Das Stuttgarter Landrecht der Richterin Löhner...
Par eichhörnchen le lundi 2 mai 2016, 16:53 - Artikeln - articles - Lien permanent
… oder: schöpferische Rechtsfindung
Vor dem Stuttgarter Amtsgericht läuft derzeit gegen 2 Angeklagten der so genannte Rathausprozess im Zusammenhang mit dem Protest gegen S21 und der Stadtpolitik. AktivistInnen veranstalteten ein Bürgerparlament im großen Sitzungssaal des Rathauses im Anschluss an einer öffentlichen Veranstaltung. Das soll Hausfriedensbruch sein. Die „Tat“ um die es in diesem Prozess geht, liegt bereits 4 Jahre zurück. Und die Angelegenheit könnte schon längst Geschichte sein, würden Stuttgarter Politik und Justiz etwas Vernunft zeigen und sich mindestens an die eigenen Gesetze halten.Das Großprojekt Stuttgart 21 ist von Täuschungen, Trickserei und Lügen geprägt. Damit setzte ich mich in meinem 2014 erschienenes Buch in einem Text zu Stuttgart 21, „Die große Täuschung“, auseinander. Vor Gericht geht es nicht anders zu Sache.
Der Rathausprozess wird nach der erfolgreichen Revision der
Angeklagten wiederholt. Das Urteil, in Höhe von 15 Tagessätzen wurde aufgehoben
und an das Amtsgericht zurückverwiesen. Zu viele Rechtsfehler machte Herr
Gauch, der Richter mit der „laienhaften Rechtsauffassung“
beim ersten Prozessanlauf vor zwei Jahren. Da das schwarz-grün regierte Rathaus
den Strafantrag nicht zurück nehmen will, muss neu verhandelt werden. Die
Rücknahme des Strafantrags hätte zu einem Verfahrenshindernis und somit zu
einer Einstellung des Verfahrens geführt (206a StPO). Hausfriedensbruch wird
nur auf Antrag verfolgt. Hinzu kommt die Staatsanwaltschaft, die an ihre
Anklage festhält und weiterhin das „öffentliche Interesse“ an der Verfolgung
bejaht. Dies scheint eine Besonderheit der Stuttgarter Staatsanwaltschaft zu
sein. Bagatellverfahren werden in der Regel wegen Geringfügigkeit eingestellt.
Insbesondere wenn die „Tat“ schon lange zurück liegt und die Justiz die
Verantwortung für die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung trägt. In
Stuttgart läuft es aber anders. Verfahren gegen
Altnazis werden sang- und klanglos eingestellt – obwohl die Betroffenen
andernorts bereits in Abwesenheit verurteilt worden sind.
Waffenhandelsdelikte lässt man Verjähren. Polit-aktivistInnen, die sich
gegen Fashismus, Menschenfeindlichkeit oder für die Umwelt engagieren und
auf Bürgerbeteiligung bestehen, werden dagegen mit großem Engagement verfolgt.
Koste was es koste.
Wer den Rathausprozess als Zuschauer gelegentlich verfolgt, könnte meinen, die
„laienhafte Rechtsauffassung“ sei bei Stuttgarter RichterInnen weit verbreitet.
Beim genauer hin schauen muss jedoch angenommen werden, dass es hier nicht um
„laienhafte“ Verhandlungsführung geht, sondern um die systematische und
bewusste Einschränkung der Rechte der Verteidigung.
Amtsrichterin Löhner legt jedenfalls eine ganz persönliche Interpretation der
StPO an den Tag. Dass Angeklagte und Verteidiger Rechte haben, das
ist doch lästig! Das steht einer schnellen Aburteilung im Wege.
So verfügte Richterin Löhner bereits am zweiten Verhandlungstag, dass sämtliche
Anträge erst am Ende der Hauptverhandlung gestellt werden dürfen. Die
StPO schreibt vor, dass bestimmte Anträge vor der Erklärung eines Angeklagten
zur Sache einzubringen sind – sonst sind sie präkludiert. Und es hat auch Sinn,
diese Anträge zu Beginn einzubringen. Es sind Anträge die der Verteidigung
ermöglichen sollen, Einfluss auf den Verlauf des Prozesses zu nehmen. Doch
selbst Beanstandungen und Anträge auf Gerichtsbeschluss nach § 238 StPO durften
nicht eingebracht werden. Und über den Widerspruch gegen die verfügten
Eingangskontrollen, die das Gebot der Gerichtsöffentlichkeit in
unzulässigerweise einschränken, wurde immer noch nicht entschieden. Wir haben
inzwischen den 4. Verhandlungstag hinter uns! Die Kontrollen wurden inzwischen
praktisch aufgehoben – sie waren einfach lächerlich und peinlich – die
Verfügung wurde jedoch nicht aufgehoben und der Ausschluss von Zuschauern auf
Grund dieser Verfügung am ersten Verhandlungstag ist nicht wieder gut zu
machen!
