Unter dem Motto „jetzt oder nie Polizeigesetz stoppen“ gingen am vergangenen Samstag Menschen in Hannover auf die Straße. Lüneburger Kletteraktivist*innen entrollen bei der Auftaktkundgebung ein 50qm großes Banner mit der Aufschrift „Überall Polizei, nirgendwo Gerechtigkeit #noNPOG“
Anlässlich der Verabschiedung des Gesetzes im Parlament diese Woche, bekräftigt die Aktionsgruppe ihre Kritik am Gesetz in einer Aktionserklärung.
Am 11.5.2019 haben wir das sich über der Auftaktkundgebung befindliche Baugerüst erklommen und entrollten ein großes Transparent, um noch ein mal kräftig zum Ausdruck zu bringen, dass wir weder ein neues Polizeigesetz noch die Polizei als solche brauchen und wollen. Mit immer neuen Gesetze wird der Polizei immer mehr Befugnisse und Macht zugesprochen. Für uns kann dies nur Willkür bedeuten. Die Situation ist jetzt schon so, dass die Polizei regelmäßig ihre Macht missbraucht.
Am Samstag sorgte die Polizei für unnötige Eskalation, als sie uns aufforderte, das Baugerüst mit dem vorgeschobenen Vorwurf des Hausfriedensbruchs, zu verlassen. Das Betreten eines frei zugänglichen Baugerüstes – in das Baugerüst führt ein Fußgängerweg – ist nach der einschlägigen Rechtsprechung kein Hausfriedensbruch. Hinzu kommt, dass Demonstrationen selbstverständlich auch in der dritten Dimension stattfinden dürfen. Wir haben von unserem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit Gebrauch gemacht. Mehr nicht. Dafür wurden aber unsere Personalien aufgenommen und in die Polizeidatenbank gespeichert. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Polizei solche Anträge in einer Polizeidatei dafür nutzt, künftige präventive Maßnahmen wie mehrtägigem Gewahrsam oder Überwachung mit besonderen technischen Mittel durch eine Antiterroreinheit, nämlich dem MEK (Mobiles Einsatzkommando), zu begründen. Das wird „Gefahrenprognose“ genannt. Solche Maßnahmen sind bereits nach der jetzigen Gesetzeslage möglich. Das neue Gesetz verschärft und erweitert deren Anwendung. Missbrauch ist vorprogrammiert, denn er gehört bereits zum Alltag polizeilicher Arbeit. Je mehr Macht die Polizei bekommt, desto gefährdeter sind unsere Grundrechte.
Wir haben als politisch engagierte Menschen in der Vergangenheit bereits mehrere willkürliche rechtswidrige polizeilichen Maßnahmen nach dem aktuellen Sicherheit- und Ordnungsgesetz erlebt. Drei von 4 an der Kletteraktion am Samstag beteiligten Aktivist*innen haben vor wenigen Wochen ihren jüngsten Gerichtsbeschluss über eine rechtswidrige präventive polizeiliche Ingewahrsamnahme nach dem Sicherheits- und Ordnungsgesetz erhalten. Sie waren anlässlich einer Abseilaktion gegen eine Veranstaltung der Bundeswehr auf dem Lüneburger Marktplatz in Gewahrsam genommen worden. Der Beschluss ist aber nur ein Stück Papier, dass eine Freiheitsberaubung nicht wieder gut macht. (1)
Kletteraktivistin Cécile Lecomte, die an der Aktion am Samstag beteiligt war – entgegen der Meldung der Polizei auf Twitter waren nicht nur männlich definierte Personen beteiligt! – berichtet in ihrem Buch „Kommen Sie da runter!“ über zahlreichen präventiven Maßnahmen, die sie als Umweltaktivistin erlebt hat: mehrtägiger präventiver Gewahrsam um eine vielleicht Ordnungswidrigkeit anlässlich eines Castor-Transportes zu verhindern, präventive Überwachung durch ein Mobiles Einsatzkommando, etc. (2)
Hier sieht man, dass es nicht wie die Politik uns glauben lassen will, um „Terrorismusbekämpfung“ geht. Oder sind Umweltaktivist*innen, Kriegsgegner*innen, Antifaschist*innen nun „Terroristen“?
Frau Lecomte wurde gar von 2012 bis 2016 als „relevante Person“ durch die Lüneburger Polizei geführt. „Relevante Personen“ sind neben „Gefährder“ die ersten Adressaten des neuen Polizeigesetzes. Im Falle von Frau Lecomte weigerte ihr die Polizei zunächst Auskunft über gespeicherte Daten, um dann, um eine Klage abzuwenden, die Auskunft doch zu erteilen und schließlich den Eintrag zu löschen, weil er jeglicher Grundlage entbehrte. (3) Solche Einträge kann aber die Polizei jederzeit erneut vornehmen. Denn die Begriffe „Gefährder“ oder „Relevante Person“ sind juristisch nicht genau definiert und sehr dehnbar. (4) Darauf beruht aber das neue Polizeigesetz und die zahlreichen tief greifenden Grundrechtseinschränkungen, die damit einhergehen.
