Ich melde mich mit meiner Kolumne „Anders sein“ selten zu Wort. Das liegt daran, dass es mir nicht immer einfach fällt zu dem Thema zu schreiben und dass es mir in den letzten Monaten häufig nicht gut ging. Dazu haben meine Krankenkasse und der MDK ordentlich beigetragen. Denn diese legen Menschen mit Behinderung ordentlich Steine in den Weg – als sei es nicht belastend genug, mit Dauerschmerzen leben zu müssen und auf fremde Hilfe angewiesen zu sein. Und das geschah zuletzt ausgerechnet als ich unter einen heftigen Schub litt. Ich musste um ein Hilfsmittel kämpfen, um mein Recht weniger Schmerzen ertragen zu müssen. Ich musste mich mit der Bürokratie herum ärgern, obwohl ich allein mit dem einfachen Alltag nicht klar kam. Rheumatoide Arthritis verläuft Schubweise. In solchen Momente zieht der Schmerz meine gesamte Energie ab. Ich habe aber gewonnen, ein Stück Freiheit erkämpft.
Dieser Beitrag wird zur besseren Lesbarkeit in 3 Teile veröffentlicht.
1) Ein Stück Freiheit erkämpfen (siehe gleich unten)
2) Ein Stück Freiheit zurück gewinnen
3) Gehbehinderte können nicht (Aktions)klettern!? – oder doch?!
Ein Stück Freiheit erkämpfen
Ich habe an dieser Stelle häufig über meinen langen Weg zu effektiver Schmerzlinderung durch Cannabistherapie berichtet. Das ist die einzige Therapie, die mir einen weitestgehend schmerzfreien Schlaf ermöglicht und keine unerträgliche Nebenwirkungen mit sich bringt. Meinen Anspruch darauf setzte ich vor einem Jahr in einem Eilverfahren vor dem Sozialgericht durch. Das Hauptverfahren läuft noch, ich bin zuversichtlich es zu gewinnen.
Vorliegend ging es um die Kostenübernahme für einen adaptiv Rollstuhl mit E-Unterstützung (das System ähnelt dem Pedelec). Es ist ein Schlag ins Gesicht, wenn man es gerade nicht einmal mit Arthritis Gehstützen zur Bushaltestelle um die Ecke schafft und die Schreibtischtäter*innen von BKK und MDK per „Gutachten“ nach „Aktenlage“ ohne die Betroffene jemals gesehen zu haben, die Notwendigkeit des ärztlich verordneten Hilfsmittels verneinen. Der „Gutachter“ der mich nicht kennt, wollte besser Bescheid wissen, als mein Arzt! Die Ablehnung scheint System zu haben, viele Betroffenen erzählen davon, dass viele Dinge erst nach einem Widerspruch bewilligt werden. Bei mir war es nicht anders. Ich bin glücklich darüber, mich durchgesetzt zu haben.
Kämpfen!!!
Ich kämpfe gegen das Fortschreiten der Krankheit an, ich renne gefühlt ständig von Arzt zu Arzt – nur, dass ich physikalisch betrachtet nicht rennen kann. Ich kämpfe gegen Institutionen an, die es offensichtlich nicht für selbstverständlich halten, dass Menschen nach Schmerzfreiheit, Bewegungsfreiheit und Selbständigkeit streben.
Ich bin seit 13 Jahren in fachärztlicher Behandlung. Ich habe viele Therapieversuche hinter mir. Bislang will keine Basistherapie so wirklich Wirkung zeigen – oder die Nebenwirkungen sind nicht vertretbar. Ich schrecke vor neuen Versuche mit Biologika, so heftig die Nebenwirkungen in der Vergangenheit waren. Alternative Therapien habe ich gefühlt zu Haufen probiert ohne wirklich zu einem Ergebnis zu kommen und die sind teuer. Viele Therapien, die als erfolgreich und „natürlich“ angepriesen werden basieren zudem auf Esotherik und das ist nicht meine Welt. Ich habe trotzdem so einiges probiert… aus Verzweiflung wegen der Schmerzen. Dauerschmerz macht einfach fertig. Osteopathie leiste ich mir ein mal im Monat auf eigenen Kosten. Die Behandlung hilft und erspart mir viele Schmerztabletten und ihre unangenehmen Nebenwirkungen. Die Cannabistherapie hilft auch sehr.Sie verursacht keine nennenswerte Nebenwirkungen außer die 4 Stunden wo eine Psychoaktive Wirkung anhält. Diese hilft mir wiederum tief zu schlafen, das ist aber der Grund weshalb ich Cannabis nur abends einnehme. Die Therapie erspart mir eine Menge Cortison, das ich wegen schwerwiegenden Langzeit-Nebenwirkungen nicht gut vertrage.