Faktisch dürfen Anträge nach Lust und Laune von Richterin Löhner und
entsprechend der Kampfbereitschaft der Verteidigung eingebracht werden.
Selbst einen Antrag auf Genehmigung einer Verteidigerin nach § 138 II StPO durfte
ein Angeklagter zunächst nicht stellen. Die Wahl einer zweiten Verteidigerin
wurde notwendig, weil ich als erste Verteidigerin des Angeklagten zu einigen
Hauptverhandlungsterminen beruflich verhindert bin. Die Richterin hatte zuvor
eine Terminverlegung abgelehnt. Die Richterin berücksichtigt die
Urlaubsbedingte Verhinderung von Zeugen, nicht aber die berufliche Verhinderung
einer Verteidigerin!
Der Angeklagte startete den Versuch, seinen Antrag in meiner Abwesenheit zu
stellen. Ich war an dem Tag verhindert und konnte erst zwei Stunden nach Beginn
der Hauptverhandlung eintreffen. Genau deshalb wollte der Angeklagte eine
weitere Verteidigerin an seiner Seite haben. Damit er nicht alleine da steht.
Er durfte seinen Antrag - mit Verweis auf die Verfügung, dass sämtliche
Anträge erst am Ende der Verhandlung gestellt werden dürfen – nicht einbringen.
In der Strafprozessordnung steht aber, dass ein Angeklagter sich im jeden Stand
des Verfahrens dem Beistand eines Verteidigers bedienen darf. Dies machte mich
wütend, als ich in die Verhandlung hinein platzte und feststellen musste, dass
die Richterin die Einlassung des Angeklagten entgegen nehmen wollte, ohne dass
zuvor seine Verteidigungssituation geklärt wurde. Meine Reaktion überforderte
die Richterin etwas, sie zog sich ins Richterzimmer für eine kurze Pause
zurück. Ich nutzte diesen Moment um der Richterin die Anträge, die nicht
gestellt werden durften, auf dem Tisch zu legen. Sie sah sich anschließend dazu
verpflichtet, diese auch ins Protokoll aufzunehmen – wollte diese aber
bescheiden. Nach längerem Ringen konnte durchgesetzt werden, dass der
Verteidigungsantrag beschieden wird. Die verfassungsrechtliche Stellung des
Strafverteidigers gebietet, sich gegen Fehlentwicklungen der Rechtsprechung
und eine fehlerhafte Verhandlungsführung auch mit ungewöhnlichen Mittel
wie hier beschrieben, entgegenzustemmen.
Die weitere Verteidigerin wurde abgelehnt – und später nach eingelegter
Beschwerde durch das Landgericht genehmigt, das unmissverständlich die
Rechtswidrigkeit des Beschlusses der Amtsrichterin feststellte. Richterin
Löhner leitete jedoch die Beschwerde erst mehrere Werktage nach dem Einlegen
der Beschwerde an das Landgericht weiter, so dass der Beschluss erst am Tag vor
der Fortsetzung der Hauptverhandlung bekannt gegeben wurde. Ich war dann wegen
beruflicher Verhinderung nicht anwesend und die neue Verteidigerin erhielt –
trotz entsprechendem Antrag - keine Gelegenheit sich in das Verfahren
einzuarbeiten. Es wurden 2 wichtige Zeugen vernommen, ohne dass die
Verteidigerin zuvor Einsicht in die inzwischen über 1100 Seiten umfangreiche
Akte erhielt. Rügen und einen Befangenheitsantrag hierzu wurden als
„Prozessverschleppung“ zurück gewiesen. Obwohl eine solche Behandlung von
Befangenheitsanträgen nach übereinstimmender Kommentierung äußerst selten
zulässig ist. Und zwar nur dann, wenn der Antrag offensichtlich ausschließlich
der Prozessverschleppung dient. Was hier nicht der Fall war – im Gegenteil!
Wenn Richterin Löhner sich an die Vorgaben der Strafprozessordnung halten und
die Belange der Verteidigung – z.B. bei Terminverlegungen – berücksichtigen
würde, wären nicht so viele Anträge und Rügen der Verteidigung nötig. Das
Urteil wäre möglicherweise bereits gefallen.
Zu einem schnellen Urteil scheint Richterin Löhner in der Tat kommen zu
wollen. Dies soll mit der weiteren Missachtung der Rechte der Verteidigung
einhergehen. Sie hat angekündigt, die Beweisaufnahme im nächsten Termin am
kommenden Mittwoch schließen zu wollen und zur Stellung von Beweisanträgen eine
Frist gesetzt – obwohl noch kein einziger Beweisantrag gestellt worden
ist! Da ahnt man schon wie sorgfältig sie die Anträge bescheiden wird...
