Ein Bericht mit Bildern von Rollfender Widerstand Aktive Cécile alias Eichhörnchen
Die letzten Wochen waren für viele Klimaaktivist*innen sehr bewegt. Schön, traurig, schockierend zugleich.
Schön, die Solidarität untereinander, der Zusammenhalt in den WGs der besetzten (Baum)Häuser, Scheunen und Hallen in Lützerath.
Schön, die gemeinsame Vision einer anderen solidarischen Gesellschaft, ohne fossilen Energieträgern, ohne Diskriminierungen (der Kampf gegen Ableismus zählt explizit dazu!), jenseits von Kapitalismus, von Profit über Menschen. Schön die gelungenen Aktionen, selbst der kleinste Stachel im Arsch des Kohlestaates.
Traurig, die Zerstörung eines Ortes für die Interessen von Konzern und Politik. Besagte Politik die uns weiß machen will, dass es keine Alternative zur Abbagerung von Lützerath gibt, dass der Kohleausstieg 2030 eine tolle Sache ist. Und selbst darauf kann sich Mensch nicht verlassen, siehe die Pseudo-Debatte um den Atomausstieg, die Laufzeitverlängerungen für 3 Meiler und der unbefristete weiterbetrieb der Uranfabriken in Gronau und Lingen. Traurig zu wissen, dass wir uns mit der Abbagerung von Lützerath ein Stück näher an der Klimakatastrophe befinden. Selbst das 1,5 Grad Ziel, das an sich schon nicht reicht um die Klimakrise gänzlich abzuwenden, wird mit der weiter so Politik nicht erreicht.
Schockierend – wenn auch erwartbar – der Kohlestaat, die Polizeigewalt, die Willkür, die militärische Aufrüstung der Polizei.
Die Ereignisse und Erlebnisse der vergangenen Wochen haben mich an die Proteste gegen Atomtransporte ins Wendland, die Castortransporte erinnert.
Mitten in dem Trubel waren Aktive von Rollfender Widerstand. Denn wir möchten uns genauso wie alle anderen Menschen am Protest beteiligen und überwinden dafür die Barrieren gemeinsam.
Aktivismus und Inklusion in Lützerath
LütziBleibt war nicht frei von Barrieren und Ableismus sowie Konflikten und Enttäuschungen darüber. Aber es wurde im Laufe der Zeit eine Struktur aufgebaut, die Barrieren auf der Schirm hatte. Ich selbst war vor ca. einem Jahr in Lützerath für einen Vortrag über Aktivismus und Inklusion, Ableismus.
Im Dorf selbst wurden ein paar Wege für Rollstuhlnutzende zugänglich gemacht, möglichst barrierearme Unterkünfte geschaffen. Für mich waren die Bedingungen trotzdem schwierig. Ich habe nicht immer Assistenz gefunden, um dorthin zu kommen. Ich war deshalb nur gelegentlich vor Ort. Lützi war für mich ein Ort wo sowohl Utopien gelebt wurden als auch gesellschaftliche oder bewegungsinterne Konflikte ausgetragen wurden. Ein belebter Ort. Und dieses Lützerath lebt auch nach der Zerstörung des Ortes, in vielen Köpfen weiter. Der Widerstand geht weiter.
