Laut Personenbeförderungsgesetz, dass 2017 in Kraft getreten ist,gilt eine Übergangsfrist für den Ausbau der Barrierefreiheit im ÖPNV bis 2022. Im Landkreis Lüneburg bewegt sich jedoch wenig zu diesem Thema. Selbst wenn es um Maßnahmen geht, die nicht einmal bauliche Veränderungen abverlangen, sondern politischen Willen und etwas bürokratischem Aufwand. Wie die Gewährleistung von Mobilität für Menschen mit Rollstuhl zu Zeiten wo keine Busse fahren. Der ASM (Anruf-Sammel-Mobil) nimmt in Lüneburg grundsätzlich keine Rolli-Fahrer*innen mit (darüber berichtete ich). Viele Landkreise bieten Lösungen an. Sie beauftragen ein Taxi-Unternehmen, das über adäquate Fahrzeuge verfügt, oder strecken die Kosten für private Taxi-Fahrten für die Betroffenen vor.
In Lüneburg ist der politische Wille nicht da. Ich habe am vergangenen Donnerstag mein Anliegen bei der Bürgerfragestunde anlässlich einer Sitzung des Wirtschafts- und Verkehrsausschusses dargelegt und Fragen gestellt. Diese wurden nicht oder ausweichend mit der „Kosten-Keule“ beantwortet. Das Kosten-Argument wird vorgeschoben um eine Auseinandersetzung mit dem Thema aus dem Weg zu gehen. Die Anzahl an Betroffenen ist überschaubar, die Kosten würden kaum ins Gewicht fallen.
Ich habe mich außerdem an Verbände gewendet, da der neue Nahverkehrsplan zu Ende 2019 umgesetzt werden soll und die Ausschreibung demnächst erfolgen wird.
Der VCD hat eine schriftliche Stellungnahme abgegeben und dabei das Thema Barrierefreiheit berücksichtigt. Der Behindertenbeirat, mit dem ich Anfang im Juni Kontakt aufnahm, hat seine Versprechen leider nicht eingehalten. Es ist mir nicht bekannt, ob er eine Stellungnahme abgegeben hat. Ich habe auf meine Nachfrage keine Rückmeldung erhalten. Schade. Aufgeben tue ich nicht. Die Angelegenheit betrifft nicht nur mich. Ich will für alle Betroffenen kämpfen. Der aktuelle Zustand stellt eine Diskriminierung dar, die mit einfachen Mitteln behoben werden könnte. Betroffenen bekommen jedoch nur die Arroganz der Machtinhaber*innen zu spüren. Wie am Donnerstag bei der (Nicht)Beantwortung meiner Fragen in der Kreistagsitzung geschehen. Das wird einen Nachspiel haben!
Ich dokumentiere hier die von mir eingebrachten Fragen, die Antworten von Herrn ersten Kreisrat Krumböhmer (Sinngemäß) und die abgegebene Stellungnahme vom VCD beim Thema Barrierefreiheit im ÖPNV.
Meine Fragen an den Kreistag:
1) der ASM (Anruf-Sammel-Mobil) im Landkreis Lüneburg nimmt keine Rollifahrer*innen mit.
- Wurde Barrierefreiheit damals bei der Auftragsvergabe an ein Taxiunternehmen ausgeschrieben?
- Wird Barrierefreiheit im neuen Verkehrsplan für die zeit ab 2019 berücksichtigt, ausgeschrieben?
- Wird die Barrierefreiheit im Sinne von PBefG § 8 Abs. 3 verbindlich ausgeschrieben / umgesezt?
- Was für eine Übergangslösung gibt es für Betroffenen Rollifhrer*innen, wenn sie beispielsweise abends eine Veranstaltung in der Stadt besuchen wollen und es gibt dann keinen Bus mehr für die Rückfahrt um 21 Uhr, sondern nur der Service vom ASM, der aber für Rollifahrer*innen nicht zur Verfügung steht?
2) Der Takt der Buslinien 5011 und 5014soll im neuen Nahverkehrsplan reduziert werden.
