Ich hatte mich für vergangenen Donnerstag für die Ratssitzung in Lüneburg als freie Pressevertreterin zusammen mit einer weiteren freien Journalistin akkreditieren lassen. Ich arbeite langfristig zu Themen wie Bürgerpartizipation, Verhalten von Politik und Verwaltung bei der Bürgerfragestunde zu Beginn jede-r Sitzung (große Unterschiede gibt es zb. Zwischen Kreistag und Stadtrat) und Ablauf von Diskussionen bei Anträgen. Die Tagesordnungspunkte für die ich mich interessierte, sind am Donnerstag nicht dran gekommen (außer die Bürgerfragestunde). Es gibt aber trotzdem einiges zu berichten.
Ein Kommentar
Flucht
Die Ratssitzung fand – Corona-Abstandshalten bedingt – im großen Audimax der Uni Lüneburg statt.
Nebenbei: ein furchtbares Gebäude für Menschen mit Orientierungsschwierigkeiten, weil die Wände nicht gerade stehen. Für Rollifahrer*innen gibt es viel zu viele Türen, die nicht alle automatisch aufgehen. Ich bezweifele, dass beim Bau von diesem teuren Gebäude auf die Argumente von Behindertenverbände gehört wurde – wie bei der Eventshalle Arena? Das Gebäude mag stylisch etwas Besonderes sein…aber Nutzbarkeit für alle, Abbau von Barrieren wäre besser.
Vor dem Gebäude versammelte sich eine kleine Gruppe, mit #UnfugBleibt Bannern. Ob der Oberbürgermeister gewarnt wurde? Dieser kam jedenfalls in letzter Minute an. Er stellt sich in Interviews gern als ÖPNV-Nutzer dar, aber zur Ratssitzung kam er mit Auto und Chauffeur.
OB Ulrich Mädge lief so schnell es ihm gelang an „NonSens – kein Lüneburg ohne Unfug“ vorbei und weigerte sich, den Preis für die beschissenste Wohnpolitik, die die Gruppe ihm verliehen hat, entgegen zu nehmen. (Video)
Bürgernähe?
Drinnen bekamen ich und meine Kollegin einen Platz zugewiesen – am Tisch unmittelbar vor dem Tisch der Pressesprecherin der Stadt. Unsere Presseausweise wurden unter die Lupe genommen. Da hat man uns als freie Presse nicht ganz vertraut und wollte überwachen was wir denn tun.
Zur Beginn einer Ratssitzung wird routinemäßig gefragt, ob Ratsmenschen damit einverstanden sind, dass Aufnahmen der Sitzung durch Pressevertreter*innen gefertigt werden. Es melden sich in der Regel max. 1 – 2 Personen.
Dieses Mal kam es anders. Wohl weil die Damen und Herren Angst vor meiner Berichtserstattung haben!? Die Mitglieder der Fraktionen von SPD (mit Ausnahme von Ratsherr Schulz), CSU und FDP (und eine Grüne) haben sich gegen die Aufnahmen ausgesprochen.
So verhalten sich bürgernahe lupenreine Demokraten!
Wenn gefilmt werde, bestehe die Gefahr, dass die dann aus dem Zusammenhang gerissen zitiert wird. Vorgeschoben, würde ich sagen. Wenn man sich handschriftliche Notizen macht, kommt es eher dazu, dass man nicht alles was zum Kontext gehört mit schreiben kann…
Noch davor haben sämtliche Dezernenten sowie SPD und CDU geschlossen verlangt, nicht gefilmt oder akustisch aufgenommen zu werden. Ich finde es traurig, wenn man sich für seine eigenen Äußerungen schon prophylaktisch schämen muss. Wenn zukünftig öffentliche Videokonferenzen als reguläre Sitzungen im Gesetz stehen, wird es spannend wie diese öffentlich sein sollen, wenn einige Mitglieder nicht gehört oder gesehen werden wollen.
Ratsherr Michèl Pauly von DIE LINKE
Wir haben die Bürgerfragen zum Teil aufnehmen können – sofern die Vorsitzende Christel John (CDU) nicht ständig die Menschen unterbrach (sie selbst wollte ja nicht aufgenommen werden). Immerhin, ich konnte zum Fall Robert Justin (Einwohner) ./. Ratherr Steffan Minks (SPD) ein Video schneiden.