Auf dem unser aller Camp UAC
Beim Unser aller Camp habe ich mich darüber gefreut, dass es Ansprechpartner*innen zu Barrierefreiheit gab. Vor Ort konnte Mensch genauso wie für anderen Aufgaben eine Schicht mitübernehmen. Die Crew Barrierefreiheit hatte die Aufgabe nach Barrieren ausschau zu halten, Betroffene zu fragen was benötigt wird. Zb zusätzliche Gehwegplatten an bestimmten Stellen um den Matsch zu überwinden, Lademöglichkeit für eine Rollstuhlbatterie, etc. Es gab dort ein barrierearmes Zelt. Ich hatte nach einem Bett gefragt und eins war da als ich ankam, ich habe mich gefreut. Es gab auch Orte für Menschen die Ruhe benötigen, Neurodivergente die Kombination Rollstuhl-Nutzer*in und Bedarf nach Ruhe wurde leider nicht mitgedacht, eine Anregung für das nächste mal dies auf dem Schrim zu haben! Die Küche für Alle war super, Essen wurde für mich extra gekocht (Rheumadiät). Die Rollstuhl-Toilette war dagegen leider viel zu klein. Aber nachdem dies gemeldet wurde, die Maßen für eine ausreichend große Toilette durchgegeben wurden, wurde innerhalb von einem Tag eine Toilette gebaut. Und mit der Unterstützung Nicht-Behinderter Aktivistis lies es sich gut nächtigen und Aktionen planen auf dem Camp. Auch wenn es für mich sehr anstrengend war, die klamme Feuchte zog die rheumakranken Gelenke ein. Aber war nun mal keine Alltags- sondern Aktionssituation.
Ableistische Polizeigewalt
Bei der Räumung des Dorfes Lützerath selbst hat sich die Polizei wie so oft ableistisch verhalten. Eine behinderte Person wurde aus einer WG geräumt und dabei gegen ihren Willen von ihrer Vertrauensperson getrennt. Ihre Versorgungs- und Kommunikationsmöglichkeit wurde ihr dadurch genommen, da das Aktivisti seine Assistenz zum Übersetzen braucht. Die Person wurde von ihrem Rollstuhl getrennt geräumt und anschließend im Matsch eine Weile Liegen gelassen, ohne dass sie sich da selbstständig weg bewegen konnte, was die Polizei wusste. Zum Überfluss wurde sie dann zur mobilen Gefangenensammelstelle geführt und die Fingerabdrücke ohne jegliche Rechtsgrundlage und mit Gewalt (der Mensch hat starke Spastik) genommen – obwohl sie ihre Personalien angab.
An anderer Stelle, bei der Großdemonstration bekam die « Rollstuhl Gang » (wie einige Beteiligten unsere Bezugsgruppe nannten) also Aktivistis von Rollfender Widerstand, zu hören, behinderte haben hier auf der Demo, auf dem Feld nichts zu suchen.
Barrieren überwinden – Großdemo
Wir haben die Barrieren gemeinsam überwunden, die polizeilichen und die physischen. Die Menschen im Rollstuhl wurden getragen, das Lastenrad durch den Matsch geschoben. Darin saß eine Person, die wegen ihrer chronischen Erkrankung wenig sitzen kann und viel liegen muss. Sie hat sich ein kleines Bett im Lastenrad eingerichtet gehabt und konnte somit teilhaben. Wir kamen bis an den Zaun, ich fand mich hinter der Polizeikette direkt am Zaun wieder… tja wie bin ich den da hin gekommen?
Dort entstand das Titelbild der Frankfurter Rundschau vom 16.1.23. wo Polizisten mich weg trugen, sie meinten ich würde den Einsatz durch meine Anwesenheit hinter den Polizeilinien stören. Ach ja… dann bleibe ich hier, sagte ich dazu. Mein mini-Banner war sogar in der Zeitung sichtbar « überall Polizei – Nirgendwo Gerechtigkeit ».
Und so war das auch. Keine Klimagerechtigkeit, dafür viel Polizeigewalt. Ich habe zum Glück keinen Schlag abbekommen, aber es gab die eine oder andere bedrohliche Situation, als die Polizei plötzlich los rannte, die Menge angriff. Denn mit unseren Rollstühlen können wir nicht einfach so umdrehen und weg fahren und laufen die Gefahr überrannt zu werden. Ich kam bei einem solchen Einsatz durch die Polizeikette und ein mal druch fuhr ich weiter zum Zaun. Da ich vorne saß, lief ich nicht die Gefahr von der Masse zerdrückt zu werden. Von der Polizei schon. Leute um mich haben mich geschützt als die Polizei die Menschen weg drückte. Und der Rollstuhl lässt sich nicht schnell bewegen… Die Polizei war ratlos, wollte den Einsatz gegen die Masse nicht abbrechen. Ich wurde also sitzen gelassen und saß plötzlich hinter der Polizeikette. Dies passierte später ein weiteres mal. An dem Tag habe ich viel Polizeigewalt gesehen, viele Verletzte bei den Demonstrant*innen.