- Warum wird ausgerechnet der Takt einer stark frequentierten Linie im Viertel Kaltenmoor reduziert? Es ist schon so, dass die Busse oft zu voll sind, viele Menschen mit Kinderwagen und Rollator oder auch Rolli unterwegs sind, meist aber nur 1 bis 2 Plätze pro Bus dafür vorgesehen sind. Ich werde als Rollifahrerin oft abgewiesen, weil es keinen Platz gibt oder wenn der Fahrer kulant ist, ich stehe mitten im Gang weil es keinen sicheren Platz gibt. Das ist aber ein Sicherheitsrisiko.
Die (Nicht)Antworten vom ersten Kreisrat Krumböhmer
1) ASM
Mein erste Frage zu aktuellen Situation wurde nicht wirklich beantwortet. Es wurde lediglich „bedauert“, dass sie Situation so ist. Es sei der Verwaltung bekannt, dass da ein Problem gebe. Bezogen auf den neuen Verkehrsplan erhielt ich eine Nichts-Sagende oberflächliche Antwort. Man „bemühe“ sich, es sei aber wegen der Kosten nicht einfach. Spricht Barrierefreiheit ja, es soll aber nichts kosten.
Tatsächlich wird selbst im Personenbeförderungsgesetz das Kostenargument genannt: „Soweit dies nachweislich aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen unumgänglich ist, können die Länder den in § 8 Absatz 3 Satz 3 genannten Zeitpunkt abweichend festlegen sowie Ausnahmetatbestände bestimmen, die eine Einschränkung der Barrierefreiheit rechtfertigen.“
Es steht aber das Wort „nachweislich“. Spricht, wenn wirtschaftliche Gründe angegeben werden, muss dies belegt werden. Und dann stellt sich die Frage der Zumutbarkeit. Da der Anzahl an Betroffenen überschaubar ist, dürften sich die Kosten in Grenzen halten. Also Zumutbar sein. Viele Landkreise haben bereits Lösungen dazu und sie sind nicht deshalb pleite gegangen!
Weiter war zu erfahren, dass das Unternehmen, das für ASM zuständig ist, gekündigt hat. Künftig soll es ein „Rufbussystem“ eingesetzt werden. Das wäre die Gelegenheit die Barrierefreiheit verbindlich auszuschreiben und geeigneten Fahrzeuge einzusetzen. Gegebenenfalls mit Voranmeldefrist.
Zur Verbindlichkeit habe ich gar keine Antwort erhalten. Meine Frage nach einer Übergangslösung wurde ebenfalls nicht beantwortet.
2) Zur Reduzierung des Taktes mancher Buslinien wurde entgegen gehalten, wie toll der neue Verkehrsplan ist:
Es fahren insgesamt weniger Busse, dafür aber länger (Soweit ich es verstanden habe: Wochentags eine Stunde länger morgens und abends, Sonntags ab 9 Uhr Vormittags statt bislang 13 Uhr). Der Takt müsse dafür reduziert werden, weil der ÖPNV insgesamt nicht mehr Kosten solle. Ich empfand den Ton dabei als Arrogant. À la „warum beschweren Sie sich, es ist doch toll, was wir machen“.
Dies setzte sich im weiteren Verlauf der Kreistagssitzung fort. Die Fragen eines Vereins, der sich für einen Radweg dort wo die ehemalige Buchholzer Bahn verläuft, einsetzt, wurden rasch und nichtssagend beantwortet. Und selbst gegenüber dem Menschen, der zur Vorstellung des Elbmarschstern-Konzeptes (Bussystem zwischen Geesthacht, Winsen und Lüneburg) für den HVV eingeladen worden war, legten Landrat Nahrstedt und erster Kreisrat Krumböhmer ein kritikwürdiges Verhalten an den Tag. Als Kreisabgeordneten sich dazu kritisch äußerten, hörten die Herrschaften zudem kaum zu und redeten statt dessen miteinander. Auf mich wirkten sie wie Schüler, die das Thema nicht interessiert, aber irgendwie da sind, weil sie es müssen. Das Thema ist nicht vom Tisch, auch wenn die Herrschaften es so gerne sehen würde. Genauso wie die Barrierefreiheit im ÖPNV
Weil meine Fragen zu ASM und Barrierefreiheit nicht zufriedenstellend beantwortet wurden, hat ein Kreistagsabgeordnete vor, einen Antrag bezüglich der Frage nach einer Übergangslösung einzubringen. Ich denke, dass die Stellungnahmen von Verbänden zeitnah zu Sprache kommen werden. Die nächste Kreistagssitzung ist am 24. September.
