Ein Zug ins Nirgendwo der Klimakatastrophe

Prozessbericht vom Eichhörnchen, erschienen in GWR 426, Februar 2018

Am 8. November 2017 begann – passend zum sogenannten Klimagipfel in Bonn – vor dem Amtsgericht Frankfurt am Main der Prozess gegen drei Umweltaktivist*innen, denen gefährlichen Eingriff in den Schienenverkehr anlässlich einer Protestaktion gegen die COP21 im November 2015 am Frankfurter Hauptbahnhof vorgeworfen wurde. Drei Aktivist*innen seilten sich im Hauptbahnhof auf den „Train to Paris“ ab, zwei weitere ketteten sich vor dem Zug im Gleisbett an.

Im Sonderzug saßen u.a.Umweltministerin Hendricks und Bahnchef Pofalla, sie befanden sich auf dem Weg zur Klimakonferenz nach Paris und kamen mit erheblicher Verspätung an. Eine legitime Protestaktion, angesichts der Heuchelei der Politik, die mit solchen Konferenzen vorgibt, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen, dies jedoch nicht umsetzt und sonst ein schwaches Abkommen, das selbst bei Umsetzung das Klima nicht retten würde, feiert.Oder wie ist es mit dem Flugverkehr? Dieser wird im Vertrag mit keinem Wort erwähnt. Und mit der Kohlekraft? Da darf jedes Land das eigene Süppchen kochen.Das Abkommen ist nicht einmal verpflichtend. Im Namen von Profit muss man gewisse Abstriche machen. Die „GroKo“ bestätigte dies am 8. Januar 2018: das selbstgesetzte Klimaziel wird nicht eingehalten.

Vor Gericht standen aber nicht die Verantwortlichen aus Politik und Industrie – sondern die Umweltaktivist*innen.

Prozessbericht vom Eichhörnchen, erschienen in GWR 426, Februar 2018

Am 8. November 2017 begann – passend zum sogenannten Klimagipfel in Bonn – vor dem Amtsgericht Frankfurt am Main der Prozess gegen drei Umweltaktivist*innen, denen gefährlichen Eingriff in den Schienenverkehr anlässlich einer Protestaktion gegen die COP21 im November 2015 am Frankfurter Hauptbahnhof vorgeworfen wurde. Drei Aktivist*innen seilten sich im Hauptbahnhof auf den „Train to Paris“ ab, zwei weitere ketteten sich vor dem Zug im Gleisbett an.

Im Sonderzug saßen u.a.Umweltministerin Hendricks und Bahnchef Pofalla, sie befanden sich auf dem Weg zur Klimakonferenz nach Paris und kamen mit erheblicher Verspätung an. Eine legitime Protestaktion, angesichts der Heuchelei der Politik, die mit solchen Konferenzen vorgibt, etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen, dies jedoch nicht umsetzt und sonst ein schwaches Abkommen, das selbst bei Umsetzung das Klima nicht retten würde, feiert.Oder wie ist es mit dem Flugverkehr? Dieser wird im Vertrag mit keinem Wort erwähnt. Und mit der Kohlekraft? Da darf jedes Land das eigene Süppchen kochen.Das Abkommen ist nicht einmal verpflichtend. Im Namen von Profit muss man gewisse Abstriche machen. Die „GroKo“ bestätigte dies am 8. Januar 2018: das selbstgesetzte Klimaziel wird nicht eingehalten.

Vor Gericht standen aber nicht die Verantwortlichen aus Politik und Industrie – sondern die Umweltaktivist*innen.

Zwei Aktivist*innen wurden nach einem ereignisreichen Prozess und zwei Verhandlungstagen zu einer Jugendstrafe wegen Nötigung verurteilt. Eine weitere Aktivistin, der „Mittäterschaft durch psychische Unterstützung“ vorgeworfen wurde, wurde freigesprochen.

