Fiese Tricks von Bahn und Justiz – Fortsetzung am 12. Juni
Im Berufungsprozess gegen zwei ROBIN-WOOD-AktivistInnen, die sich am 30. August 2010 aus Protest gegen das Projekt Stuttgart 21 an der Besetzung eines Abrissbaggers am Nordflügel des Stuttgarter Hauptbahnhofs beteiligt hatten, fiel am 24. Mai vor dem Stuttgarter Landgericht – entgegen aller Erwartungen – kein Urteil.
Der Grund: Herr Alfons Plenter, ein zum heutigen Verhandlungstag als Zeuge geladener Verantwortlicher der Deutschen Bahn blieb – unentschuldigt – der Verhandlung fern.
Weil das Gericht auf die Vernehmung des Zeugens besteht, wurde die Verhandlung nach Verlesen von Schriftstücken aus den Akten und die Bekanntgabe von Entscheidungen über Beweisanträge der Angeklagten auf dem 12. Juni um 9 Uhr vertagt. Die Verteidigung wies erneut daraufhin, dass aus den schriftlichen S21-Bauverträgen hervor geht, dass zur Tatzeit das Hausrecht nicht bei der Auftragnehmerfirma Wolff und Müller, – die gegen die Angeklagten Strafantrag gestellt hat, sondern bei dem Auftragsgeber, der Deutschen Bahn, lag.
Dem Antrag der Verteidigung, das Verfahren durch ein Freispruchsurteil auf Grund von mangelnden Verfahrensvoraussetzungen (§ 260 III StPO) lehnte das Gericht aber ab. Kleiner Trotz: gegen den nicht erschienenen Zeuge Plenter wurde ein Ordnungsgeld von 500 Euro, ersatzweise zwei Tage Haft verhängt. Dies dürfte aber sein Manager-Lohn wenig belasten.
„ Nur, weil ein wichtiger Bahnmanager, Herr Plenter, sich vor den Fragen der Verteidigung drückt und das Gericht an eigentlich bereits schriftlich vorliegenden Fakten herum drehen will, müssen wir einen sechsten Verhandlungstag in Kauf nehmen. Wenn das Verfahren keine politische Brisanz hätte, wäre es schon lange wegen Geringfügigkeit eingestellt worden. Allein um den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren. Es geht hier um kein Verbrechen, sondern um eine friedliche Protestaktion gegen S21.“ Erklärt Cécile, eine der beiden Angeklagten. Jedes Mal muss die Lüneburgerin die lange Reise nach Stuttgart auf sich nehmen.
Zu allem Überfluss wird der Zeuge nun für den 12. Juni erneut geladen. Obwohl sowohl Staatsanwaltschaft als auch die Verteidigung erklärt haben, auf den Zeugen verzichten zu wollen. Das Gericht besteht auf seine Vernehmung. Aus den schriftlichen Bauverträgen und einem schriftlichen Gesprächsprotokoll zwischen Polizei und S21Firmen ist zu entnehmen, dass die Bahn der Firma Wolff und Müller vorschreibt, wem sie Zutritt auf dem Grundstück gewähren darf und wem nicht. Dies spricht für einen Freispruch, weil kein rechtsgültiger Strafantrag gegen die Angeklagten vorliegt. Daran soll die Vernehmung des Zeugen Plenter etwas ändern – und aus einem bereits aktenkundigen Schreiben von Herrn Plenter geht klar hervor, dass dieser an einer Verurteilung der Angeklagten Interesse hat.
Die Angeklagten kritisieren das Verhalten des Gerichtes, das die Verhältnismäßigkeit zwischen schwere der verhandelten Tat und Aufwand und Kosten des Verfahrens außer Acht lässt.
„ Es wird ausschließlich zur Belastung Beweis erhoben. Das sehe ich nicht nur an der Befragung der Zeugen, sondern auch an der heutigen Ablehnung unserer Beweisanträgen. Tatumstände, wie die gewaltsame Räumung durch die Polizei oder den versammlungsrechtlichen Charakter der Protestaktion wurden als irrelevant abgetan – obwohl für die Strafzumessung nach § 46 StGB von Bedeutung – das werden ich in einer Stellungnahme rügen“, kündigt Cécile an.
Die Verhandlung wird am 12. Juni um 9 Uhr fortgesetzt. Herr Plener wurde erneut geladen. Für den Fall eines erneuten Nicht-erscheinens kündigte der vorsitzende Richter seine polizeiliche Vorführung. Es sollte dieses mal zu einem Urteil kommen. Die Plädoyers stehen bereit. Und alle Beteiligten rechnen damit, dass der Fall dann in die Revision geht. Eine never ending Storry. Hallo geht’s noch? Stand auf dem Transparent bei der Baggerbesetzung durch die AktivistInnen. Der Spruch ist noch aktuell.
Danke an die ZuschauerInnen für ihre warme Unterstützung.
Danke an das Gericht für die Einladung nach Stuttgart zum Protest gegen die Tagung der Atomlobby. Der Termin lag günstig dafür. Aber im Ernst: Geht’s noch? Wisst ihr was Verhältnismäßigkeit bedeutet? Mich würde interessieren wie viel diesen absoluten Verfolgungswillen dem Staat so kostet.
Und immerhin: Stillschweigende Anerkennung der Absurdität der Eingangskontrollen heute. Die Sicherheitsverfügung wonach Plüschtiere ab einer Höhe von 50cm als potentiellen Wurfgeschossen untersagt sind gilt zwar noch, aber weder Angeklagten noch das Publikum wurden heute darauf untersucht. Und es flog kein Plüschtier durch den Saal!
Mehr Infos: http://blog.eichhoernchen.fr/tag/S21