Mit Besorgnis sehen wir auch die Ausrüstung der Polizei mit neuen Waffen wie Taser. In Bundesländern, in denen diese Waffe eingeführt wurde, gab es kurz nach Einführung bereits die ersten Todesfälle, nämlich in Rheinland-Pfalz (5) und vergangenen Woche in Hessen (6). Menschen mit gesundheitlichen Beschwerden sind insbesondere durch diese Waffe gefährdet. Aber die Polizei prüft nie und niemals den Gesundheitszustand einer Person bevor sie schießt!
Deutschland feiert 70 Jahre Grundgesetz – Alle reden davon, wie toll das Grundgesetz ist – doch wenn immer weitere willkürliche menschenrechtsfeindliche Gesetze verabschiedet werden, ist das Papier nichts wert.
Mit jeder Verschärfung der Gesetze macht unsere Gesellschaft einen weiteren Schritt in Richtung einer Autokratie. Der gesellschaftliche Rechtsruck macht es möglich, dass autoritäre Fantasien nun in Gesetze verpackt werden können. Wenn wir gegen das Polizeigesetz demonstrieren, dann ist unsere Kritik nicht nur gegen dieses Gesetz gerichtet. Wir sehen die Institution der Polizei als kritisch an. Die Polizei ist nicht dafür da für die Sicherheit von uns allen zu sorgen, sondern die bestehenden Verhältnisse abzusichern. Das bedeutet die Polizei steht dafür, dass Menschen abgeschoben werden, die Umwelt ausgebeutet wird und 1% der Menschheit mehr besitzt als der Rest der Welt. Dies widerspricht unseren Vorstellungen einer gerechten und hierarchiefreien Welt.
Das Gesetz wird verabschiedet werden und die Polizei mehr Befugnisse erhalten. Dies ist uns genauso klar, wie den Parteien, die das beschließen werden. Die verstärkte Repression wird aber nicht unseren Willen brechen dagegen Widerstand zu leisten, was wir als ungerecht ansehen. Wir werden weiter demonstrieren, klettern und blockieren.
Diktaturen kommen auch durch Wahlen und Gesetze an die Macht. Freiheit stirbt mit Sicherheit.
Der Gesetzestext ist hier in voller Länger zu finden: https://freiheitsfoo.de/2019/05/06/npog-endgueltige-fassung/
Fußnotizen
(1) Pressemitteilung vom 6.5.19 zum rechtswidrigen Gewahrsam
(2) „Kommen Sie darunter! Kurzgeschichten aus dem politischen Alltag einer Kletterkünstlerin“ ISBN 978-3-939045-23-6 Verla
g Graswurzelrevolution
(3) Siehe „Einstufung einer Umweltaktivistin als Relevante Person, LKA kriegt kalte Füße“
(4) Anfrage über das Portal „fragdenstaat“
(5) Siehe: http://amnesty-polizei.de/toter-nach-taser-einsatz/
(6) Siehe: https://www.hessenschau.de/panorama/ermittlungen-gegen-polizisten-nach-taser-einsatz,ermittlung-gegen-polizisten-nach-taser-einsatz-100.html
Die Bilder sind von der Aktionsgruppe, außer das erste Bild, das ist von Freiheitsfoo
Niedersächsischer Landtag verabschiedete heute ein offensichtlich verfassungswidriges neues Polizeigesetz …
Heute hat der Niedersächsische Landtag das neue Polizeigesetz für Niedersachsen („NPOG“) verabschiedet.
Zur Kritik daran haben wir das meiste bereits gesagt/geschrieben/hier veröffentlicht. Das NPOG ist in Teilen offensichtlich verfassungswidrig. SPD und CDU (und die ebenfalls dafür stimmende AfD) bekümmerte das heute nicht. Im Gegenteil. So frohlockt und droht die CDU Niedersachsen, die sich selber als „Treiber“ (wofür auch immer!) bezeichnet, wie folgt:
Von juristischen Fragen der Verfassungswidrigkeit abgesehen stellt das NPOG allerdings einen Paradigmenwechsel in mehrfacher Hinsicht dar. Eine unvollständige und nicht systematisierte Aufzählung:
Man könnte vieles mehr dazu schreiben, doch hier soll es dabei belassen werden.
Stattdessen nachfolgend die Verweise und Verlinkungen zu den derzeit verfügbaren Quellen des aktuellen Standes des NPOG-Gesetzes (die Veröffentlichung einer für Nicht-Juristen verständlichen Gegenüberstellung von NdsSOG versus NPOG wird nach wie vor aktiv ver- und behindert). Und abschließend die Weiterverbreitung der Aktionserklärung einer Gruppe von Kletteren und einer Kletterin, die im Zuge der dritten noNPOG-Großdemo am letzten Samstag ein großes Transparent an einem öffentlich zugänglichen Baugerüst angebracht haben. Dem darin Gesagten ist unsererseits nichts hinzuzufügen.
Verweise zu aktuell verfügbaren Dokumenten, die das NPOG beschreiben: