Mein Bericht zur gestrigen Verhandlung in Hannover (unten) und vorab weil oft gefragt wird, was bringen solche (gewonnen) Klagen:
- Nützlich für die gesellschaftliche politische Debatte zu Polizeigesetzen, Polizei(Abschaffen), Überwachung, behördlichem Willkür, Versammlunsfreiheit, Protest. Wohl wissend dass es beim Rechtsruck der Gesellschaft schwer ist etwas zu bewegen.
- Zugang zu Akten. Ermöglicht zu belegen, was die Polizei macht und es geht um Selbststimmung, ich will wissen was die Polizei über mich aufschreibt, speichert und das kriege ich via solche Klagen. Ich entscheide bei meinen Veröffentlichungen selbstbestimmt was ich Preis gebe für öffentliche Arbeit und was nicht. Ich habe meine Vermutung weshalb die (mitlesende) Polizei mich nicht wie vorgeschrieben über die Observation nachträglich informierte, sie mag es nicht wenn ich das öffentlich mache. Ich darf es aber!
- vorliegend wurde die Ausschreibung zur Fahndung nicht mehr verlängert, Anwältin sagt, weil wir geklagt haben. Ein Erfolg. Ok ich werde mal sehen was das Polizeiproblem sich als nächstes einfallen lässt. Naiv bin ich nicht
- dieser ganzer Überwachungskomplex: das ist für mich persönlich einerseits belastend, anderseits sagt es mir: weiter so, Protest ist effektiv!
- und nein, selbst eine gewonnene Klage hat keine Folgen für die Verantwortlichen bei der Polizei. So will es das System. es baucht auf vielen Ebenen Systemchange!
Prozessbericht
„Die Polizei umgeht bewusst eigene Gesetze um die Protestform des Aktionskletterns zu kriminalisieren und damit zu unterbinden. Die Missachtung von Grundrechten ist gefährlich, nicht der Protest gegen die Atomkraft und Klimakiller!“
Klägerin Cécile Lecomte am 6. September nach der 3-stündigen Verhandlung ihrer Klagen gegen Überwachungsmaßnahmen durch die Bundespolizei
Das Verwaltungsgericht gab ihr Recht:
„Klagen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit bundespolizeilicher Maßnahmen erfolgreich
VG Hannover Pressesprecher
Observation und Fahndung einer Umweltaktivistin waren unzulässig.“ schrieb es in seiner Pressemitteilung. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. »
Gegenstand der Klagen sind zwei präventive Überwachungsmaßnahmen der Bundespolizei gegen die in Lüneburg lebende französische Aktivistin. Eine Ausschreibung zur präventiv-polizeilichen Fahndung über mehrere Jahre und eine ebenfalls präventive verdeckte Observation (Überwachung) anlässlich des CASTOR-Transportes nach Biblis im Jahr 2020.
Cécile Lecomte (Spitzname Eichhörnchen) engagiert sich seit vielen Jahren gegen die Atomkraft und in der Klimabewegung sowie für die Rechte von Menschen mit Behinderung. Sie klettert gerne, auch politisch. Sie nutzt einen Rollstuhl aufgrund einer autoimmun Erkrankung und gibt Kletterkurse für Menschen mit Behinderung. Sie ist Sprecherin für « Klimagerechtigkeit und Nachhaltigkeit » bei der ISL e.V. sowie Trägerin des Nuclear-Free Future Award 2022 Ehrenpreis Kategorie besondere Anerkennung.
Vor der Gerichtsgebäude fand eine Solikundgebung statt. ca. 20 Menschen wohnten der Verhandlung bei.
Das Gericht befasste sich zunächst mit der verdeckten Observation der Klägerin.
Die Polizei hatte es unterlassen, die Betroffene über die Maßnahme im Nachgang zu unterrichten, obwohl die Unterrichtung gesetzlich festgeschrieben ist. Cécile Lecomte hatte durch Zufall bei der Einsicht in eine Akte in ein anderes Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht Darmstadt davon erfahren. Eine erste Klage auf Unterrichtung gewann die Aktivistin zunächst vor dem Verwaltungsgericht Hannover. Die Bundespolizei rückte im Verfahren um die verdeckte Observation, Aktenteile nur widerwillig raus. Die Akte belegt einen tiefen Eingriff in ihrer Privatsphäre. Festgehalten sind beispielsweise ihre Fahrten zur Krankengymnastik, ihre Kontakte mit anderen Personen, ihre Beteiligung an Demonstrationen.
