Über die Verhandlung meiner Klage vor dem Lüneburger Verwaltungsgericht habe ich im Juli berichtet. Es ging um die Sprengung einer Versammlung durch die Polizei. Ca. 10 Menschen wollten gelbe Xe als Zeichen des Widerstandes in Bäumen an der Castor-Bahnstrecke einen Monat vor dem CASTOR-Transport aufhängen, die Polizei verhinderte dies indem sie die Kletterausrüstungen sämtlicher AktivistInnen sicherhstellte. Ich war zu diesem Zeitpunkt bereits im Baum, ich wollte aber nicht alleine demonstrieren! Aus diesem Grund reichte ich vor dem Verwaltungsgericht eine Klage ein.
Das schriftliche Urteil liegt mir inzwischen vor. Mit der mündlichen Urteilsverkündung konnte ich nicht viel anfangen. Jetzt, dass die Urteilsgründe mir schriftlichen Urteilsgründe vorliegen steht fest: das Urteil ist für die Beklagte Polizei eine Schlappe! Ich habe selten so klare Worte von einem Gericht gelesen: Unglaubwürdige Polizeizeugen, die den Stellenwert von Art. 8 verkennen.
Die Polizei darf eine Versammlung nicht zu einer nicht-Versammlung, erklären und diese stören, nur weil sie keine sieht oder sehen will. Für die verantwortlichen Beamten hat das Urteil keine Folgen – Dummheit schützt Polizisten vor Strafe. (ich plagiere die TAZ).
Ich zitiere aus dem Urteil und kommentiere. Das Urteil im Volltext gibt es darüber hinaus als PDF (25 Seiten!)
Die Feststellungen:
Es wird festgestellt, dass die am 29. Oktober 2011 von der Beklagten im Tiergarten in Lüneburg an der Bahnstrecke Lüneburg-Dannenberg durchgeführten Sicherstellungen von Kletterausrüstungen sowie das Anfertigen von Videoaufzeichnungen von der Klägerin rechtswidrig waren.
Der Sachverhalt
Der Sachverhalt aus Sicht der Klägerin (in Person des Eichhörnchens)
„Sie behauptet, zu Beginn des Treffens seien neben den Kletterausrüstungen auch gelbe « Xe » aus Holz sowie Plakate ausgepackt worden. Diese seien für Passanten und auch die Polizeibeamten ohne Weiteres sichtbar gewesen. Das Besteigen des Baumes durch die Gruppe habe nicht nur eine reine Kletterübung sein, sondern auch dem Abhalten einer Versammlung i.S.d. Art. 8 Abs. 1 GG dienen sollen. Dies sei auch aus den Gesprächen innerhalb der Gruppe hervorgegangen, die in normaler und damit für die Polizeibeamten hörbarer Lautstärke geführt worden seien. Überdies habe sie die Polizeibeamten aus dem.Baum heraus während der Sicherstellung der Kletterausrüstungen ihrer Begleiter wiederholt darauf hingewiesen, dass die Durchführung einer Versammlung auf dem Baum beabsichtigt gewesen sei und diese nun durch die Beamten würde. Weiter behauptet sie, durch die Sicherstellung der Kletterausrüstungen ihrer Begleiter sei ihre Sicherheit gefährdet worden. Wäre sie auf dem Baum in Not geraten, hätte ihr niemand zügig zu Hilfe kommen können.
Die Klägerin meint, ihr Recht aus Art 8 Abs. 1 GG sei durch die Sicherstellung der Kletterausrüstungen ihrer Begleiter verletzt worden. Gleiches gelte im Hinblick auf die Identitätsfeststellungen bei den übrigen Gruppenmitgliedern. Ferner sei auch das Filmen der Gruppe nicht zulässig gewesen. Die Gruppe habe sich friedlich verhalten und es sei nicht anzunehmen gewesen, dass von ihr eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehe.“
Der Sachverhalt aus Sicht der Beklagten (die Polizei) – Siehe hierzu mein Bericht über die Verhandlung: „Die Konstruktion einer Nicht-Versammlung“.
