Lubmin – Castorgegner vor Gericht in Greifswald – Erfolg für die Verteidigung

bild Kletteraktion Am Dienstag musste sich Karsten, ein Lüneburger Antiatomaktivist, vor dem Greifswalder Amtsgericht verantworten.Karsten hatte sich an einer Kletter-Protestaktion gegen den Castortransport nach Lubmin im  Dezember 2010 zusammen mit 7 weiteren AktivistInnen von Robin Wood beteiligt. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautete Widerstand gegen Vollstreckungsbeamter und Beleidigung. Gegen einen Strafbefehl von 30 Tagessätzen hatte Karsten Einspruch eingelegt. Nach 3 Stunden Verhandlung endete das Verfahren mit einer Einstellung auf Staatskosten (§ 153 StPO).

Dieses Verfahren zeigt die Bedeutung von Laienverteidigung in politischen Prozessen. Wenn zwei AktivistInnen auf der Anklagebank sitzen und die Rollen in Angeklagte(r) und Verteidiger(in) aufgeteilt sind, wird vieles möglich, was sonst nur eingeschänkt umsetzbar ist. Es geht um Strategien der Verteidigung, Selbstermächtigung (Akteur statt Objekt sein) und Politisierung von Prozessen.

Ein Eichhörnchen-Erfahrungsbericht…

bild Kletteraktion Am Dienstag musste sich Karsten, ein Lüneburger Antiatomaktivist, vor dem Greifswalder Amtsgericht verantworten.Karsten hatte sich an einer Kletter-Protestaktion gegen den Castortransport nach Lubmin im  Dezember 2010 zusammen mit 7 weiteren AktivistInnen von Robin Wood beteiligt. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautete Widerstand gegen Vollstreckungsbeamter und Beleidigung. Gegen einen Strafbefehl von 30 Tagessätzen hatte Karsten Einspruch eingelegt. Nach 3 Stunden Verhandlung endete das Verfahren mit einer Einstellung auf Staatskosten (§ 153 StPO).

Dieses Verfahren zeigt die Bedeutung von Laienverteidigung in politischen Prozessen. Wenn zwei AktivistInnen auf der Anklagebank sitzen und die Rollen in Angeklagte(r) und Verteidiger(in) aufgeteilt sind, wird vieles möglich, was sonst nur eingeschänkt umsetzbar ist. Es geht um Strategien der Verteidigung, Selbstermächtigung (Akteur statt Objekt sein) und Politisierung von Prozessen.

Ein Eichhörnchen-Erfahrungsbericht…

Künsterlischer Auftakt

Es begann mit einer Kletteraktion vor dem Gerichtsgebäude, die Wachmeister und Polizei etwas überforderte. Zwei AktivistInnen kletterten an Fahnenmasten hoch und entrollten ein Transparent. Die Überschrift war unmissverständlich: CASTOR STOPPEN – Abgebildet war eine Kopfüberabseilende Antiatomsonne. Weitere AtomkraftgegnerInnen gesellsten sich mit eigenen Transaprenten zur Protestkundgebung dazu.

bild Kletteraktion

Auf die Frage ob die beiden KlettererInnen eine Genehmigung hätten, wurde mit « ja, das Grundgesetzt » geantwortet. Die Polizei rückte mit fünf Einsatzwägen an, verpasste aber das Spektakel. Die beiden KletterInnen bewegten sich nach der kleinen erfolgreichen Aktionen bereits nach unten als sie vor Ort eintraf.  Personalien nahm sie auf – obwohl die Beamten ihre Maßnahme nicht so richtig begründen konnten und die Frage ob das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung auch vor dem Gerichtsgebäude gelte mit ja beantworteten.

Nach diesem künstlerischen Einstieg ging im es Gerichtssaal weiter. Die Verhandlung begann um 13 Uhr und endete gegen 16 Uhr.

die Aufstellung der Verteidigung…

Der Angeklagte beantragte zunächst Akteneinsicht. Eine halbe Stunde Pause wurde ihm dafür genehmigt, er durfte eine Kopie der Akte erhalten.

Im Anschluss an der Verlesung der Anklage durch die Staatsanwaltschaft stellte Karsten einen Antrag auf Pflichtverteidigung. Dieser wurde abgelehnt, weil es kein komplexer Fall sei, also kein Fall der notwendigen Verteidigung.

Karsten entschied sich daraufhin, einen Antrag auf Genehmigung einer Wahlverteidigerin nach dem § 138  Abs. 2 der Strafprozessordnung zu stellen, dieses Paragraf besagt, dass  Personen, die keine Rechtsanwälte sind, als WahlverteidigerInnen genehmigt werden können, sofern sie das Vertrauen des Angeklagten genießen und für das Verfahren ausreichend rechtskundig sind.

Als Wahlverteidigerin beantragte Karsten seine Nachbarin Cécile, unter AktivistInnen als das Eichhörnchen bekannnt 🙂

Der Staatsanwalt sah sich in seiner Auffassung es handele sich um keinen Fall der notwendigen Verteidigung bestätigt, wenn der Angeklagte nun eine Wahlverteidigerin beantrage. Bedenken gegen die Genehmigung von Cécile äußerte er insofern nicht.

Dem Antrag des Angeklagten wurde dann statt gegeben.  Cécile, die kurz zuvor noch an einem Fahnenmast vor der Gebäude hing, übernahm  so dann die Rolle der Wahlverteidigerin im Gerichtssaal. (mehr zum Thema Laienverteidigung: Ein Artikel vom Eichhörnchen – eine Homepage mit Infos )

Eine für das anwesende Publikum unübliche spannende Rollenverteilung im Justiztheater.

Klage , Anklage, wer sitzt am längeren Hebel?

Als erstes stellte Karsten den Antrag, die Verhandlung bis zur Entscheidung anderer Gerichte über seinen bereits im Januar 2011 gestellten Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der damaligen Ingewahrsamnahme, auszusetzen. Dies begründete er damit, dass ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der polizeilchen Ingewahrsamnahme bestehen. Die Widerstandshandlung soll sich aber im Rahmen dieser polizeilichen Freiheitsenziehung ereignet haben. Widerstand gegen Vollsteckungsbeamter ist aber nur dann strafbar, wenn die polizeiliche Amtshandlung wogegen dieser sich richtet, rechtmäßig war (§ 113 Abs. 3 StPO)

Der Antrag wurde von der vorsitzenden Richterin mit der Begründung abgelehnt, das Amtsgericht dürfe eigenständig prüfen, ob die polizeiliche Maßnahme rechtmäßig war, es sei an Entscheidungen von anderen Gerichten nicht gebunden. Hinzu käme, dass mit einer baldigen Entscheidung über den Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme durch das zuständige Gericht nicht zu rechnen sei. Diese Entscheidung abzuwarten würde das Verfahren unnötig verschleppen.

Wohlgemerkt: Wenn BürgerInnen eine Klage gegen den Staat einreichen nimmt sich die Justiz deutlich mehr Zeit, als wenn es darum geht, BürgerInnen anzuklagen und vor Gericht zu stellen.

die Beweisaufnahme

Zum Tatvorwurf selbst ließ sich Karsten nicht ein. Er äußerte sich lediglich zu den Tatumständen und seine Beweggründe als Atomkraftgegner (mit verweis auf dem § 46 StGB wohl möglich)

Der erste Zeuge, PHK Pfeiffer, ein Bundespolizeibeamter aus dem niedersächsischen Celle, wurde in den Saal gerufen und ausführlich befragt. 

Der Zeuge erklärte, die Gruppe, bestehend aus vier Gefangenen, sei um 10:30 Uhr seiner Einheit übergegeben worden. Welche Einheit zuvor zuständig gewesen sei, konnte er nicht mehr sagen. Über die Festnahme 3 Stunden früher in einem Waldstück in der Nähe, konnte er auch nur wenig erzählen. Ihm sei lediglich mitgeteilt worden, die Festnahme sei nach Polizeigesetz erfolgt, aus Gefahrenabwehrrechtlichen Gründen, weil die AktivistInnen mit einer Kletteraktion gegen den Castortransport in den Bäumen an der Bahnstrecke protestiert hätten. Drei AktivistInnen sei es gelungen, die Bäume zu erklimmen. Die anderen AktivistInnen seien am Boden festgenommen und unverzüglich dem Gewahrsam zugeführt worden. Bis zur Abfahrt zur Gefangenensammellstelle nach Wolgast seien allerdings über 3 Stunden vergangen. Unklar blieb, was in diesen drei Stunden geschah, warum die Gefangenen bei Minus-Temperaturen so lange in dem Gefangenentransporter ausharren mussten.

Der Zeuge erklärte weiter, Karsten habe immer wieder lautstark gesagt, er halte die ingewahrsamanhme für vollkommen rechtswidrig.  Widerstand habe er  geleistet, als er seine Beine in der Tür  der 50cmX50Cm großen Zelle ohne Fenster des Gefangenentransporters stellte und somit das Abschließen der Tür verhinderte. Als die Polizei Zwang anwendete und ihm Schmerzen zufügte, habe er die Beamten u.a. als Menschenquäler beleidigt. Schließlich sei er gefesselt und in einen anderen Fahrzeug verbracht worden.

Warum er nicht von Beginn an veranlasst habe, Karsten – der immerhin 1,90 Meter groß ist –  zusammen mit den anderen Gefangenen in einer großräumigere Zelle zu verbringen, erklärte der Zeuge damit, dass Karsten nach polizeilichen Erkenntnissen als « Gewalttäter LINKS » gelte und deswegen eine Sonderbehandlung bekam. Dass Karsten nicht vorbestraft ist, ändert nichts daran. Die Polizei speichert jedes Ermittlungsverfahren, das sie gegen AktivistInnen führt. Ob die Verfahren mit einer Einstellung, einem Freispruch oder einer Verurteilung abgeschlossen wurden, interessiert sie nicht. Der Verdacht reicht aus, um die Menschen als « Gewalttäter LINKS » abzustempeln.

Zu Tage kamen weiter die schlampigen Ermittlungen  der Polizei. Als Beweismittel für die angebliche Widerstandshandlung waren in der Akte Farbbilder zu finden. Der Zeuge sagte aber, die Bilder hätten mit dem von ihm geschilderten Vorfall nichts zu tun, er wüsste nicht wer diese Bilder wann gemacht habe. Welche Einheit zuvor zuständig gewesen sei, war ihm nach eigenem Bekunden auch nicht bekannt.

Die Verteidigung kommt zur Wort

Der Zeuge wurde gegen 15:30 entlassen. Als die Richterin am Amtsgericht Nolte aufstand, um den nächsten Zeugen ins Saal zu rufen, bat Cécile um die Abgabe einer Stellungnahme zur Zeugenaussage für die Verteidigung nach § 257 II StPO.

Cécile erklärte, für eine Bewertung der Rechtmäßigkeit der polizeilichen Maßnahme seien weitere Zeugenvernehmungen notwendig. Schon jetzt stelle sich angesichts der drei Stunden, die bis zur Abfahrt in die Gefangenensammellstalle vergingen, die Frage der Verhältnissmäi
ßkeit (Verletzung des Unverzüglichkeitsgebots was eine richterliche Bestätigung der Ingewahrsamnahme angeht). Die Ingewahrsamnahme sei weiter zur Verhinderung einer Kletteraktion erfolgt. Was die Verteidigung für unzuläßig hielt. Dabei wurde auf Freisprüche vom Amtsgericht Hannover und Steinfurt verwiesen. Demnach sind Kletterkationen über der Bahnlinie keine Straftat. Hinzu fügte sie, dass möglicherweise  gegen das Grundrecht der Protestierenden auf Demonstrationsfreiheit verstoßen wurde – selbst unerlaubte Versammlungen sind vor Anwedung von Polizeirecht aufzulösen (Stichwort Polizeifestigkeit von Versammlungen).  Eine Allgemeinverfügung, die das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit einschränken kann – wie im Falle des Castortransportes nach Gorleben -, habe es beim Lubmin Castor in Dezember nicht gegeben.

Zu berücktichtigen sei, dass der Angeklagte im Verlauf der Freiheitsenziehungsmaßnahme immer wieder auf die Rechtswidrigkeit dieser hinwies, wie der Zeuge es bekundet habe. In diesem Zusammenhang wies Cécile auf dem § 113 Abs.3 und 4 des Strafgesetzbuches hin.

Die Zeugenvernehmung habe außerdem gezeigt, dass weitere ZeugInnen für die Widerstandshandlung in Frage kommen. Nämlich die anderen Gefangenen, die unmittelbar daneben saßen. Cécile versprach, entsprechende Beweisanträge stellen zu wollen.

Den Umgang der Polizei mit politisch engagierten Menschen und die Speicherung von AktivistInnen als Gewalttäter LINKS, weil diese « regelmäßig in Erscheinung treten », kritisierte sie scharf. Unwürdig sei auch die Art der Unterbrigung im Gefangenentransporter, dies komme einer Ersatzbestrafung gleich. Daher stelle sich die Frage der Strafbarkeit einer Beleidigung in diesem Zusammenhang – unabhängig davon, ob diese wirklich getätigt wurde. Vielmehr seien die Emotionen eines Menschen in einer solchen Situation verständlich und die Äußerungen, die wohlgemerkt nicht in der Öffentlichkeit getätigt wurden, als « Sozialadäquat » anzusehen – und daher nicht strafbar.

Der Staatsanwalt sah es natürlich anders an. PolizistInnen würden ja Respekt verdienen und es sei ja nicht beweisen, dass die Ingewahrsamnahme rechtswidrig gewesen sei. Verbotsirrtum führe ja nicht zwangsläufig zur Straffreiheit.

Einstellung auf Kosten der Staatskasse ?

Die Richterin ergriff daraufhin das Wort und schlug eine Einstellung des Verfahrens wegen Geringfügigkeit vor. Sie erklärte, sie könne sich zum jetzigen Zeitpunkt weder auf einen Freispruch noch auf eine Verurteilung festlegen. Im Falle einer Verurteilung sei die Schlud des Angeklagten aber allenfalls als gering anzusehen, angesichts der späten Uhrzeit könne man das Verfahren mit einer Einstellung beenden. Bei allenfalls geringer Schuld sei der Aufwand, also die Ladung zahlreicher Zeugen über mehrere Prozesstage, nicht verhältnismäßig.

Abgesprochen war das Vorgehen mit der Staatsanwaltschaft augenscheinlich nicht. Das plötzliche Einstellungsangebot der Richterin überrumpelte den Staatsanwalt. Zähneknirschend und « mit Bauchschmerzen » stimmte er der Einstellung zu.Nach Kurzer Rücksprache simmte die Verteidigung ebenfalls « mit Bauchschmerzen » zu.

Eine Einstellung ist kein Freispuch, aber immerhin ein positives Ergebnis. Ihre Zeit wollen die AktivistInnen lieber für weitere Aktionen auf der Straße und in der Luft einsetzen, statt tagelang um einen Vielleicht-Freispruch im Gerichtssaal zu kämpfen. Eine Einstellung auf Staatskosten – dazu zählen auch die persönlichen Auslagen des Angeklagten – ist vertretbar. Das gute Zusammenwirken des AktivistInnen-Duos auf der Anglakgebank zeigt, dass es möglich ist, sein Prozess in der Hand zu nehmen und zu politisieren.

Aktiv statt passiv, aktiv statt radioaktiv!

Bis zur Stillegung aller Atomanlagen Weltweit wird es viele Aktionen des zivilen Ungehorsams, viele mit Hilfe der Staatsgewalt durchgeprügelten Amtomtransporten und viele Prozesse geben…

Atomausstieg ist Hand-, Seil- und Paragrafen-Arbeit!

Eichhörnchen, den 1.6.2011

Az.des Verfahrens: 33 Cs 227/11 – AG Greifswald

PS: Am Do. 16. Juni  um 13:30 hat Karsten wegen Protestaktion gegen den Lubmin-Castortransport ein weiterer Gerichtstermin, dieses mal vor dem Amtsgericht Wolgast (Saal 23 )…