Experten der Bundespolizei vor Gericht

Am ersten Prozesstag hatten die durch die Angeklagten selbst gewählten Pflichtverteidiger das Sagen. Sie nahmen die Staatsanwaltschaft, den Polizeizeugen, die „Experten“ und die Vorsitzende Richterin aufs Korn. Der Vorwurf des gefährlichen Eingriffs in den Schienenverkehr wurde anlässlich der Befragung von Polizeizeugen, die die Richterin zugleich als „Experten“ vernehmen wollte, auseinander genommen. Den verantwortlichen Bundespolizisten Bug befragte sie zu seiner Kompetenz über Hochspannungsleitungen und physikalischer Größen. Dieser berichtete von einem sechswöchigen Lehrgang, den er aber nicht besucht hatte. Aber es gebe Merkkärtchen auf dem Revier und diese hatte er gelesen und er sei damit Experte auf dem Gebiet von Strom, konnte jedoch die Begriffe „Strom“ und „Spannung“ nicht klar voneinander unterscheiden. Der zweite Zeuge Günther hatte den Lehrgang immerhin besucht. Einmal Mitte der 90er und einmal 2005. Leider verhakte sich der vermeintliche Experte aber in Widersprüche und brillierte mit Unwissen und Schätzungen. Der Sicherheitsabstand, der von einer Bahnoberleitung einzuhalten ist, um keine Gefahr einzugehen, wurde je nach „Experte“ auf einen bis fünf Meter geschätzt. Nicht einmal die ungefähre Höhe des ICE-Zuges konnten sie schätzen. Die Leitung hätte zudem reißen können – wohlgemerkt ohne berührt zu werden. Somit befinden sich Bahnreisende am Bahnhof dauerhaft in Gefahr, wolle man den Angaben der Experten der Bundespolizei Glauben schenken. Alle Zeugen mussten zudem zugeben, dass sie sich die Strafakte samt Lichtbilder wenige Zeit vor dem Prozess angeschaut hatten und die Angeklagten zweifelsfrei erkennen konnten. Dies stellten sie eindrucksvoll unter Beweis: „Wenn ich jemanden erkenne, dann erkenne ich die Person. Da kann ich keine Einzelheiten nennen, da müssen Sie mir schon glauben!“

„Soll ich Sie runter schießen?“

Die Vorführung eines Polizeivideos sorgte am zweiten Verhandlungstag für Staunen. Es wurde ein erstes Mal ohne Ton vorgeführt. Ob es an der Unfähigkeit des Gerichtes, mit der Technik umzugehen lag oder Absicht war? Eine Anwältin drängte auf eine Vorführung mit Ton. Dies rückte die zuvor durch einen Bundespolizisten getätigte Aussage in ein vollkommen anderes Licht. Der Polizist, der zuvor auf Belastung ausgesagt hatte, die Gefährlichkeit der Aktion betonte und seine Sorge um die körperliche Unversehrtheit der Aktivist*innen mit „Vorsicht, weg von der Oberleitung, das ist gefährlich“ zum Ausdruck gebracht haben wollte, war auf dem Band zu hören. Tatsächlich hatte er einen besonders zynischen Spruch von sich gegeben, nämlich ein „Soll ich Sie runter schießen?“. Um die Sicherheit der Aktivist*innen sorgte er sich offensichtlich nicht. Die Staatsanwaltschaft spielte den Vorgang herunter indem sie erklärte, die Aktivist*innen auf dem Dach des Zuges dürften dies nicht gehört haben.

