Ein Eichhörnchen Kommentar…
Am 31. Mai ist Olaf M. vom Amtsgericht Lüneburg zu 16 Tagessätzen wegen öffentlicher Aufforderung zu einer Straftat verurteilt worden. Richter Hobro-Klatte stützt sich in seinem Urteil auf ein Video aus dem Internet, in dem man den Angeklagten auf einem Podium zu einer Versammlung sprechen sieht: “[…] zum Castor, zu Gorleben, zum ‘Atomausstieg’ ist alles gesagt. […] Aber jetzt ist es dran, den Worten auch Taten folgen zu lassen. Wir müssen alle gemeinsam mit unterschiedlichsten Aktionen den Castor aufhalten. Atomausstieg ist Handarbeit! In diesem Sinne: Castor Schottern.” Der Videoauszug bricht nach nur wenigen Sekunden ab.
Die zu dem Video befragte Beamtin des Staatschutzes, Ermittlungsgruppe Castor, konnte vor Gericht weder belegen, um welche Versammlung es sich auf dem Video handelt noch in welchem Kontext diese Aussage eingebettet war.
Dass Richter Hobro Klatte den Angeklagten schuldig sprechen würde, war früh abzusehen.
Spätestens als ein Beweisantrag des Verteidigers zum Videomaterial abgelehnt wurde.
Richter Hobro Klatte kenne ich schließlich aus meinem Langzeitgewahrsamverfahren beim Castor 2008. Damals verkündete er einen Beschluss, den er vor meiner Anhörung zur Sache bereits geschrieben und ausgedruckt hatte. Die Anhörung war eine Formsache, wie die Beweisaufnahme heute.
Wie die Verhältnisse stehen wurde heute klar: ein paar Worte, aus dem Kontext gerissen, führen zu einer Anklage gegen einen Polit-Aktivisten, der entlastende Teil der Aussage wird ignoriert. Wenn der Lüneburger Polizeipräsident Herr Niehörster mich aus dem Nichts heraus in einem Fernsehinterview als krank und verrückt bezeichnet, weil ich mich kletternd gegen den Atomstaat engagiere, reicht ein Videoauszug als Beweismittel nicht, weil dieser „aus dem Kontext“ gerissen ist und eigentlich sei die Aussage insgesamt nicht so schlimm und das Interview viel länger gewesen, so das Gericht.
„Erlaubt ist, dass der Lüneburger Polzeipräsident Niehörster die bekannte Anti-Atom-Aktivistin Cecile Lecomte als „krank“ und „verrückt“ beleidigen darf, während es verboten ist, so über Herrn Niehörster zu reden, auch wenn uns eine solche Wortwahl zuwider wäre.„ Erklärte Olaf in bei seinem letzten Wort dazu.
Das Urteil stand heute schon zu Beginn der Beweisaufnahme fest; die Beweisaufnahme war nur eine Formsache. Die Verteidigung begrenzte sich auf das Minimum. Ein offensiv geführter Prozess war es nicht. Gut, bei einem derart absurden Justiztheater stellt sich die Frage, wie viel Energie Mensch im Prozess rein stecken will. Gleichzeitig sind solche Bagatellprozesse eine schöne politische Bühne – nicht nur für tatkräftige Worte gegen die Atomkraft und das politische System, was dazu gehört , sondern auch für Justizkritik und Sand im Getriebe der Urteilsfabrik. Die Verteidigung hätte auf dieser Ebene mehr herausholen können, so mein Eindruck. Natürlich führt jeder seinen Prozess wie er will und es soll so bleiben.
Sein letztes Wort nutzte Olaf für eine kämpferische politische Rede, die mit einem längeren Applaus im Publikum empfangen wurde. Die Justiz bezeichnete er als Handlager des kriminellen Systems der Atomindustrie und deren Helfeshelfer_innen in den Regierungen und führte zahlreiche Beispiele aus. Seine Prozesserklärung ist auf der Homepage von Castor Schottern nachzulesen.
Vielleicht etwas ungeschickt ist die Tatsache, dass seine Prozesserklärung eine Aussage zur Sache enthielt. Das ist in sich in Ordnung, bei so einem Prozess, wo der Angeklagte so oder so zu seiner Handlung, zu seinen Worten steht. Es gibt aber andere Möglichkeiten dies zu bekunden, zum Beispiel durch Beweisanträge oder auch indem man die vorgeworfene Handlung als gut befindet und argumentiert, ohne eine Aussage zu seinem eigenen verhalten zu treffen. Wenn keine Aussage gemacht wird, muss sich der Richter etwas mehr Mühe geben, um sein Urteil zu begründen. Schließlich lädt die Justiz zum Tanz ein. Ein absurdes Justiztheater wie am heutigen Tag braucht keiner. Die Rolle des Richters, Beweise zu finden – oder auch zu konstruieren wenn es sonst keine gibt, muss man nicht übernehmen…
Als hätte Richter Hobro Klatte das letzte Wort des Angeklagten nur selektiv wahrgenommen, verurteilte er ihn dann. Als feige bezeichnete er ihn – weil Olaf seine Handlung mit seiner politischen Motivation und Systemkritik begründete und nicht ausdrücklich äußerte, er habe bei seiner Aussage das Ziel gehabt, die Menschen zum Schottern zu animieren.
Zahlreiche ZuschauerInnen verließen den Gerichtssaal vor Ende der Urteilsverkündung. Ein „das ist hier ein Kaspertheater“ konnte ich mir nicht verkneifen, so skurril mir die Situation vorkam, mit einem Richter der im Namen des Volkes Wahrheit schafft und einen Angeklagten absurderweise als feige bezeichnet. Ob das nicht eine Beleidigung ist? Nein, nicht wenn Menschen in Robe und Uniform diese Worte in den Mund nehmen, da will man mehr über den Kontext wissen…
Im Namen des Volkes ist Olaf „feige“ und ich bin „unbelehrbar und uneinsichtig“, ja das hatte ich schon mal im Beschlüssen von Richter Hobro Klatte. Wenn dies keine Beleidigung ist, ist dies zumindest Befangenheit. Oder Gefangenheit. Ja, die Herrschenden sind in ihrer Logik, in ihrer Macht be- und gefangen!
Eichhörnchen