„Sie behauptet, gelbe « Xe » oder Plakate seien von der Gruppe nicht in nach außen sichtbarer Weise mitgeführt worden. Die Gruppe habe auch sonst nicht den Eindruck vermittelt, als würde sie eine Versammlung abhalten oder abhalten wollen. Die Teilnehmer des Treffens seien sogar ausdrücklich nach dem Vorliegen einer Versammlung gefragt worden und hätten dieses verneint. Die Beklagte ist der Ansicht, die Klage sei schon unzulässig: Da eine Versammlung nicht vorgelegen habe, seien Rechte der Klägerin durch die Sicherstellung der Kletterausrüstungen ihrer Begleiter nicht berührt. Soweit die Klägerin nur gelegentlich von den Filmaufnahmen erfasst worden sei, fehle es an einem für die ZuIässigkeit der Klage erforderlichen Feststellungsinteresse. Insbesondere liege weder eine Wiederholungsgefahr noch ein schwerwiegender und tiefgreifender Grundrechtseingriff vor. Die Sicherstellung der Kletterausrüstungen sei aber jedenfalls zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für den Bahnverkehr erforderlich gewesen. Vom Bestehen einer gegenwärtigen Gefahr habe die Beklagte insbesondere im Hinblick auf « Kletteraktionen » der Klägerin in der Vergangenheit – so etwa das Abseilen von einer Brücke im Jahr 2008, durch das der regionale Bahnverkehr für mehrere Stunden behindert gewesen sei – ausgehen müssen. Das Filmen der Gruppe sei nach deren heftiger Reaktion auf die Identitätsfeststellung und die Sicherstellung gerechtfertigt gewesen, da mit Straftaten gegen die Polizeibeamten habe gerechnet werden müssen.“
Zulässigkeit
Meiner Klage wurde soweit zulässig statt gegeben. Das Gericht war der Meinung, dass ich hinsichtlich der Personalienfeststellung der VersammlungsteilnehmerInnen kein Klagebefügnis habe, weil ich nicht betroffen war (ich bin „amtsbekannt“, meine Personalien wurden nicht überprüft)
Ein anderer Streitpunkt war, dass ich der Meinung war, meine Klage habe sich nicht nur gegen die Landespolizei sondern auch gegen die Bundespolizei gerichtet. Das Gericht machte daraus eine Klage gegen die Landespolizei und vergass die Bundespolizei. Das Gericht schreibt nun dass ich mein Klageantrag eindeutiger hätte formulieren müssen und in der Lage gewesen wäre das zu korrigieren, deshalb bleibt es bei der Beklagten Landespolizei. Na gut, ich kann damit leben.
„ Hierzu wäre die Klägerin, die zwar keine formale juristische Ausbildung durchlaufen hat, in juristischen Angelegenheiten aber durchaus – wie nicht zuletzt ihr schriftsätzlicher Vortrag im vorliegenden Verfahren zeigt – nicht unbewandert ist, ohne Zweifel in der Lage gewesen. „
Aus den Entscheidungsgründen
[…]
Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammenzukommen. Der Schutzbereich ist dabei nicht nur dann betroffen, wenn eine Versammlung verboten oder aufgelöst wird, sondern auch dann, wenn die Art und Weise ihrer Durchführung durch· staatliche Maßnahmen beschränkt wird (BVerfG, Beseht. v. 19.12.2007 – 1 BvR 2793/04 -, juris, Rn. 14; VG Göttingen, Urt. v. 06.11.2013 – 1 A 98/12 -, juris, Rn. 19).
aa. Eine Versammlung ist gemäß § 2 Abs. 1 NVersG eine ortsfeste oder sich fortbewegende Zusammenkunft von mindesten zwei Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (ebenso zum Versammlungsbegriff des Art. 8 Abs. 1 GG BVerfG, Beseht. v. 07.03.2011 – 1 BvR 388/05- juris, Rn. 12; Beseht. v. 10.12.2010- 1 BvR 1402/06- juris, Rn. 19; Beschl. v. 19.12.2007- 1 BvR 2793/04- juris, Rn. 14). Die Klägerin und ihre Begleiter hatten die Absicht, sich an der öffentlichen Meinungsbildung zu beteiligen, indem sie an der Caster-Transportstrecke befindliche Bäume erklettern und an diesen gelbe Kreuze in X-Form als Symbol für di~ Ablehnung der Atomenergie im Allgemeinen und der Castor-Transporte in das Wendland im Speziellen anbringen. Das Handeln der Klägerin und ihrer Begleiter stellt sich dabei als Kundgebung – eine Zusammenkunft, mittels derer die Teilnehmer ihre gemeinsame Überzeugung zeigen (UIIrich, NVersG, 2011, § 2, Rn. 25) – dar.
Klettern ist auch eine Form der Meinungsäußerung! 🙂
Dem Versammlungscharakter des Zusammentreffens steht nicht entgegen, dass das Erklettern von Bäumen und Anbringen gelber Kreuze in X-Form zum Zwecke der gemeinsamen Meinungskundgabe eine eher ungewöhnliche Form der Versammlung darstellt. Denn hinsichtlich der Art und Weise der Ausgestaltung der Versammlung besteht Typenfreiheit, die Versammlungsfreiheit umfasst als spezifisches Kommunikationsgrundrecht auch die Befugnis zum Einsatz besonderer und ungewöhnlicher Ausdrucksmittel (OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 02.05.2006,- OVG 1 B 4.05 -, juris, Rn. 29; VG Frankfurt, Beschl. v. 06.08.2012-5 L 2558/12.F -, juris, Rn. 19; Dietel/Gintzel/Kniesel, VersG, 15. Aufl. 2008, § 1, Rn. 54; Ullrich, NVersG, 2011, § 2, Rn. 29).
Ebenfalls unschädlich ist, dass die Versammlung der zustä
ndigen Behörde im Vorfeld nicht angezeigt wurde. […]
Die Schilderungen der Zeugen der Klageseite
„bb. Die Kammer ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung der Überzeugung, dass im Zeitpunkt der Sicherstellung der Kletterausrüstungen zum Vorliegen einer Versammlung führende Tatsachen gegeben waren. Die Zeugen M., L. und H. haben in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend geschildert, dass man sich getroffen habe, um gegen den Castor-Transport zu protestieren und hierbei das Klettern zu üben. […]
Dass die Gruppe um die Klägerin (mindestens) ein Protestplakat dabei hatte, wurde von der Beklagten nicht in Abrede gestellt. Dass die Gruppe außerdem mehrere gelbe Holzkreuze in X-Form in nach außen hin sichtbarer Weise mit sich führte, steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kammer fest. Die Zeugen M., L.t und H. Haben übereinstimmend angegeben, die Gruppe um die Klägerin habe gelbe Holzkreuze in X-Form mit sich geführt. Glaubhaft erscheinen diese Aussagen insbesondere deshalb, weil […]“
Aussagen der Polizeizeugen zweifelhaft
Gerichte neigen dazu, Polizeibeamten eher zu glauben und AktivistInnen dagegen als unglaubwürdig einzustufen. Das Gericht muss also über das Aussageverhalten der Polizeibeamten ganz schön sauer gewesen sein, um die folgenden Feststellungen zu treffen!
„Zwar haben sowohl der Zeuge Reinke als auch der Zeuge Schulz angegeben, sie hätten Holzkreuze am 29. Oktober 2011 nicht wahrgenommen oder könnten sich nicht erinnern, an diesem Tag bei der Gruppe um die Klägerin.solche Kreuze gesehen zu haben. Der Zeuge Schulz hat indes angegeben, dass er bei Sichtung der von ihm angefertigten Videoaufzeichnungen durchaus ein gelbes Holzkreuz in dem Baum, auf dem sich die Klägerin befand, habe erkennen können. „
[…]
Im Übrigen spricht auch das von der Klägerin mit dem Schriftsatz vom 4. März 2012 vorgelegte Foto, auf dem sowohl im Gras liegende Holzkreuze in X-Form als auch Polizeibeamte erkennbar sind, dafür, dass die Gruppe um die Klägerin Holzkreuze der genannten Art mit sich geführt hat.
Demgegenüber ergeben sich Zweifel im Hinblick auf die Angaben der Zeugen Reinke und Schulz, weil diese sich nur teilweise an Einzelheiten der Geschehnisse am fraglichen Tag erinnern konnten und sich im Übrigen die Aussagen dieser Zeugen nicht widerspruchsfrei ineinander fügen. […]Ferner stehen die Aussagen der Zeugen Reinke un·d Schulz in Widerspruch, soweit es um den Zeitpunkt des Eintreffens des Polizeidirektors Brauer geht.[…] “
Wann beginnt eine Versammlung?
cc. Die Versammlung hatte im Zeitpunkt des Tätigwerdens der Beklagten auch bereits begonnen. […]
Das Klettern sollte gerade Teil und besondere Ausdrucksform der Kundgebung sein. Für den Beginn einer Versammlung bedarf es keiner formellen Eröffnung durch einen Versammlungsleiter, ebenso ist der rein tatsächliche Beginn einer Versammlung möglich. Anderenfalls bestünde die Möglichkeit, dass eine Spontanversammlung, als welche auch die hier in Rede stehende Versammlung einzustufen sein könnte, gar nicht beginnen kann.[…]“
Auch wenn die Polizei keine Versammlung sehen will, ist es doch eine!
„dd. Entgegen der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung sinngemäß geäußerten Auffassung ist der Klägerin auch nicht etwa deshalb ein Berufen auf Art. 8 Abs. 1 GG und § 1 Abs. 1 NVersG verwehrt, weil die vor Ort handelnden Beamten das Zusammentreffen der Gruppe um die Klägerin nicht als Versammlung wahrgenommen hätten, es im Polizeirecht aber stets auf die ex-ante-Sicht des handelnden Beamten ankomme. Denn die ex-ante-Sicht des handelnden Beamten ist nicht für die Frage maßgeblich, welche Rechte einem Betroffenen.zustehen; die Frage des Bestehens oder Nichtbestehens eines (Grund-)Rechtes richtet sich nach rein objektiven Gesichtspunkten. Von Bedeutung ist die ex-ante-Sicht des handelnden .Beamten vielmehr bezüglich der Frage nach dem Vorliegen von ein hoheitliches Einschreiten erfordernden Gegebenheiten, dem Vorliegen einer Gefahr (vgl. hierzu etwa Denninger, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, D, Rn. 47). Ob ein bestimmtes Verhalten in den Schutzbereich eines bestimmten Grundrechtes fällt, ist jedoch unabhängig davon zu beantworten, ob eine Gefahr gegeben ist; insbesondere steht das Vorliegen einer Gefahr nicht der Eröffnung des Schutzbereiches eines Grundrechtes entgegen. Besteht eine Gefahr, ist vielmehr zu prüfen, ob, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang deren Vorliegen einen Eingriff in den objektiv zu bestimmenden grundrechtliehen Schutzbereich zu rechtfertigen vermag.[…]
Videoüberwachung ist nicht zulässig
[…]b. Klagebefugt ist die Klägerin ferner, soweit sie sich gegen die durch die Beklagte von ihr gefertigten Videoaufzeichnungen wendet. Insoweit besteht zum einen die Möglichkeit der Verletzung der Rechte der Klägerin aus Art. 8 Abs. 1 GG, § 1 Abs. 1 NversG. Das Anfertigen der Videoaufzeichnungen hatte möglicherweise die Eignung, eine Einschüchterungswirkung zu erzeugen, die dazu veranlassen konnte, der Versammlung entweder vollständig fern zu bleiben oder sich im Rahmen der Versammlung in einer Art und Weise zu verhalten, die den handelnden Beamten genehm erschien. Darüber hinaus ist auch eine Verletzung des Rechtes der Klägerin auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) denkbar.[…]“
Realitätsfremd sind die Ausführungen zur Identitätsfeststellung, als würde die Feststellung der Personalien einer Gesamten Menschen,menge keine Verzögerung und Sprengung einer Versammlung verursachen… Die Personaleinfeststellung war rechtswdrig, aber das Gericht meint dass ich nicht betroffen war, dass die Leute jeweils hätten klagen müssen…
„Die Identitätsfeststellungen bezogen sich nicht auf die Klägerin selbst. Mangels Adressatenstellung der Klägerin käme die Herleitung einer Klagebefugnis vorliegend – wie auch hinsichtlich der Sicherstellung der Kletterausrüstungen – allein aus der Möglichkeit einer Verletzung der Rechte der Klägerin aus Art. 8 Abs. 1 GG und § 1 Abs. 1 NVersG in Betracht. Eine solche Verletzung kann jedoch in jeder Hinsicht ausgeschlossen werden. Anders als durch die Sicherstellung der Kletterausrüstungen wurde durch die Identitätsfeststellungen die· Durchführung der Versammlung nicht unterbunden, wesentlich erschwert oder auch nur erheblich verzögert. […]Selbst wenn diese geringfügige Verzögerung von der Klägerin als lästig empfunden worden sein sollte, wurde die Schwelle zu einem Eingriff in die Versammlungsfreiheit durch die Identitätsfeststellungen nicht überschritten.[…] “
Das Gericht sieht keine Wiederholungsgefahr (was ich bezweifele,
es gibt nicht nur Kletterdemos gegen Castortransporte sondern auch gegen Bauprojekte, etc.) Ein Feststellungsinteresse habe ich trotzdem.