Widerstand geht weiter – Kletteraktion
Wir waren wütend auf die Polizeigewalt, auf die Zerstörung, auf NRWE. Es hat im laufe der Woche immer wieder Demos gegeben, wodurch die Polizeibewegungen auf der Landstrasse verlangsamt wurden – Unterstützung von Außerhalb für die Menschen in Lützi. Ein Rollstuhltanz vorm Panzer kann dafür gut sein.
Am 16.1.2023 haben Menschen von Rollfender widerstand dann eine Kletteraktion durchgeführt. Sie kletterten mit und ohne Rollstuhl an einer Brücke mit einem Banner « Lützi lebt ». Die Zufahrt zum Tagebau wurde somit (teils) versperrt und der Schichtwechsel der Polizei etwas durcheinandergewirbelt.
Die alarmierte Feuerwehr verzichtete auf eine Räumung nachdem die Aktivistis ihr erläuterten, dass es sich um keinen Notfall handele. Der TMHT (Klettereinheit) der Bundespolizei räumte schließlich die Kletternden. Zuvor waren die Demonstrierenden am Boden geräumt worden – hier wurde wieder eine Assistenz-Übersetzungs-Person einer behinderten Person entfernt. Die Polizei war dann nicht in der Lage das Aktivisti zu verstehen…
Nach der Räumung wurden die Personalien festgestellt. Gut, meine kannte die Polizei schon. Menschen die keine Personalien angaben, wurden nach Lex Hambi für mehrere Tage verhaftet.
ableistische Fragen
Es war viel Presse vor Ort, ich habe nach der Aktion einige Interviews gegeben. Ableistische Fragen gab es da auch: Ob die Behinderten da nicht für einen Zweck missbraucht werden?
So schwer für Nicht-Behinderte zu begreifen, dass die Klimakrise uns Behinderte genauso – wenn nicht mehr – betrifft? Dass wir freiwillig selbstbestimmt da sind. Dass wir uns wie andere Menschen auch am Protest beteiligen. Tja wir stellen die Vorurteile der ableistischen Gesellschaft auf den Kopf. Diese meint wir sollen / können nur zu Hause bleiben.
Crash, crip time
Viele von uns sind nach den Tagen in und um Lützerath im Crash. Da gehört zu vielen chronischen Erkrankungen. Der Körper braucht länger um zu regenerieren, bei einigen Erkrankungen kann das sogar zu einer Verschlechterung dieser führen. Ich liege derzeit sehr viel im Bett, bin noch schneller als sonst erschöpft, meine Gelenke schmerzen. Ich merke, dass ich über meine Grenzen gegangen bin. Aber ich konnte und wollte es nicht anders. Ich werde mich davon erholen und mache weiter. Denn Wut gegen das System, dass die Klimakrise, den Betrieb von Kohlekraftwerken möglich macht, habe ich zu genüge und noch die Hoffnung Dinge verändern zu können. Wer kämpft kann gewinnen, wer nicht kämpft hat schon verloren. Und es war einer empowernde aktivistiche Erfahrung, Barrieren mit vielen tollen Menschen zu überwinden!
Eichhörnchen, 29.01.2023
Verwendung der Bilder: mit Quellenangebe (diese steht auf dem Bild oder in der Überschrift, wenn nix steht dann Cécile Lecomte). Nicht kommerzielle Zwecke CC BY-SA
Danke für deine Eindrücke! Und gute Besserung!
Voll der schöne Text – Danke für alles, was du tust!