Aufsatz zum Thema Laienverteidigung, wenn AktivistInnen AktivistInnen vor Gericht verteidigen. Erstveröffentlichung in der Zeitschrift GWR.
„Es ist dein Prozess, also führe ihn“, erklärte seinerzeit der berühmte Politagitator Fritz Teufel. Der unbequeme Aktivist geriet wegen seiner subversiven Aktionen immer wieder in Konflikt mit der Staatsgewalt. Doch die zahlreichen Anklagen gegen ihn wurden oft zum politischen Happening: Die Herrschenden und das System Justiz wurden in ihrer Lächerlichkeit vorgeführt.
Dieser Gedanke der Selbstermächtigung vor Gericht schwirrt auch in den Köpfen von AktivistInnen, die Antirepressionsarbeit nicht auf Aussageverweigerung und Geldsammeln beschränken wollen.
Es entsteht ein LaienverteidigerInnen-Netzwerk. Ziel ist u.a., Proteste gegen Prozesse zur Einschüchterung politischer AktivistInnen offensiv zu gestalten und zu verhindern, dass wie am Fließband durchgeurteilt werden kann.
Einige Feststellungen:
Es gibt unterschiedliche Gründe, warum AktivistInnen vor Gericht stehen. Mit Aktionen des zivilen Ungehorsams werden z.B. politische Auseinandersetzungen bewusst in die Gerichtssäle hinein getragen.
Mit Repression und Gerichtsverfahren sehen sich aber auch viele konfrontiert, ohne diese wirklich bewusst in Kauf genommen zu haben. Weil die Staatsmacht nicht weiß, wie sie mit effektiver politischer Gegenwehr von unten umgehen kann, und sich dadurch in Gefahr sieht.
Sich nie erwischen zu lassen und keine Spuren zu hinterlassen, reduziert die mögliche Aktionswirkung. Viele AktivistInnen sehen sich mit platten Vorwürfen überzogen, andere werden gezielt als eine Art Symbolfigur einer politischen Bewegung herausgegriffen, weil ihre Handlungen als für die herrschende Politik störend eingeschätzt werden. Bestraft werden sie nicht primär für ihre Taten, sondern für ihre – aus Sicht der Staatsgewalt – „Schlüsselrolle“ im Widerstand. Von Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, über Beleidigung bis Hausfriedensbruch. Da lässt sich schnell ein Vorwurf ausdenken.
Darauf wird seitens von Antirepressionsgruppen meist mit wiederkehrenden Strategien geantwortet: Aussageverweigerung, Kontakte mit Anwälten vermitteln, zu den Prozessen hin mobilisieren, Geld für die Strafe, die Anwalts- und die Verfahrenskosten sammeln. Dies stellt eine notwendige Unterstützung für die Betroffenen dar. Bei längeren Prozessen hakt es aber schnell bei der Mobilisierung – so dass Betroffene es der Justiz in der Regel eher einfach machen und sich wie am Fließband aburteilen lassen.
Aus der Opferperspektive kommen sie meist nicht heraus. Sie bleiben Objekte der gegen sie gerichteten Repression.
Die Erfahrung zeigt zudem, dass es vielen politischen Zusammenhängen schwer fällt, über die in der linken Szene üblichen Antirepressionskonzepte hinaus zu denken. Wer vor Gericht eine andere Strategie verfolgt, dem wird oft mit Misstrauen begegnet.
Der libertäre Gedanke der Selbstbestimmung soll auch vor Gericht gelten.
Deshalb will ein Zusammenschluss von AktivistInnen daran arbeiten, dass mehr Menschen ihren Prozess in die Hand nehmen und überlegen, wie emanzipatorische Antirepressionsarbeit aussehen kann. Die Idee eines LaienverteidigerInnen-Netzwerkes geht auf die Selbsthilfe im losen Zusammenhang von AktivistInnen zurück, die mit spektakulären Aktionen u.a. gegen Castortransporte, Genversuchsfelder und Kohlekraftwerke kämpfen.
Gerichtsprozesse als politische Bühne
Egal ob organisiert oder als Einzelaktivist_in unterwegs, ob bei Massendemos oder bei direkten Aktionen mit dabei, ob legal oder illegalisiert. Wer sich für Widerstand von unten entscheidet, begreift sich als Akteur_in des politischen Geschehens, will Aufmerksamkeit erregen, aufrütteln, ist Sand im Getriebe der herrschenden Politik.
Wenn es zu Repression kommt, gibt es verschiedene Möglichkeiten, damit umzugehen. Ein Ansatz ist, die Verfahren als Teil einer widerständigen Aktion zu begreifen. Und offensiv damit umzugehen. Dabei stellen sich die Fragen, die für einen anderen Umgang sprechen können: der Kosten- und Energieaufwand wird oft genannt. Wer will sich rein hängen und seine Zeit opfern? Wird dieses Verhalten den Ansprüchen an Emanzipation gerecht? Gehören Gerichtssäle zum Betätigungsfeld von AktivistInnen?
Ein offensives aktives Vorgehen ist ein Zeichen von politischer Reife. Das heißt, für seine Handlung stehen, sich das nötige Fachwissen aneignen, um vor Gericht gegen Repression kreativ und selbstbestimmt anzugehen. Das heißt (be)kämpfen und nicht unterwürfig sein. Die Justiz ist dazu da, die herrschenden Verhältnissen aufrecht zu erhalten. AktivistInnen bringen sie ins Wanken.
Eine mögliche Rolle im Justiz-Theater
Im absurden Theater gibt es viele Rollen zu vergeben. Es lässt sich gut in eine Rolle hinein denken, denn mit Wahrheit hat das Geschehen vor Gericht selten etwas zu tun. In einem Gerichtsverfahren spielt der Verteidiger eine wesentliche Rolle. Er hat Fachwissen und als nicht Betroffener die notwendige emotionale Distanz zum Gegenstand des Verfahrens, um die Verteidigung mitzubestimmen. Er muss aber nicht zwangsläufig ein Rechtsanwalt sein – vorausgesetzt, der/die Angeklagte ist dazu bereit, sein eigenes Verfahren in die Hand zu nehmen und sich sowohl mit den politischen und juristischen Umständen des Falles intensiv zu beschäftigen.
Der Paragraf 138 Abs. 2 der Strafprozessordnung lässt zu, dass eine Person auch ohne Juraabschluss als Verteidigerin vom Gericht genehmigt wird – vorausgesetzt, sie kann das Gericht davon überzeugen, dass sie über die notwendigen Jurakenntnisse verfügt. Das Konzept der Laienverteidigung vergrößert die Handlungsmöglichkeiten der Verteidigung. Insbesondere in den üblichen politischen Verfahren, wo die Rechtslage nicht so kompliziert ist, dass ein Anspruch auf Pflichtverteidigung mit vom Staat bezahlten Rechtsanwalt besteht.
Die Vorgeschichte
Laienverteidigung ist keine neue Erfindung. Erkennbar war in den bisherigen Verfahren, dass sie intensiver, selbstbestimmter und politischer als andere abliefen. Schon länger gibt es die Jura-Selbsthilfe von X-tausendmal quer und Gendreck-weg, in deren Rahmen es zur Verteidigung durch Laien kam. Ab 2009 kam es zudem zunehmend zur Mitwirkung von LaienverteidigerInnen, die sich das Wissen durch Prozesstraining und eigene Erfahrung angeeignet hatten. Deren Stellung im Prozess stärkte, wenn auch die angeklagte Person aktiv blieb, die Handlungsmöglichkeiten. Beispiele waren Prozesse vor dem Amtsgericht Bad Oldesloe, die zur Einstellung gebracht werden konnten, und einige Verfahren wegen Feldbefreiungen z.B. am Landgericht Würzburg. Einen Höhepunkt bildete ein Verfahren wegen Hausfriedensbruch gegen fünf Personen in Hannover (Besetzung des geplanten Boehringer-Tierlabors), in dem fünf Rechtsbeistände mitwirkten. Gericht und Staatsanwaltschaft schafften erst nach 15 Verhandlungstagen ein Urteil – die Zeit davor gehörte meist den Angeklagten mit Vernehmungen, Vermittlung politischer Ziele und Kritik an der Logik von Justiz.
Das Neue LaienverteidgerInnen Netzwerk
Ziel ist es, möglichst viele oder alle Beteiligten zur Selbstverteidigung zu ermächtigen. Das macht gegenseitige Hilfe einfacher, weil diejenigen, die sich selbst verteidigen können, auch anderen leichter helfen können. Grundlage ist die Vermittlung von Basiswissen zur Selbstverteidigung bei Polizei und Gericht. Es soll Ziel des LaienverteidigerInnen-Netzwerkes sein, Beratung (direkt, Schriften, Internetseiten usw.) und Trainings anzubieten. Möglichst oft und viel.
Laien-VerteidigerInnen sind keine Ersatz-AnwältInnen, denen Angeklagte die Arbeit rüberschieben können mit dem Vorteil, dass es nichts kostet. Die Angeklagte(n), das unterstützende Publikum usw., sind die Quellen der inhaltlichen Vermittlung. EinE LaienverteidigerIn kann die Handlungsmöglichkeiten erweitern und eigene Impulse einbringen, aber sollte niemals die Angeklagte in den Hintergrund drängen, wie es beim AnwältIn-MandantIn-Verhältnis leider üblich ist.
Emanzipation bedeutet die Ermächtigung von Menschen zum selbständigen Handeln.
Die Antwort des Staates
Wenn AktivistInnen sich organisieren, lässt die Antwort des Staates nicht lange auf sich warten. In zwei von der Lüneburger Staatsanwaltschaft geführten Verfahren wurde im Winter 2010 eine VerteidigerInnen von der Mitwirkung am Verfahren ausgeschlossen. Zwei AktivistInnen auf der Anklagebank wurden den Robenträgern zu unangenehm.
In einem Fall in Lüneburg wurde einem Aktivisten vorgeworfen, ein Werkgelände durch das offene Tor betreten zu haben, um abgelaufene Kekse aus einer Mülltonne zu nehmen. Seine zunächst ohne Widerspruch oder Bedenken weder der Staatsanwalt noch der Richterin genehmigte Verteidigerin wurde am zweiten Verhandlungstag ausgeschlossen. Mit der Begründung, dem Gericht sei bekannt gewo
rden, dass die Verteidigerin an einer chronischen Krankheit leide, dies schade der Rechtspflege.
In einem Verfahren in Dannenberg wird der Angeklagten Hausfriedensbruch und Widerstand anlässlich einer Demo am Zwischenlager Gorleben vorgeworfen. Ein Laienverteidiger wurde im Dezember rausgeworfen, obwohl er schon an mehreren Verhandlungstagen als Verteidiger tätig war. Offensichtlich sollte hier die Selbstverteidigung der Angeklagten geschwächt werden.
Die Vorfälle in Lüneburg und Dannenberg zeigen die Justiz in ihrer Lächerlichkeit.In Lüneburg wurde der Ausschluss der Verteidigerin dadurch umgangen, dass UnterstützerInnen den Angeklagten beim Schreiben von Anträgen in den Pausen unterstützten. Dies versuchte die Richterin darauf hin zu unterbinden, indem sie selbst Toilettenpausen verbat.
„Es sind doch ihre Regeln, die sie immer wieder brechen, um dass System aufrecht zu erhalten. Es sind nicht meine Regeln, es ist nicht mein System“, so die Lüneburger Initiative gegen Atomanlagen.
In Dannenberg wurde auch das Potential einer offensiven Verteidigung klar: Das Gericht fühlte sich dazu verpflichtet, den unbequemen Verteidiger auszuschließen. Den Antrag der Angeklagten auf Pflichtverteidigung lehnte es ab. Ob es sich ein leichtes Spiel gegen die nun unverteidigte ausländische Angeklagte erhoffte? In mühsamen Anträgen und Vernehmungen konnte die Angeklagte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des verfahrensgegenständlichen Polizeieinsatzes wecken. Der Staatsanwalt musste daraufhin am neunten Verhandlungstag die Einstellung des wesentlichsten Anklagepunkt Widerstand gegen die Staatsgewalt in die Wege leiten. Übrig blieb der Anklagepunkt Hausfriedensbruch. Die Angeklagte erreichte schließlich in der Berufungsinstanz eine Einstellung ihres Verfahrens. Die Angeklagte beantragte in dieser Instanz erneut die Genehmigung von VerteidigerInnen, die nacheinander abgelehnt wurden, weil das Gericht aus Prinzip keinen Verteidiger genehmigen wollte. Das Gericht zog der Genehmigung eines Verteidigers die Einstellung wegen Geringfügigkeit vor. Ohne gute Vernetzung und Aneignung von Fachwissen hätte die unverteidigte Angeklagte vor Gericht keine Chance auf Erfolg gehabt.
„Sie sind die Öffentlichkeit“ sagte Rechtsanwalt Döhmer im Vortrag zum Thema Repression in Göttingen auf die Frage, was man gegen diese Staatswillkür tun könne. Sich organisieren, sich Wissen aneignen, kritisch begleiten und berichten, sind wichtige Bestandteile von Antirepressionsarbeit.