französische Betreiber Famatome die Zusammenarbeit mit dem russischen Staatskonzern Rosatom ausweitet, zahlreiche Atomtransporte zwischen Russland und Lingen stattfinden und somit Putins Kriegskasse gefüllt wird. Weil die Atomkraft bei den Sanktionen außenvor gelassen wird. Bei dem Bezug zu Frankreich (Arte ist Deutsch-Französischer Sender) und der Aktualität von Russlands Krieg gegen die Ukraine hatte ich erwartet, dass Ausschnitte aus dem Interview dazu im Beitrag vorkommen, Zuschauer*innen ist aufgefallen, dass da was fehlt.  (zu Lingen empfehle ich die Seite https://atomstadt-lingen.de/ )

Fand schön zu sehen, wie empowernd und stark Du mit verschiedensten Widrigkeiten, #Ableismus und der Polizei umgehst. Zum Beispiel mit den Zuständen bei der #Bahn, bei Stufen und Barrieren die nicht sein müssen. Habe mich gefragt, warum auf welche Themen tiefer eingegangen wird, auf welche nicht. Bei Themen wie #PolizeiGewalt, #AtomKraft / #EnergieVersorgung wär mehr drinn gewesen. Wurde da geschnitten, wurdest Du da zu Deiner Meinung gefragt? Insgesamt aber ein schöner Film. Der Spaß, die Freude und Hingabe, die es auch bei Protesten gibt, kommen gut rüber. Queerbeat auf Mastodon 

Sozialmediabeitrag

Hängen bleibt bei dem Abschnitt stattdessen, wie ich an meine Grenzen als behinderte Aktivistin komme. Das gehört zweifelsohne zu so einer Reportage. Nur: es hat für mich einen bitteren Geschmack. Denn ich bin nicht wegen dem Wetter oder der Demo an meine Grenzen gekommen, sondern weil das Team mir zahlreiche Fragen stellte. Ich wurde dabei gebeten meinen Regenschirm für das Interview zur Seite zu stellen. Das Interview hat so lange gedauert, dass ich so gut wie die gesamte Demonstration gegen die Brennelementefabrik verpasst habe. Ich habe gefroren, kein Wunder, dass ich im Anschluss erschöpft war. Umso frustrierender, dass von dem was ich inhaltlich zur Demonstration gesagt habe, nichts gesendet wurde. Im Kommentar wird immerhin darauf eingegangen, dass das Filmteam sich nicht richtig verhalten hat. 

Auch habe ich ein interessantes Kommentar zu diesem Abschnitt im Film erhalten. Also vielleicht doch nicht nur umsonst im Regen gesessen… 

Mir hat übrigens der Teil, wo Du nicht weiter mitkommen konntest zur Demo mit den anderen und abbrechen musstest, geholfen. Ich gehe oft erst gar nicht zu Demos etc., weil ich mir das immer nicht verzeihen kann. Aber das ist falsch. Es ist voll ok, wenn wir aufgrund reduzierter Kraft vorher gehen und nicht die volle Zeit mitmachen, weil wir es eben nicht können. Das ist mir da klar geworden. Wichtig ist die Zeit, wo wir da sind, wo wir sichtbar sind und einen Punkt setzen. Und ich habe es sehr mitfühlen können, dass es Dich fertig macht, wenn nicht verstanden wird, selbst nicht von Menschen, wo wir das erwarten, wenn Du nicht mehr kannst. Viele können das nicht nachvollziehen, wie es sich anfühlt, wenn einem alle Kraft verlässt. Dass es oft ganz schnell gehen kann. Dennoch eine tolle Doku, Du hast eine sehr positive, fröhliche Ausstrahlung.