Anders als im Kreistag kann man Fragen an die Fraktionen stellen und es gibt meist eine Mini-Debatte zum Thema. Es sei dem die Frage wird aus formellen Gründen nicht beantwortet, wie im Falle von Robert. Im Kreistag antwortet nur der Landrat oder seine rechte/linke Seite, man kann die Fraktionen nicht um Stellungnahme bitten. Das ist zumindest meine Erfahrung.
Kindergarten
Bei einigen Vorgängen in der Ratssitzung, habe ich mich gefragt, ob hier ernsthaft der Ort ist, wo wichtige Stadtpoltische Entscheidung getroffen werden. Die „Debatten“ ähnelten die in einem Kindergarten à la « du bist aber Schuld, nein du bist es », …
So zum Beispiel der Vorgang mit der Plastiktüte von Michèl Pauly.
Dinge die im Rat passieren, die aber für die Ratsvorsitzende völlig normal sind: Nachdem ich zur Änderung der Tagesordnung redete, vergaß ich (wie übrigens sämtliche Redner nach mir auch) die Plastikfolie vom Mikro zu nehmen – versehentlich. Daraufhin zeigte mir Herr Rainer Mencke, Fraktionsvorsitzende der CDU, den « Scheibenwischer », eine Abart von « jemandem einen Vogel zeigen ». Die Ratsvorsitzende Christel John (CDU) sah dies. Ich wies sie daraufhin, forderte eine Rücknahme, wand mich dann wieder an OB Mädge. Dann wurde verwarnt – aber nicht Herr Mencke, sondern ich. Ich halte diese Ratsvorsitzende für in höchstem Maße ungeeignet eine Sitzung unparteiisch zu leiten.
Ratsherr Michèl Pauly
Den Vorgang mit dem „Vogel“ habe ich wie geschildert beobachtet.
Worthülse Geschäftsordnung und mangelnde Sachlichkeit
In den Debatten wurde mit einer Worthülse besonders oft gearbeitet. Es wurde sich immer wieder gegenseitig vorgeworfen, sich nicht an die Geschäftsordnung zu halten. Jede-r die eigene Interpretation der Geschäftsordnung…
„Sie sind Geschäftsführer einer Partei, die nicht mal im Landtag repräsentiert ist“
OB Mädge zu DIE LINKE Ratsherr Christoph Podstawa
Wenn man keine Argumente hat… oder was hat die Frage, ob die Linke im Landtag sitzt, mit der Kommunalpolitik zu tun?
Die Wortbeiträge von OB Mädge um das Thema die Events-Halle Arena, waren meiner Meinung nach überwiegend heuchlerisch. Die Arena ist ein finanzielles Fiasko voller Konzeptionsfehlern. Eine ein Jahr alte Anfrage der Grünen wurde behandelt. An sich eine sinnvolle Anfrage. Aber sie war durch Ablauf der Zeit überholt. Die Zeit dieser Debatte hätte sich der Rat sparen können, um noch nicht überholte Anfragen eine Chance zu geben. Tagesordnungspunkte werden ständig von Sitzung zu Sitzung geschoben.
Als es um das finanzielle Desaster der ARENA und die Verantwortung der Politik ging, wies OB Mädge alle Vorwürfe von sich. Der Kreistag habe die Entscheidung federführend getroffen, er trage keine Verantwortung am Desater. Er wüsste nicht was dort abgeht. Unglaubwürdig. Zuständiger Landrat war damals ein SPD-Kollege von OB Mädge. Im Stadtrat sitzt mindestens ein SPDler, der zugleich im Kreistag sitzt (und damals schon saß). Schließlich haben alle Beteiligten, sowohl Kreistag als auch Stadtrat in dieser Angelegenheit, vieles verbockt.
OB Mädge rügte anschließend das Verhalten eines Kreisrates von DIE LINKE in einer Kreissitzung (worum es genau geht weiß ich nicht)…zwei Minuten nach seiner Behauptung er wisse nicht, was im Kreistag passiere. Was stimmt denn nu?
Laaaangweilig!