Auszüge aus der Stellungnahme des VCD in Sache Barrierefreiheit und Buslinien-Takt
Barrierefreiheit: Im ASM werden grundsätzlich keine Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer nebst ihrem Rollstuhl befördert. Diese Situation ist diskriminierend und dringend zu ändern. Die Mitnahme von Koffern, Rucksäcken und anderen Gepäckstücken im ASM ist nach vorheriger Anmeldung grundsätzlich möglich. Da Rollstühle in der Regel kompakt zusammenlegbar sind, sollten diese nach vorheriger Anmeldung analog zu Gepäck ebenfalls transportiert werden. Eine Anmeldung von Gepäck und Rollstühlen gibt dem ausführenden Unternehmen die Gelegenheit, nach Möglichkeit die entsprechende Fahrt mit einem geeigneten Fahrzeug durchzuführen. Grundsätzlich ist aber auch mobilitätseingeschränkten Menschen mit einem weniger kompakten und meist elektrischen Rollstuhl eine gesellschaftliche Teilhabe und Teilnahme am öffentlichen Verkehr zu ermöglichen. Im Sinne einer inklusiven Teilhabe ist eine diskriminierungsfreie Mobilitätslösung für alle Teile der Gesellschaft anzustreben. Diese wird in anderen Landkreisen unter anderem mit geeigneten Großraumtaxis und einer adäquaten kommunalen Kofinanzierung ermöglicht. Generell sollte sich ein zukünftiger Betreiber des ASM auch am PBefG § 8 Abs. 3 orientieren: “Die Aufgabenträger haben in ihrem NVP die Belange der in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Menschen mit dem Ziel zu berücksichtigen, für die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs bis zum 1. Januar 2022 eine vollständige Barrierefreiheit zu erreichen.”
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Linie 5011 (Seite 79 und 80)
Die Linie soll ab dem 01.12.2019 montags – freitags nur noch alle 30 Minuten statt bisher alle 20 Minuten fahren. Damit ergibt sich für die Zeit von 5:30 Uhr bis zum Ende der HVZ um 18:30 Uhr eine Reduzierung von 39 auf 27 Abfahrten je Richtung, also -31 Prozent. Der VCD lehnt diese erhebliche Einschränkung des Angebots für stark frequentierte Linie – im angegebenen Ze
itraum um fast ein Drittel – ab, da sie deutlich zum Nachteil der Fahrgäste ausfällt.
In eigener Sache noch eine Nachricht
Der MDK war diese Woche zu Besuch. Ich habe auf Anraten des Sozialdienstes der Reha, wo ich im Juli war, einen Pflegeantrag gestellt. Es sieht gut aus. Ich habe die Hoffnung endlich Hilfen, die ich benötige, zu erhalten! Darunter etwas Entlastung für mich und meine Mitbewohnis, die mir im Alltag helfen, durch Hilfsmittel/ Pflegemittel. Und möglicherweise die Möglichkeit für Krankenfahrten, damit ich selbst bei einem Rheumaschub und nicht geeignetem ÖPNV zum Arzt gehen kann.
Schön wäre es aber, wenn der Arzt dafür Zeit hätte. Es fällt mir schon schwer gefühlt ständig von Arzt zu Arzt zu rennen um irgendwie Schmerlinderung zu erfahren. Therapieversuche sind ebenfalls zermürbend, weil diese entweder nicht wirksam sind oder schwerwiegende Nebenwirkungen auftreten. Ich musste die Therapie mit Olumiant, die ich während der Reha begonnen habe, leider abbrechen – obwohl sie erste Wirkung zeigte. Die Nebenwirkung – Erschöpfung mit akutem Durchfall, den keine Tabletten stoppen konnten – stand jedoch nicht im Verhältnis. Vielleicht auch nicht so verkehrt, wenn mein Körper diese Therapie nicht haben will. Ich habe inzwischen 3 Menschen getroffen, die mir unabhängig von einender berichteten, seit längerem eine Biologica-therapie gegen ihre Auto-immun-Krankheit zu nehmen, und die Krebs entwickelten. Und die Ärzte vermuten in diesen drei Fällen einen Zusammenhang mit der Therapie.