Sofie auf Mastodon

Bei der Verkerhspolitischen (Kletter)Aktion in Wolfsburg am Ende des Beitrags sehe ich es ähnlich wie für Lingen. Ich vermisse die Inhalte. Das Camp war zum einen kein “Klimacamp”, sondern ein Verkehrswendecamp mit Workshops (bleiben unerwähnt) und Aktionen. Und wir haben nicht “nur” für einen barrierefreien ökologischen ÖPNV demonstriert. Sondern auch explizit gegen VW und die autofixierte Politik des Konzerns. Das wurde leider nicht erwähnt, Zu sehen ist lediglich eine Aufnahme mit dem VW-Werk. Deutsche Zuschauende werden sich möglicherweise was daraus zusammen gereimt haben. Französische die die Verbindung zwischen VW und Wolfsburg nicht kennen, eher nicht.  (zu den Protesten in Wolfsburg, Blog Verkehrswendestadt und Artikel in der Lokalzeitung nach der nicht ganz gelungenen Aktion). Einen Monat später gab es eine erfolgreiche Aktion gegen VW, hier ist mein Video

Ich habe ein bisschen geahnt, dass die Inhalte kurz kommen würden. Ich habe den Journalisten zu Vorträgen eingeladen, aber es passte beim ihm zeitlich/finanziell irgendwie nie.

Oder passte es einfach nicht ins Filmkonzept und Priorität wurde bewusst anders gesetzt? Es gibt die Journalistische Freiheit. Klar. Aber hier sehe ich ein handwerklicher Fehler. Zu einer Reportage über mich und mein politisches Engagement gehört die inhaltliche Auseinandersetzung. Und Vorträge, Workshops, Artikelschreiben macht sicherlich 2/3 meiner Arbeit aus. Aktionen sind wichtig, aber nichts Wert ohne inhaltliche Auseinandersetzung.  Das kommt zu kurz rüber.

 Das Lüneburger Stadtlichter Magazin (bürgerlich, nicht “Links”) hat in seiner Oktoberausgabe ein Porträt über mich veröffentlicht und diesen Punkt besser gelöst.  Sowohl die politischen Aktionen als auch die Inhalte kommen darin vor.

Fazit: 

Es war viel Aufwand, mit Journalisten und Kamerateams zusammen zu arbeiten. Ich habe mich immer wieder gefragt, ob es sich lohnt. Ich weiß nicht, ob ich mich in Zukunft auf so eine Sache wieder einlasse (jedenfalls in der Form), aber ich denke schon, dass es den Aufwand es wert war. Die Reportage ist trotz oben erwähnten Mängel nicht schlecht und hat, wie ich es an den Nachrichten die ich erhalten habe sehe, viele Menschen erreicht.  Das ist wichtig.

Vielleicht ist das hier eine gute Zusammenfassung 

Es ist Platz für deinen Aktivismus, dafür, was klappt, was nicht klappt (und wow, wann darf sowas im Fernsehen mal Platz haben!? Dein Spruch mit dem Eisberg war echt klasse), für polizeiliche Peinlichkeiten, für den realen Fight dazwischen, die Welt zu verändern und sich körperlich nicht komplett fertigzumachen, und für deinen Humor und das Weitergeben der Kletterkünste. Das war nicht der Sachbeitrag, den du garantiert auch hättest füllen können. Das war ne kurze und m.E. für die Kürze gut gemachte, streckenweise witzige und streckenweise nur sauer machende Doku, die realistische Aktionen zeigt statt Inspirationsglitzer auf alles zu kippen. 7/10, würd sie weiterempfehlen. Meiner Assistenz aber erst, wenn sie mir dein Buch zurückgibt.  

Fledertier auf Mastodon

Nachschlag: Ich habe nach dem Beitrag auch Mails von fremden Personen erhalten, die mich “heilen” wollen, ich habe da je nach Absender*innen allerlei Wahl zwischen – esoterischen – Elixiere… 

Une réflexion sur « Widerstand im Rollstuhl – Reportage auf Arte TV – mein Kommentar  »

  1. Meine Erfahrung mit TV- oder auch Radio-Reportagen ist, daß die Journos eine Reportage machen, dann vielleicht auch ein bißchen recherchieren oder auch nicht, und wenn die Reportage in den Schnitt geht bzw. spätestens, wenn sie ausgestrahlt wird, sind sie schon längst wieder an einem anderen Thema. Die haben heutzutage gar keine Zeit mehr für eine tiefergehende Recherche oder dafür, auf Inhalte einzugehen. Sie werden nicht dafür bezahlt, also machen sie’s nicht.

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