Castor Knast- und Aktionsbericht Teil V – Knast-Verwaltungsabsurdum und Solidarität von Draußen
Montag: Um 6:30 Uhr geht die Tür auf – und wieder zu. Es wird mir mitgeteilt, daß ich in einer 3/4 Stunde zur Aufnahme bei der Verwaltung geführt werde. Im Halbschlaf frühstücke ich das Toastbrot und die Marmelade. Ich habe kaum noch was zu essen, weil ich gestern nicht verstanden hatte, dass Essen nur ein mal am Tag, Marmelade sogar nur einmal die Woche ausgeteilt wird. Mir reicht das Essen von vorne und hinten nicht, aber vielleicht gewöhnt man sich daran im Knast: die Menschen bewegen sich kaum und sind weniger hungrig?
Die Bürokratie nimmt ihren Lauf.
Eine Unterschrift hier, ein Merkblatt und ein Fragebogen zum Ausfüllen dort. Mit meiner Unterschrift erlaube ich es der Anstalt, Menschen, die zum Beispiel telefonisch nach mir fragen, über meinen Verbleib Auskunft zu geben – dafür gibt es ein Formular zum Ankreuzen. Vielleicht kann ich so durch die FreundInnen und meinen Anwalt draußen in Erfahrung bringen, wann ich entlassen werde? Ich selbst weiß es immer noch nicht, und ich konnte bislang niemanden benachrichtigen, nicht mal meinen Anwalt!
Ich erhalte noch einen großen Sack mit Anstaltskleidungen. Eine Ärztin überprüft meinen Gesundheitszustand. Meine Rheumatabletten werden endlich bestellt; hoffentlich sind sie heute abend dann da. Ich spüre, dass ich seit zwei Tagen keine Tabletten eíngenommen habe. Da ich an keiner ansteckenden Krankheit leide, darf ich jetzt an Aufschluss und Hofgang teilnehmen.
Die Sozialarbeiterin informiert mich später, daß ich morgen früh um 5 Uhr entlassen werde. Bei Zivilhaft muss die Anzahl an Stunden genau stimmen. Ich darf endlich meinen Anwalt anrufen. Ich erfahre dabei, dass er schon seit gestern früh versucht, mit mir Kontakt aufzunehmen. Aber über das Wochenende herrschte einfach Kontaktsperre – selbst für meinen Anwalt! Bestimmte Grundrechte gelten im Gefängnis am Wochenende nicht … Die Nachricht, dass viele Menschen draußen ihre Solidarität mit Beschwerden und Anrufe kundtun, freut mich. Wir erörtern kurz die Lage. Die Art, wie die Freiheitsentziehung vollzogen wird, ist rechtswidrig: Ich sitze nicht in Strafhaft, sondern in Ordnungshaft; die Verhältnismäßigkeit muss hier gewahrt werden; es dürfen keine Einschränkungen auferlegt werden, die über den Zweck der Maßnahme hinausgehen. Die Kontaktsperre zwischen Gefangener und Anwalt, das Vorenthalten von Medikamenten, von Post (Solifax wurden mir nicht ausgehändigt) und Büchern sind nach Meinung meines Anwaltes nicht zulässig. Später erklärt mir die Sozialarbeiterin, die JVA III sei das einzige Frauengefängnis in Hessen, alle Strafarten seien hier vertreten: ob kurze oder lebenslange Haftstrafen, ob Zivil- oder Abschiebehaft. Aus diesem Grund müssen die Regeln der Sicherheitstufe 2 pauschal für alle Vollzugsarten und Gefangenen gelten. Also gelten für alle Gefangenen die Maßstäben und Einschränkungen von langen Haftstrafen. Der im Grundgesetz verankerte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird einfach übergangen.
Nach dem Gespräch mit meinem Anwalt darf ich eine Vertrauensperson über meine Entlassung morgen früh benachrichtigen. Ich bin erleichtert.
Ich unterhalte mich noch kurz mit der Sozialarbeiterin. Ich denke, sie ist ehrlich, wenn sie mir sagt, dass sie den Menschen helfen will. Aber sie wirkt wie gefangen in der Logik des Knast-Systems, von dem sie schließlich Teil ist. Kritik nimmt sie als persönlicher Angriff wahr, sie ist nicht in der Lage, Abstand zu nehmen und zu reflektieren.
Sie verspricht mir noch eine Zeitung und vegetarisches Essen – auch wenn ich das schriftliche Formular hierzu nicht ausgefüllt habe.