Die Sitzung war insgesamt eher langweilig als spannend. Und kein Wunder, dass wichtige Anträge und Anfragen ständige aufgeschoben werden, wenn man sich über 20 Minuten lang über Schottergärten unterhält. Man war sich darüber einig, dass Schottergarten unökologisch sind. Nur darüber wie der Ist- und Zukunft-Zustand mit diesen Gärten verändert werden kann, gab es etwas Streit. Das Thema wurde in den Bauausschuss verwiesen. Man unterhielt sich aber trotzdem noch eine weile darüber. Nun gut, scheinbar voll wichtiges Thema. Es gab in der heutigen Landeszeitung eine halbe Seite dazu.
Und Freitag eine halbe Seite zu den Corona-Maßnahmen. Ok das Thema hat schon seinen Platz verdient, es bleibt wichtig, die Pandemie ist nicht vorbei. Aber es braucht keine lange Vorstellung in einer Ratssitzung, denn es wird lediglich nachgeplappert was in der Verordnung auf Landesebene steht. Jede-r kann selbst danach suchen, die Journalist*innen auch. Ich finde skurril, dass die geschlossene Gesellschaft, die die Ratssitzung mehr oder weniger war (man durfte ja nicht mal die Beiträge der einer Mehrheit von Ratsherren und Frauen filmen, Zuschauerplätze waren begrenzt), sich so lange mit diesen langen Mitteilungen beschäftigt hat.
Als absehbar war, dass die Tagesordnungspunkte für die ich mich interessiere, nicht behandelt werden würden, haben wir die Sitzung verlassen und die lupenreinen Demokraten unter sich gelassen.
Es gibt keine schlechte Presse:
Ich habe im Nachgang eine PM von DIE LINKE erhalten, die ich hier dokumentiere
PRESSEMITTEILUNG
Ratsfraktion DIE LINKE Lüneburg
Lüneburg, den 07.06.2020
Es gibt keine schlechte Presse:
DIE LINKE. Fraktion ist empört über pressefeindliche Ratsmehrheit
Die Linksfraktion im Rat kritisiert das Verhalten von CDU, SPD und FDP und aller
Dezernenten der Stadt bei der vergangenen Ratssitzung. Die gewählten VertreterInnen
der Parteien erklärten geschlossen, dass Sie im Rahmen der Ratssitzung keine Film-
oder Tonaufnahmen von sich erstellt haben wollten.
Fraktionsvorsitzender Michèl Pauly zeigt für dieses Verhalten kein Verständnis: „Gerade
in Corona-Zeiten ist Öffentlichkeit nur begrenzt durch persönliche Anwesenheit
herzustellen. Daher sind in diesen Zeiten Videoaufnahmen und auch Livestreams ein
wichtiges Mittel um der Öffentlichkeit zu ermöglichen, das Verhalten ihrer gewählten
Vertreterinnen und Vertreter zu kontrollieren. Wenn sich eine große Ratsmehrheit dem
verweigert, zeigt mir das nur, dass Sie sich für ihr eigenes Verhalten im Rat schämen.
Auch darf man nicht zwischen liebsamer und unliebsamer Presse unterscheiden. Wer
das tut, wird sich damit eher in der Nähe autokratischer Regime als lebendiger
Demokratien bewegen.“
Auch die Erläuterung durch den Rechtsdezernenten Markus Moßmann, wonach
aufgrund niedersächsischer Datenschutzrichtlinien generell keine Livestreams erlaubt
seien, ist Pauly nicht schlüssig: „Oldenburg oder Wolfsburg haben selbstverständlich
Livestreams ihrer Sitzungen, ebenso wie viele andere niedersächsische Städte. Also
entweder diese Städte verhalten sich alle rechtswidrig, oder aber die Erläuterungen von
Hr. Moßmann waren einmal mehr falsch.“
Christoph Podstawa kritisiert auch das Vorgehen der Verwaltung, die mit einer engen
Gesetzesinterpretation eine Bürgerfrage zu Rassismus bei einem SPD-Mitglied beiseite
schiebt: „Nach einer berechtigen Kritik an einem rassistischen Kommentar zeigt das
SPD-Ratsmitglied den Kritiker an. Er stellt eine Frage und die Verwaltung argumentiert,
dass solch eine Frage nicht zulässig sei, weil es kein stadtrelevantes Thema sei. Wenn
die Verwaltung Diskussion verhindern möchte, haut sich den Fragenden irgendwelche
Paragraften um die Ohren und tut so als wäre ihre Interpretation die einzig gültige. Das
Thema Rassismus ist für uns aber nicht vom Tisch. Wir bereiten zur nächsten
Ratssitzung einen Antrag vor.“