Vor Gericht wurde sich mit dem Gefahrenbegriff auseinandergesetzt. Damit waren weder die Gefahren der Atomkraft noch der Klimakrise gemeint. Sondern die Aktionen der Betroffenen dagegen. Die Polizei konnte keine konkreten Gefahren für die Allgemeinheit nennen. Sie hatte ihre Maßnahme mit vergangenen Kletteraktionen, die allesamt keine strafrechtliche Relevanz hatten, begründet.
Die Bundespolizei zog mangels Gefahr für Leib und Leben der Allgemeinheit, die Gefahr der Selbstverletzung und der Verletzung von Polizeibeamten bei einer Räumung heran.
Cécile Lecomte
„die Polizei argumentiert einerseits mit meiner Erfahrung und Expertise und „herausgehobener Stellung“ in der Protestszene. Sie behauptet anderseits, dass ich mich verletzen kann, weil ich Schwerbehindert bin. Das ist zutiefst ableistisch und Unsinn! Klettern will gelernt sein. Wer nicht klettern kann, sollte es lassen. Das gilt auch für Polizeibeamt*innen.“
Das Gericht äußerte schließlich Zweifel an das Bestehen einer Gefahr ohne abschließend darüber zu urteilen. Die Maßnahme wurde für deshalb für rechtswidrig erklärt, weil mildere Maßnahmen wie eine offene Überwachung zur Verfügung wie offene Überwachung standen. Das wären gegebenenfalls Stoff für eine Klage…
Das Gericht beschäftigte anschließend mit der Fahndungausschreibung. Kenntnis davon hatte die Betroffene über ein Auskunftsersuchen bei der Bundespolizei. Im INPOL-Eintrag stand„Intensive Prüfung präventiver Maßnahmen zur Verhinderung versammlungstypischer Aktionen, Meldung an BpolD Hannover.“ Drauf hatten Beamt*innen von Bundes- und Landespolizei Zugriff bei der Eingabe der Personalien der Betroffenen im System.
„Das Einzige, worauf man den Fahndungsbescheid der Polizei stützen kann: Cécile Lecomte ist politisch aktiv und macht versammlungstypische Aktionen. Das zum Anlass für eine Fahndung zu nehmen ist nicht verhältnismäßig.“
Anwältin Anna Luczak
Das Gericht stellte die Rechtswidrigkeit fest. Das Gesetz ermächtige die Polizei weder zur Anordnung der Weitergabe der Daten noch zu Erstellung eines Bewegungsprofils. An der vagen Rechtsgrundlage rüttelt das Gericht leider nicht.
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte, die die Klage gegen die Ausschreibung zur präventiven polizeilichen Fahndung juristisch begleitet, kommentiert:
GFF
„Seit Jahren warnen viele Organisationen und Wissenschaftlerinnen vor den Folgen der ständigen Ausweitung polizeilicher Überwachungsbefugnisse: Nicht nur verstoßen viele der novellierten Polizeigesetze gegen Grundrechte. Sie werden im Namen der „Terrorismusbekämpfung“ erlassen und am Ende oft zu ganz anderen Zwecken eingesetzt: Wie im Fall von Cécile Lecomte dazu, um Aktivistinnen einzuschüchtern und Protestaktionen zu verhindern.“
Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Weitere Informationen
- GFF: https://freiheitsrechte.org/themen/freiheit-im-digitalen/cecile-lecomte
- Pressemitteilung vorm Verwaltungsgericht: https://www.verwaltungsgericht-hannover.niedersachsen.de/aktuelles/pressemitteilungen/klagen-auf-feststellung-der-rechtswidrigkeit-bundespolizeilicher-massnahmen-erfolgreich-225227.html (Anmerkung: in Gronau ist keine WAA sondern eine Urananreicherungsanlage!)
- Nuclear Free Future Award: https://youtu.be/vqJl98LJ278?si=o1j911eA__FKlCqd
- ISL: https://isl-ev.de/index.php/verband-zentren/vorstand-beirat
🥰👍
Danke!!!