Es tut weh festzustellen, dass die Krankheit fortschreitet und die Einschränkungen mit der Zeit zunehmen. Da fragt man sich wie weit es noch gehen wird. Ich kann seit dem Herbst 2016 nur noch wenige Schritte ohne Arthritis Gehstütze (angepasste Form von Krücken) laufen und das ist sehr schmerzhaft – selbst mit den Gehstützen.
Weil die Schmerzen immer wieder ins unerträgliche gehen und ich bei Schüben selbst mit den Gehstützen nicht klar komme, denke ich schon länger über einen Rollstuhl nach. Das wäre aber mit meinem Leben im Bauwagen nicht kompatibel gewesen. Ich bin im Januar in unserem Wohnprojekt Unfug gezogen und bedauere diesen Schritt nicht, auch wenn ich nicht happy darüber war, meinen Bauwagen zu verlassen. Die Wohnung ist noch nicht ganz barrierefrei, wir arbeiten Stück für Stück daran.
Es fiel mir schwer mir einzugestehen, dass ich einen Rollstuhl brauche. Irgendwie hatte ich da eine psychologische Hemmschwelle. Umso absurder ist es, dass ich um die Bewilligung dieses Hilfsmittel kämpfen musste. Ich wäre am liebsten gesund!
Ich habe mich beim Sanitätshaus, das einen sehr kompetenten Eindruck machte, beraten lassen und die Angelegenheit mit meinem Rheumatologen beredet. Er hat mir einen Rollstuhl verschrieben. Ich habe den Antrag auf Kostenübernahme nicht groß begründet, schließlich hat der Arzt der mich kennt die Therapiehoheit und ich bin davon ausgegangen, dass die Kasse seiner Verordnung folgt oder wenn Zweifel bestehen, eine persönliche Untersuchung durch das MDK angeordnet wird.
Ich bekam eine Ablehnung. Diese wurde mit einem abenteuerlichen Gutachten des MDK, der nach „Aktenlage“ begutachtet haben will, äußerst knapp begründet.
Hauptargument? Ich erhalte keine Pflegeleistungen, also bin ich nicht pflegebedürftig, ein Rollstuhl benötige ich deshalb nicht.
Dem MDK scheint entgangen zu sein, dass das Gesetz die Versorgung mit Hilfsmitteln VOR Pflege vorsieht. Ziel der Hilfsmittelversorgung ist es gerade, den Behinderten unabhängig zu machen! Absurd ist auch, aus der Tatsache, dass jemand keine Pflegeleitungen erhält zu schließen, dass die Person nicht pflegebedürftig ist. Ich weiß gar nicht welchen Anspruch ich hätte oder nicht. Ich habe nie einen Antrag gestellt. Dafür warte ich auf die Beratung des Sozialdienstes der Rhea wo ich 3 Wochen im Juli verbringen werde.
Ich habe in meinem Widerspruch auf die Gesetzeslage hingewiesen und betont, dass es wohl ein Grundbedürfnis ist, so selbständig wie möglich zu sein. Dass es selbstverständlich sein müsste, ein Hilfsmittel zu bewilligen, wenn es geeignet ist, Schmerzen zu vermeiden und lindern. Alles andere ist Körperverletzung. Ich habe dem MDK angeboten, eine Begutachtung bei einem Hausbesuch persönlich durchzuführen.
Ein „unabhängiger“ Gutachter des MDK hat auf meinen Widerspruch hin, die Versorgung mit dem Hilfsmittel als notwendig erachtet.
Ein Tipp für andere Betroffenen: gleich ausführlich begründen beschleunigt möglicherweise das Verfahren.
Bild: Hilfsmittel und medizinisches Cannabis
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