Castor Knast- und Aktionsbericht Teil VII – Das Mythos der Resozialisierung
Anne* ist eine schmale, ruhige Frau. Wir setzen uns ans Tisch in der Gemeinschaftsküche der Station im Flügel B2. Im Wohnzimmer nebenan ist es mir mit dem Fernseher im Hintergrund einfach zu laut. Die leckeren Bratkartoffeln mit Ei machen mich endlich satt. Mit Anne fühle ich mich in diesem fremden Umfeld wohler und aufgenommen. Wir reden über den Gefängnisalltag, Anne erzählt mir ein bisschen von ihrer Geschichte. Sie sitzt wegen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz seit August hier ein und kommt im Februar wieder frei. Mit ihren Eltern hat sie wenig Kontakt, sie haben sie nur ein einziges Mal besucht. Ihre ehemaligen FreundInnen haben sie im Stich gelassen. Das findet Anne nicht so schlimm, sie denkt, es kann ihr helfen, in ein neues Leben zu starten, wenn der Kontakt mit der Drogenszene abgebrochen wird. Ob sie es aus der Spirale von Drogen und Gefängnis herausschafft, ist ungewiss. Ihr starker Willen beeindruckt mich auf jeden Fall. Mit ihrer Drogen-Vergangenheit will sie Schluss machen. Wenn sie rauskommt, will sie die Abendschule besuchen und ihr Abitur machen. « Ich habe Scheiße gebaut, das ist mir klar. Aber hier wird keiner geholfen, die ihr Leben ändern will. »
Wir kommen auf die Sozialarbeiterin der Anstalt und das System Gefängnis zu sprechen. Ich erzähle ihr ein bisschen von meiner Geschichte, meinen Eindrücken über das Gefängnis und meinem Gespräch mit der Sozialarbeiterin. Über das im Strafvollzugsgesetz festgelegte Vollzugsziel « Resozialisierung » können wir nur den Kopf schütteln.
„Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Vollzugsziel). » Steht im Gesetz. Und es gibt im Informationsheftchen, das ich mit der Hausordnung erhalten habe, weitere Erläuterungen:
Bezogen auf die Praxis der Vollzugsgestaltung kann der Angleichungsgrundsatz als Konkretisierung des Resozialisierungszieles gelesen werden: „Das Leben im Vollzug soll den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit als möglich angeglichen werden.“
Ach wie schön… Das ist alles Augenwischerei, um ein beschönigtes Bild vom Gefängnis nach außen zu tragen! Fakt ist, dass es hier in der Knastwirklichkeit nichts, überhaupt nichts mit den « allgemeinen Lebensverhältnisssen » zu tun hat.
Ich darf nicht ein mal meine eigene Kleidung tragen und muss bei der miserablen täglichen Stunde Hofgang frieren, weil die Anstalt nicht genug Winterjacken hat.
Meine Bücher darf ich auch nicht mit in die Zelle nehmen und die meiste Zeit muss ich hier alleine herumsitzen. Was ist bitteschön an einem Buch gefährlich? Mit welcher Begründung wird mit untersagt, meine zwei mitgebrachten Bücher in die Zelle zu nehmen und zu lesen? Ach es bedarf keiner Begründung und wird einfach so angeordnet. Der Staat hat es hinter dem Stacheldraht und den dicken hohen Mauern mit Willkür einfach. Frau kriegt ihre Bücher einfach nicht und kann sich dagegen nicht wehren. Gewaltmonopol des Staates nennt sich das.
Und meine Rheumatabletten bekomme ich trotz Schwerbehinderung nicht, weil ich an einem Samstag festgenommen wurde und Grundrechte gelten hier am Wochenende nicht… Im « freien » Leben – dass die Menschen selbst außerhalb dieser Gefängnismauern wirklich frei sind, bezweifele ich – kann ich mir Tabletten auch am Wochenende holen. Einen Apothekennotdienst gibt es immer.
Meine Aufzählung könnte ich noch lange fortsetzen. Wenn ich mir das Heftchen durchlese, kriege ich echt einen Lachanfall.
Auf der Station gibt es zudem eine Art schwarzes Brett mit zusätzlichen Mitteilungen. Ich habe sie mir durchgelesen. Ein Zettel betrifft die Post an und von Gefangenen – den Inhalt gebe ich aus dem Kopf wieder (Jetzt dass ich Tagebuch schreibe haben wir ca. 21 Uhr, also Einschluss in der Zelle, ich darf nicht raus gehen und gucken). Die Post aller Gefangenen wird von der Anstalt kontrolliert und mitgelesen. Ihre Briefe müssen die Gefangenen unverschlossen abgeben. Wenn ein Brief eine « falsche »Darstellung des Gefängnisses enthält, wird er angehalten. Wenn die Gefangene auf das Verschicken des Briefes besteht, behält sich die Anstalt vor, dem Brief eine Berichtigung beizufügen.