Ein Zug der besonderen Art

Ein Zug der besonderen Art empfing die Prozesszuschauer*innen in der Mittagspause am ersten Verhandlungstag.
Vor dem Ausgang des Gerichtsgebäudes wartete ein Zug einer Hundertschaft einer Beweis- und Festnahme Einheit (BFE) in Kampfmontur samt Hund, welcher zwischenzeitlich mehrere Personen ansprang. Erst nach Hinzuziehen der Anwält*innen wurde überhaupt der Grund genannt: Polizist Steiner vom Frankfurter Staatsschutz verwies auf die Notwendigkeit einer Personalienfeststellung. Mehrere an der Aktion gegen den „Train to Paris“ beteiligten Aktivist*innen konnten sich der Strafverfolgung entziehen, weil sie nicht identifiziert wurden. Die Polizei ermittele weiter und vermute eine der Aktivist*innen unter den Prozesszuschauer*innen. In der Hoffnung diese ausfindig zu machen und dass sie ihre Ausweisdokumente bei sich trägt, wurde die ganze Gruppe eingekesselt. Zwei Frauen mit kurzen Haaren, die angeblich der Beschreibung einer unbekannt gebliebenen Aktivistin entsprachen, wurden von der Gruppe getrennt.
Witziger „Fang“
Peinlich für die Polizei ist, dass es sich bei den zwei willkürlich herausgegriffenen Personen um zwei amtsbekannte Personen handelte, wie der Staatsschutz feststellte, als die BFE ihm ihren „Fang“ präsentierte. Es handelte sich um eine der Angeklagten des laufenden Prozesses und um die Autorin dieses Beitrages, die auf Grund zahlreicher Demos und einer Baumbesetzung gegen den Frankfurter Flughafenausbau sowie einem Spaziergang in der Dachkonstruktionen des Frankfurter Hauptbahnhofes vor einigen Jahren beim Staatsschutz bestens bekannt ist. Sie beteiligte sich an den Protesten gegen den Gipfel in Paris mit einer spektakulären Kletteraktion in der Arche de la Défense (siehe GWR 405, Januar 2016, „Grundrechte kann man nicht auf dem Sofa verteidigen“). Die Personalienfeststellung wurde schnell beendet – wird aber ein Nachspiel haben. Es wurde gegen die Polizeimaßnahmen Klage vor dem Verwaltungsgericht eingereicht.
Zwangspflichtverteidiger
Die Richterin war am ersten Prozesstag wenig über die Verteidiger*innen der drei Angeklagten erfreut. Diese nahmen den Vorwurf des gefährlichen Eingriffes in den Schienenverkehr und der „psychischen Unterstützung“ auseinander. Eine Aktivistin musste bereits am ersten Verhandlungstag freigesprochen werden, weil kein Zeuge sich daran erinnern konnte, was ihr „Tatbeitrag“ gewesen sein soll. Es wurde – nachdem die Staatsanwaltschaft sich gegen eine Einstellung des Strafverfahrens versperrt hatte, ein Fortsetzungstermin gegen die zwei anderen Aktivist*innen festgesetzt. Das Gericht weigerte sich dabei, einen Termin an dem die gewählten Pflichtverteidiger*innen der Angeklagten konnten und ordnete zur Sicherung des Verfahrens weiter die Beiordnung von zwei durch das Gericht ohne Zustimmung der Angeklagten gewählten Pflichtverteidiger an.
Der zweite Verhandlungstag fand somit in Abwesenheit eines durch die Angeklagten selbst gewählten Verteidigers – eine Verteidigerin vom ersten Prozesstag schaffte es zu dem Termin. Der zusätzliche Anwalt erschien trotzdem. Die beigeordneten Zwangs-Pflichtverteidiger gaben ein schlechtes Zeugnis ab. Sie waren bemüht, dem Gericht einen Gefallen zu tun. Wohl um auf der Liste der Pflichtverteidiger, die das Gericht regelmäßig anfragt, zu bleiben?  Sie gab sich damit zufrieden, Kenntnis von der Strafakte erst am Tag vor der Verhandlung zu erlangen.
Ein Angeklagter wehrte sich gegen diese Zwangspflichtverteidigung indem er jegliche Kooperation mit dem Anwalt verweigerte und einen Befangenheitsantrag gegen die Richterin stellte. Dieser wurde als unbegründet zurückgewiesen. Dass Angeklagte in ihren Verteidigungsrechten eingeschränkt werden, sehen Richter*innen nicht als problematisch an. Schließlich ist das Verfahren dann auch schneller vom Tisch, wenn nicht anstrengende Verteidiger*innen die Regie übernehmen! So geschah es dann auch.