Um die Mittagszeit darf ich am Aufschluss teilnehmen. Drei Frauen laden mich dazu ein, auf dem Sofa im Gemeinschaftsraum Platz zu nehmen. Wir unterhalten uns. Es dreht sich viel um den Knast. Warum – weshalb – wie lange sitzt frau ein, will jede wissen. Meine drei Tage Ordnungshaft wegen Ungebühr vor Gericht sorgen für Empörung, Gelächter und Unverständnis. Den Aufwand, den der Staat betreibt, finden alle einfach bekloppt. Ich erfahre, dass im B-Flügel in erster Linie Frauen einsitzen, die wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt wurden. Kurze Haftstrafen wie Ersatzfreiheitsstrafen wegen Schwarzfahren sind hier auch vertreten. Im Hintergrund des Gesprächs läuft das nervige RTL-Programm im Fernsehen. Um 13 Uhr ist wieder Einschluss in der Zelle. Von der Sozialarbeiterin erhalte ich Papier und eine Zeitung. Kurze Zeit später kommt sie erneut vorbei. Sie beschwert sich über die vielen Anrufe und Solidaritätsbotschaften, die Menschen telefonisch an mich richten wollen – diese Anrufe darf ich natürlich nicht entgegennehmen. Die Sozialarbeiterin ist sichtlich getroffen und findet den Vorwurf der Kontaktsperre unfair.Vielleicht ist sie nicht das geeignetste Ziel für solche Protest- und Solidaritätsbotschaften. Es stimmt, dass ihre Rolle hier im Gefängnis für die Gefangenen, die von ihr und den anderen Angestellten vollkommen abhängig sind, wichtig ist. Die Kritik von außen ist aber wie ein Finger in einer zwar verdrängten, wohl aber offenen Wunde. Das System Gefängnis ist geschlossen und von der Außenwelt abgeschottet. Gefangenen, die über einen weiten UnterstützerInnenkreis verfügen, sind die Ausnahme. Ich finde diesen Druck von außen aber gerade richtig. Denn auch « Gutmenschen », die helfen wollen, sind in diesem System gefangen, verdrängen und übersehen die richtigen Probleme. Ich freue mich sehr über die Solianrufe. Schließlich habe ich am Wochenende unter Einzelhaft und absolute Kontaktsperre sehr gelitten. Und meine Bekannten haben sich gefragt, was aus mir geworden ist. Für die Institution Gefängnis und die Menschen, die dort arbeiten, ist es Normalität, dass am Wochenende bestimmte Grundrechte für Gefangenen nicht gelten. Ich selbst habe die Lektion verstanden … es ist nicht zu empfehlen, sich an einem Wochenende festnehmen zu lassen!
Und diese Missstände gehören aufgezeigt, wie soll sich sonst was verändern? Dieses Knasttagebuch schreibe ich für mich – aber nicht nur. Ich will es dann auch veröffentlichen, vielleicht bringt es einige Menschen zum Nachdenken. Es gibt viele Vorurteile über das Gefängnis und die Menschen, die dort landen … Ich denke, wenn eine Umweltaktivistin ins Gefängnis muss und dann auch darüber berichtet, kann das viele dieser Vorurteile in Frage stellen – und auch die Institution Gefängnis ankratzen. Durch mein politisches Engagement bin ich im Fokus der Repressionsbehörden Polizei und Justiz geraten. Meine Handlungen stören, weil sie oft effektiv sind. Immer wieder werde ich deswegen verhaftet und eingesperrt: mal im polizeilichen Gewahrsam, mal im Gefängnis, mal ohne Verurteilung zur angeblichen Gefahrenabwehr, mal auf richterlicher Anordnung hin, oft rechtswidrig … Es ist schon hart, immer wieder mit einer Verhaftung rechnen zu müssen, immer wieder als einzelne aus einer Gruppe herausgepickt zu werden und einstecken zu müssen. Das vermittelt das Gefühl, eine Art Sonderrolle in der Geschichte umweltpolitischer Bewegungen zu spielen (das klingt wichtiger als ich es wirklich meine, ich weiß aber nicht, wie ich es anders auszudrücken kann), als wäre es mein Schicksal und meine Aufgabe, wegen meines gewaltfreien politischen Einsatzes besonders oft mit Repression konfrontiert zu werden – und dagegen anzukämpfen. Justizkritik und Antirepression sind aus dieser Situation heraus ein wichtiger Teil meiner politischen Arbeit geworden.
Und es ist vielleicht doch nicht so schlecht, wenn ich, wie jetzt, hinter die Mauern eines Gefängnisses schaue und dann meine Erfahrungen und Überlegungen nach außen trage. Politisch gut gebildete und gut vernetzte Gefangenen wie ich sind eher eine Ausnahme im Gefängnis. Die meisten Betroffenen haben keine Möglichkeit, auf Missstände hinzuweisen, Aufmerksamkeit zu erregen. Es ist also gut, wenn ich es machen kann. Vielleicht wird die Forderung nach der Abschaffung von Knästen vermittelbarer! Knast abschaffen: wieso, weshalb, warum … ich werde noch zu diesem Thema zurückkommen, ich sitze hier noch ein paar Stunden… und habe alleine in meiner Zelle nichts anderes zu tun als Tagebuch zu schreiben und etwas herumzuklettern. Bewegungsdrang …