Aber nichtsdestotrotz die Art und Weise wie ich ärztlich « betreut » werde ist mangelhaft. Diesen zustand fällt gesunden Menschen möglicherweise nicht auf. Ich denke dagegen, dass viele chronisch kranken Menschen sind in einer ähnlichen Situation befinde wie ich.
Bei meinem akuten Schub im Juni/Juli hatte die Praxis meines Rheumatologen wegen Urlaub geschlossen – und es gibt in Lüneburg nur eine ambulante Praxis für Rheumatologie. Die allgemein ärztliche Vertretung konnte mir nicht weiter helfen, da sie die Krankheit nicht kannte. Als die Nebenwirkungen von Olumiant eintraten, hatte mein Rheumatologe keine Zeit mich zu untersuchen. Und sein Kollege, der die Arznei nicht kennt, hat mich 30 Sekunden gesehen und nach kurzer Rücksprache mit dem Kollegen nur empfohlen, die Therapie abzusetzen. Er hat nicht Untersucht, ob es weitere vielleicht schwerwiegende Problem wegen der Therapie gab, ich war an dem Tag sehr krank und schwach, musste kämpfen, um die Praxis überhaupt zu erreichen. Für eine Blutuntersuchung käme ich zu spät, hieß es. Ja aber wie mache ich es, wenn ich gesundheitsbedingt zu schwach dafür bin, früher zu kommen? Ich habe mich nicht gut aufgehoben gefühlt und verließ die Praxis mit meinen Beschwerden und Ängsten. Der Durchfall hat inzwischen nachgelassen. Aber es bleibt ein komisches Gefühl zurück und die Verzweiflung schon wieder nicht zu wissen was ich gegen das Fortschreiten der Krankheit tun kann. Einen richtigen Therapieplan habe ich nicht, jeder Arzt guckt nur auf sein Fachgebiet rauf. Ich muss aktiv nach Therapien wie Psysiotherapie, Psychotherapie, etc. fragen und suchen. Ich muss meinen Therapieplan selbst zusammen setzen, weil kein Arzt dies tut. Ich stoße an meine Grenzen. Die suche nach Therapeuten verlangt oft viel Kraft ab. Ich hoffe dass ich mit der Pflegestufe dann mehr Hilfe bekomme. Beratung und die Erstellung eines Pflegeplans, der auch die Behandlung meiner Krankheit betrifft – ist laut Gesetz dann verpflichtend.
Und etwas Licht im Dunkel: ich war gestern in der Kletterhalle klettern – ich wusste nach dem letzten Rheumaschub nicht ob es überhaupt möglich sein würde! Okay ich kann nur sehr einfache Routen Nachstieg klettern und habe dabei verrückt machende Schmerzen, selbst wenn ich geeignete Routen suche: Leicht überhängende Routen, weil ich auf die Beine nicht steigen kann, große Griffe um mich nach oben ziehen zu können. Diese müssen den richtigen Winkel haben, weil ich nur axen-gerecht greifen und ziehen kann. Dreh- und Druckbewegungen sind unmöglich. Zum Glück war ich früher sehr gute Kletterin, das verlernt man nicht! Jetzt Klettern zu lernen wäre deutlich schwieriger. Klettern ist für mich außerdem letztlich weniger Schmerzhaft als laufen, weil die Gelenke anders belastet werden! Die Leute gucken mich schief an, wenn ich da an der Kletterwand mit dem Rolli und zig Bandagen an Knien, Armen und Handgelenke sitze. Aber Leidenschaft ist Leidenschaft und es ist trotz Schmerzen ein schönes Gefühl hoch hinauf zu klettern! Und Adrenalin hilft dabei sehr. Das wirkt anders wenn ich zu Hause die Dinge des Alltags erledigen muss, da empfinde die Schmerzen viel stärker …. ohne Adrenalin macht es keinen Spaß, nö! (Aktions)Klettern wirkt wie Schmerzmittel!
Zu Klettern und Behinderung habe ich im Frühling schon einen Artikel geschrieben. Menschen mit Behinderung haben ihre Einschränkungen, klar. Aber auch ihre Fähigkeiten!