Letztlich kann die Frage nach dem Vorliegen einer Wiederholungsgefahr aber offen bleiben. Denn nach dem Gebot der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes muss die Möglichkeit bestehen, einen Grundrechtseingriff gerichtlich prüfen zu .lassen, wenn die Grundrechtsausübung entweder unmöglich gemacht oder wenigstens erheblich beeinträchtigt wurde (BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 – 1 BvR 461/03 -, juris, Rn. 36 ff.).
Im Falle der Verneinung des Feststellungsinteresses wäre der Klägerin ein Rechts-schutz gegen die Sicherstellungen aber versagt. Der Klägerin wurde durch die Sicherstellung der Kletterausrüstungen ihrer Begleiter die Möglichkeit genommen, eine bereits begonnene Versammlung fortzusetzen. Damit war ihr Recht aus Art. 8 Abs. 1 GG, § 1 Abs. 1 NVersG im Kern und nicht nur unerheblich in Randbereichen betroffen. Die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG gebietet in derart gelagerten Fällen die Bejahung eines Feststellungsinteresses (vgl. BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004 – 1 BvR · 461/03 -, NJW 2004, 2510, 2511 f.; BVerwG, Urt. v. 23.03~1999- 1 C 12/97 -, juris, Rn. 13). Dies gilt insbesondere im Hinblick auf- hier streitgegenständliche – polizeiliche Maßnahmen (BVerwG, Urt. v. 29.04.1997 – 1 C 2/95 -, juris, Rn. 21 ).
Ebenso verhält es sich hinsichtlich des Anfertigens der Videoaufzeichnungen. Betroffenes Grundrecht ist insoweit nicht nur das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), sondern daneben ebenfalls das Recht aus Art. 8 Abs. 1 GG (vgl. VGH BW, Urt. v. 26.01.1998 – 1 S 3280/96 -, NVwZ 1998, 761, 762; VG Berlin, Urt. v. 05.07.2010-1 K 905.09-, juris, Rn. 13) und§ 1 Abs. 1 NversG.“
Das Gericht schreibt dann warum die Klage begründet ist – und wiederholt sich… ich picke das Wesentlich heraus.
Der Grundrechtsträger entscheidet selbst wie und mit wem er sich versammelt:
a. lnfolge der Sicherstellung der Klettererausrüstungen konnten die Begleiter der Klägerin nicht mehr wie vorgesehen in an der Bahnstrecke Lüneburg-Dannenberg befindliche Bäume steigen und dort als Zeichen ihrer Ablehnung der Atomindustrie und der Castor-Transporte die am Tag zuvor angefertigten gelben Holzkreuze in X-Form anbringen. Die weitere Durchführung der Versammlung wurde damit tatsächlich unterbunden.
Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin die Möglichkeit hatte, einen Baum zu erklimmen, dort über den Einsatz der Beklagten hinaus zu verbleiben und auch (mindestens) ein gelbes Holzkreuz anzubringen. Denn sowohl Art. 8 Abs. 1 GG als auch § 1 Abs. 1 NVersG geben ein Recht, sich zu versammeln. § 1 Abs. 1 NVersG formuliert sogar noch deutlicher « mit anderen Personen zu versammeln ». Wenn die Beklagte sich entschied, die Klägerin in dem Baum zu belassen und ihr die Möglichkeit zu geben, dort weiter ungehindert tätig zu werden, so mag zwar die Meinungsfreiheit’ der Klägerin aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbs. GG uneingeschränkt geblieben sein; bei der Ver-
sammlungsfreiheit handelt es sich aber gerade um die « Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe » (BVerfG,. Beschl. v. 15.05.1985 – 1 BvR 233/81 -, juris, Rn. 63; BVerfG, Beschl. v. 17.02.2009- 1 BvR 2492/08-, juris, Rn. 131), die durch die Sicherstellung der Kletterausrüstungen der Begleiter der-Kiägerin beschränkt wurde.[…]“
Eingriffe in eine Versammlung sind nicht nur dessen Auflösung, das Filmen ist schon ein Eingriff
b. Auch das Anfertigen von Videoaufzeichnungen der Klägerin stellt einen Eingriff in die Rechte der Klägerin aus Art. 8 Abs. 1 GG, § 1 Abs. 1 NVersG dar. Ein Eingriff in die Versammlungsfreiheit ist nicht erst dann zu bejahen, wenn die Versammlung verboten, aufgelöst oder- wie hier- anderweitig unterbunden wird, sondern schon dann, wenn die Art und Weise der Durchführung der Versammlung durch hoheitliche Maßnahmen beschränkt wird oder von diesen eine Wirkung ausgeht, die den Einzelnen davon abhalten kann, von seiner Versammlungsfreiheit Gebrauch zu machen (BVerfG, Beschl. v. 12.05.2010-1 BvR 2636/04-, juris, Rn. 15; VerfGH Berlin, Urt. v. 11. April2014- 129/13-, juris, Rn. 48).
Was ist denn eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung?
„bb. Ferner kommt als Rechtsgrundlage für den Eingriff in die Versammlungsfreiheit der Klägerin auch § 8 Abs. 1 NVersG nicht in Betracht. Nach dieser Bestimmung kann die zuständige Behörde eine Versammlung unter freiem Himmel beschränken, um eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren. Eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bestand im Zeitpunkt des Einschreitens der Beklagten jedoch nicht.
Der Gefahrenbegriff des NVersG ist dem des allgemeinen Polizeirechts nachgebildet (Ullrich, NVersG, 2011, § 8, Rn. 18; Wefelmeier, in: Wefelmeier/Miller, NVersG, 2012, § 8, Rn. 23). Grundsätzlich wird demnach das Vorliegen einer Sachlage verlangt, bei der im einzelnen Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit und Ordnung eintreten wird (§ 2 Nr. 1 lit. a Nds.SOG). Das in § 8 Abs. 1 NVersG zusätzlich enthaltene Merkmal der Unmittelbarkeit führt dazu, dass die Anforderungen an die Sicherheit der Beurteilungsgrundlage und den Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts erhöht werden, es bedarf nicht lediglich einer hinreichenden, sondern einer hohen Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts (Ullrich, NVersG, 2011, § 8, Rn. 19; Wefelmeier, in: Wefelmeier/Miller, NVersG, 2012, § 8, Rn. 24; ebenso zu§ 15 VersG: BVerfG, Kammerbeschl. v. 19.12.2007-1 BvR 2793/04-, juris, Rn. 20; BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985-1 BvR 233/81 -, juris, Rn. 91, 93). Der Schadenseintritt muss fast mit Gewissheit » zu erwarten sein (BVerwG, Urt. v. 25.06.2008- 6 C 21/07 -, juris, Rn. 14 zu§ 15 VersG).“
Zur von der Polizei behaupteten Gefährlichkeit des Eichhörnchens