Und im Heftchen der Anstalt heißt es weiter:
Der Gegenwirkungsgrundsatz macht deutlich, dass schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges entgegenzuwirken ist. Der Eingliederungsgrundsatz bestätigt das Gebot der Resozialisierung, indem er Hilfen und Unterstützung gegenüber dem Gefangenen formuliert.
Anne erzählt mir, die Sozialarbeiterin habe über sie eine schlechte « Sozialprognose » formuliert. Was zur Folge hat, dass sie vor ihrer Entlassung keine Chance auf Vollzugslockerungen wie die Verlegung in den offenen Vollzug und Ausgang zur Vorbereitung ihrer Entlassung hat.
Die Prognose sei die Folge davon, dass Anne als « Arbeitsverweigerin » gelte und sich an ihren « Vollzugsplan » nicht halte.
Wenn eine Gefangene sich nicht vorschreiben lassen will, was für ihre Wiedereingliederung gut ist, sondern nach Selbstbestimmung strebt und ihre Wünsche nach Ausbildung selbst formuliert, gilt sie hier als renitent und erhält eine schlechte Prognose, was ihr viele Türen zur Vorbereitung ihrer Entlassung aus dem Gefängnis verschließt.
Arbeit im Gefängnis ist Teil des Vollzugsplans. Durch Arbeit und Disziplin soll eine Gefangene befähigt werden, in « sozialer Verantwortung » zu leben. Eine schöne Umschreibung für die gezielte Konditionierung von Menschen zu Soldaten des Produktivismus. Hinzu kommt, dass die Gefangenen als billige Arbeitskräfte ausgebeutet werden. Der Stundenlohn beträgt nur wenige Cent! Indessen bedeutet die Arbeit für viele Gefangenen immerhin eine Abwechslung zum einsamen Einschluss in der Zelle und etwas mehr Freiheit und Privilegien. Die Frauen vom Küchendienst kommen einfacher an zusätzliche Lebensmittel ran, die Frauen, die in der Kammer arbeiten, begegnen fast alle Gefangenen.
Konditionierung und Disziplinierung befähigt meiner Meinung nach nicht in « sozialer Verantwortung » zu leben. Das macht die Menschen abhängig, sie lernen überhaupt nicht, sich um ihre Angelegenheiten zu kümmern und selbstständig zu handeln. Es wird alles von oben bestimmt.
Anne hat eine Zeitlang beim Putzdienst in der Gefängnisküche gearbeitet. Sie hatte beantragt, dass ihr eine Arbeitsstelle zugewiesen wird. Als im Rahmen ihrer Dienst unabgesprochen von ihr immer mehr verlangt wurde und sie plötzlich nicht nur putzen, sondern auch beim Küchendienst helfen sollte, weigerte sie sich, weiterzumachen und beantragte, dass ihr eine andere Arbeit zugeteilt wird. Sie erklärte, sie könne es auf Grund ihrer Hepatitis-Erkrankung nicht verantworten, mit Lebensmittel in Berührung zu kommen, das Übertragungsrisiko sei zu hoch.
In dieser Weise selbstbestimmt Denken und Entscheiden ist hier nicht erwünscht. Wenn Anne ihren Wunsch nach Ausbildung äußert, antwortet die Sozialarbeiterin, es sei noch zu früh dafür, sie solle statt dessen die Zeit im Gefängnis für die Auseinandersetzung mit ihrer Tat nutzen. Wer Reue zeigt und den von oben auferlegten « Vollzugsplan » befolgt, hat eine positive Sozialprognose. Der wird vielleicht geholfen, eine Ausbildung für die Zeit nach dem Gefängnis zu suchen. Wer sich nicht gehorsam verhält und seinen eigenen Weg folgen will, dem / der werden Steine im Weg gelegt.
Wenn Anne in Februar aus dem Gefängnis entlassen wird, wird sie ohne Wohnung und Ausbildung dastehen. So sieht der Mythos der Resozialisierung aus! Mich wundert nicht, dass Menschen aus dem Teufelskreis von Drogen und Gefängnis nicht herauskommen. Rezidiv, heißt es im Fachjargon. Die Hälfte der Frauen in deutschen Frauengefängnissen sitzt wegen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz ein. Das Gefängnis löst keine gesellschaftliche Probleme, es schafft eher welche. Aus den Augen, aus dem Sinn. Den Menschen wird nicht geholfen, sie werden statt dessen eingesperrt. Diese Wirklichkeit ist das Armutszeugnis einer Gesellschaft, in der Menschenrechte doch angeblich einen hohen Stellenwert haben …
(*) Vorname geändert
Zum Teil VIII: geschlossener / offener Vollzug, ich blicke nicht wirklich durch…