Die Fristsetzung zur Einbringung von Beweisanträgen kommt nur bei langen
aufwändigen Verfahren in Frage und niemals bevor der erste Beweisantrag
überhaupt gestellt wird! Siehe BGH 14.6.05, 5 StR 129/05 und das Meyer-Goßner
StPO-Kommentar zum § 244 Rn 69 b:
„Derartige Lösungen scheinen aber mit der gegebenen Gesetzeslage
(insbesondere mit § 246), wie die Kritiker zutreffend bemängeln, nur schwer
vereinbar. (…) Dass hiermit ein Fall bedenklicher richterlicher „schöpferischer
Rechtsfindung“ vorliegt, wird sich kaum bestreiten lassen.“
Die schöpferische Rechtsfindung nenne ich hier „Stuttgarter Landrecht“.
An einer ordentlichen Beweisführung scheint die Richterin kein Interesse zu
haben. Zeugen, die bei ihrer ersten Ladung nicht dran kamen oder die
mitgeteilt haben, sie befinden sich auf der Kur oder im Urlaub, wurden einfach
abgeladen. Und die bisher vernommenen Zeugen haben wenig Licht ins Dunkel
gebracht. Das Aussageverhalten eines Polizeizeugen verleitete den Verteidiger
des weiteren Angeklagten zur Beantragung eines psychologischen Gutachtens wegen
„Denkstörung“. Der Zeuge hatte sich nur an ihm genehme Dinge erinnert oder
erinnern wollen sowie auf einer ominösen WE-Meldung (WE steht für wichtiges
Ereignis) und einem Vorkommnisbericht Bezug genommen, die in der Akte zwar als
Anlage genannt werden, jedoch offensichtlich entfernt wurden. Berichte über
wichtige Ereignisse gehören nicht in die Akte, ist doch vollkommen logisch !?
Da der Verteidiger nicht davon ausgehen könne, dass Zeuge bewusst falsch
aussage, müsse eine Denkstörung vorliegen. Interessant auch das
Aussageverhalten von Frau Burmeister, die sich besser erinnern wollte als im
ersten Prozessanlauf vor 2 Jahren und sogar „die Beiden“ vorne als
Rathausbesetzer wiedererkennen wollte. Nur: vorne saß ich (!) – als
Verteidigerin – neben einem der Angeklagten. Die Wiedererkennung des
Angeklagten machte sie außerdem an einem Detail der Kleidung fest, das sich
einfach mit Bildern der besagten Besetzung widerlegen lässt. Das Kleidungsstück
wurde von keiner dem Angeklagten ähnlich aussehende Person getragen.
Bürgermeister Wölfle und Karpf standen dann im Zeugenstand. Ich durfte sie
nicht vernehmen, da ich an dem Tag beruflich verhindert war. Berichte zur Folge
hatte Karpf auch plötzlich neue Erinnerungen, er wollte plötzlich wissen, dass
es um Versammlung ging... versammlungsrechtliche Maßnahmen wurden jedoch nicht
getroffen, die Leute seien ja Hausfriedensbrecher gewesen. Und der Herr Wölfle
will früher viele tolle Dinge gemacht haben (Sitzblockade und so) und sich in
der Materie zivilem Ungehorsam und Versammlungsrecht auskennen...ach
ja... warum waren die dann alle nicht in der Lage mit der Versammlung
umzugehen?
Das Kaspertheater geht am kommenden Mittwoch 4.5. um 8:45 Uhr am Amtsgericht
Stuttgart weiter. Ich muss mit dem Nachtzug anreisen, um eine Chance zu haben,
pünktlich zu erscheinen (dank der Baustellen der Bahn ist die Hauptstrecke gen
Süden gesperrt...). Richterin Löhner hat 5 weitere Verhandlungstage festgelegt
– wieder mit einem Verhandlungstag an einem Termin wo sie schon seit Februar
über die Verhinderung einer Verteidigerin Bescheid wusste... ach welch ein
Zufall. Nach der Ankündigung von vergangener Woche kann es auch sein, dass es
schneller zu Ende geht. Und das wirkliche Ende wird es so oder so nicht
sein! Mal sehen was die nächste Instanz zum Stuttgarter Landrecht der Richterin
Löhner oder zur schöpferischen Rechtsfindung sagt.
Seid auf das Szenario der Theatervorstellung gespannt!
Weitere Infos
Homepage der AktivistInnen
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Das Urteil ist am 4.5. gesprochen worden: 10 Tagessätze auf 2 Jahre Bewährung. Infos zu diesem absurden Theater folgen.