„Diese Voraussetzungen erfüllende Umstände lagen im Zeitpunkt der Sicherstellung der Kletterausrüstungen nicht vor. Die Gefahrenprognose der Beklagten stellte allein ·darauf ab, dass die Klägerin ihrer Meinung bevorzugt im Zusammenhang mit Kletteraktionen Ausdruck verleiht, das Geschehen am « Castorstrecken-Aktionstag » sowie in einem Waldstück stattfand und die Klägerin im Jahr 2008 den Schienenverkehr durch das Abseilen von einer Brücke lahmgelegt hatte. Dazu ist festzuhalten, dass die beiden erstgenannten Umstände – das Klettern als bevorzugtes Protestmittel der Klägerin sowie das Stattfinden der Zusammenkunft am Castorstrecken-Aktionstag – nicht die Eignung aufweisen, auf einen Schadenseintritt hinzudeuten. Ein – wie die Beklagte es in ihrer Gefahrenprognose nennt – « Protestieren » stellt regelmäßig gerade die Ausübung der Versammlungsfreiheit, nicht aber einen Verstoß gegen di
e öffentliche Sicherheit oder Ordnung dar.“
[…]
Im Übrigen liegt das betroffene Waldstück im Lüneburger Stadtgebiet und ist damit entgegen der Auffassung der Beklagten nicht als abgelegen zu bezeichnen. Schließlich führt auch das Lahmlegen des Bahnverkehrs durch die Klägerin im Jahr 2008 nicht dazu, dass im Jahr 2011 – drei Jahre später – mit gewissheitsnaher Wahrscheinlichkeit von dem Eintritt eines Schadens für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung auszugehen war, wenn die Klägerin einen Baum – keine Brücke – an der Zugstrecke erklimmt, auf der in etwa einem Monat der Gastor-Transport stattfinden sollte. Mit einer derartigen Argumentation ließe sich ein Vorgehen gegen jede in der Nähe der Castor-Transportstrecke stattfindende Versammlung, an der die Kläger:in teilnimmt, stets und ohne weitere Untermauerung rechtfertigen.
Jep! Genau dies tut die Polizei ständig, deshalb hab ich geklagt… ob es in der Praxis was bringt… Ich glaube nicht das die Polizei lernfähig ist… Denn das Versammlungen Polizeifest sind vergisst die Polizei auch gerne. Daran erinnert das Gericht am Ende des Urteils:
„dd. Der von der Beklagten ursprünglich ausdrücklich – so in der Klageerwiderung vom 26. Januar 2012, aber auch nach dem Bericht des Zeugen Reinke vom 21. Novembe 2011 – als Rechtsgrundlage angeführte § 26 Nr. 1 Nds.SOG findet auf den in Rede stehenden Eingriff keine Anwendung. Versammlungsbezogene Gefahrenabwehrmaßnahmen richten sich nach dem NVersG. Dessen im Verhältnis zu den Regelungen des allgemeinen Gefahrenabwehrrechts speziellen Voraussetzungen für Versammlungen einschränkende Maßnahmen sind Ausprägungen des Grundrechts der Versammlungsfreiheit. Das NVersG geht dem Nds.SOG als Iex specialis vor mit der Folge, dass auf die Bestimmungen des Nds.SOG gestützte Maßnahme gegen eine Person unzulässig sind, solange diese sich in einer Versammlung befindet und sich auf die Versammlungsfreiheit berufen kann (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 10.12.2010- 1 BvR 1402/06 -, juris, Rn. 28; BVerfG, Kammerbeschl. v. 30.04.2007 – 1 BvR 1090/06 -, juris, Rn. 43; BVerfG, Kammerbeschl. v. 26.10.2004-1 BvR 1726/01 -, juris, Rn. 18; Dietel Gintzel/Kniesel, VersG, 15. Aufl. 2008, § 1, Rn. 192). § 26 Nr. 1 Nds.SOG findet auch nicht etwa deshalb Anwendung, weil es sich bei der Sicherstellung der Kletterausrüstungen um eine Maßnahme im Vorfeld der eigentlichen Versammlung gehandelt hätte. Vielmehr hatte die Versammlung – wie dargelegt – bereits begonnen. Es hatte nicht nur die Klägerin schon einen Baum bestiegen, sondern auch mehrere andere Teilnehmer hatten ihre Kletterausrüstungen bereits angelegt und waren im Begriff, mit dem Klettern zu beginnen. Die Kletterausrüstungen waren, um die Versammlung in der geplanten Art und Weise durchführen zu können, zwingend erforderlich.[…]“
Die Berufung gegen das Urteil wurde nicht zugelassen, ob die Polizeidirektion die Zulassung der Berufung beim OVG beantragt wird sich zeigen.