Absurde DNA-Expertise

Die Verhandlung zog sich auf Grund der Befragung eines DNA-Experten in die Länge. Die Polizei hatte, um an der Identität der Aktivist*innen zu kommen, großes Gefährt aufgezogen. Der peinliche Vorgang in der Mittagspause am ersten Verhandlungstag war im Vergleich zum Gesamtaufwand, nichts. Die Identität einer der drei Angeklagten wurde mit DNA-Untersuchungen festgestellt. Der Vortrag des Sachverständigen, der über 50 Proben an Seilen und Kletterausrüstung entnommen hatte, dauerte über eine Stunde an.

Neuer Vorwurf

Die Identität der Angeklagten stand fest. Das Gericht hatte aber nach dem ersten Verhandlungstag nichts mehr in der Hand für eine Verurteilung wegen gefährlichem Eingriff in den Schienenverkehr. Also änderte es den Vorwurf auf Nötigung um und lehnte willkürlich eine Vertagung der Verhandlung ab. Diese sieht die Strafproz
essordnung vor und soll den Angeklagten die Möglichkeit geben, ihre Verteidigung auf den neuen Vorwurf anzupassen.
Es folgte das Plädoyer der Staatsanwaltschaft, die den Tatbestand der Nötigung als erfüllt ansah. Der Zug habe wegen der Aktion nicht weiterfahren können. Indem sie sich abgeseilt hätten, hätten die Angeklagten Gewalt ausgeübt.

Bevormundung

Es folgten die Plädoyers der Verteidigung. Dabei zeigte sich, dass die Zwangspflichtverteidiger vom Vorwurf der Nötigung wenig Ahnung hatten. Zu keinem Zeitpunkt wurde die Verwerflichkeit der Handlung angesprochen, obwohl eine Nötigung nur dann strafbar ist, wenn sie als verwerflich angesehen wird. Verhinderungsblockaden sind strafbar. Bei Blockaden die keine reine Verhinderungsblockade sind und klar und deutlich andere Ziele verfolgen, kommt es auf die Zweck-Mittel-Relation, auf die Umstände des Einzelfalles an. In seinem Plädoyer pochte aber ein Anwalt auf die Gefährlichkeit der Handlung, obwohl der Vorwurf des gefährlichen Eingriffes in den Schienenverkehr fallen gelassen worden war. Es kam zum Schluss noch schlimmer: Er entpolitisierte die Aktion und bezeichnete diese als gefährlichen Jugendstreich. Er bat um ein mildes Urteil, die Angeklagten hätten ja nicht vorsätzlich gehandelt, sie hätten nicht gewusst, dass es gefährlich war. Einzig die selbst gewählte Verteidigerin einer Aktivistin setzte sich mit dem Prozessstoff kritisch auseinander.

System change, not climate change!

Die Angeklagten ließen die Bevormundung durch den Anwalt nicht unbeantwortet und gaben eine selbstbewusste politische Erklärung ab.
Dies hinderte das Gericht nicht daran, die Angeklagte nach Jugendstrafrecht zu 40 Arbeitsstunden zu verurteilen, weil „Reifepotenzial“ bestünde. Wenn die Arbeitsstunden nicht abgeleistet werden, gibt es statt dessen Jugendarrest. Die Kletterausrüstung wird eingezogen.
Das Verfahren hat gezeigt, wie gefährlich eine Entpolitisierung durch nicht selbst gewählte Anwält*innen ist und wie wichtig es ist, Verfahren mit politischem Hintergrund entsprechend zu führen.
Eichhörnchen

Hintergrund: https://traintonowhere.blackblogs.org/