Vielfältiger Widerstand gegen das Atomklo in Bure
Par eichhörnchen le mardi 20 juin 2017, 09:17 - Artikeln - articles - Lien permanent
Eichhörnchen-Artikel aus GWR 420, Sommer 2017
Im lothringischen Bure kämpfen Atomkraftgegner*innen gegen die Einrichtung
eines großflächigen nuklearen Entsorgungszentrums und die Einlagerung von hoch
radioaktivem Müll in tiefen geologischen Tonschichten.
Das Großprojekt wurde CIGÉO getauft und wird von der ANDRA (Nationalagentur für
die Entsorgung von radioaktivem Müll) betrieben. Auch wenn das französische
Parlament im Juli 2016 beschlossen hat, dass CIGÉO gebaut wird, liegt für das
Projekt noch keine Baugenehmigung vor. Das hinderte die ANDRA nicht daran, im
Frühjahr 2016 mit Rodungsarbeiten in Mandres en Barrois zu beginnen. Der
dortige Wald, genannt Bois Lejuc, ist daraufhin Kristallisationspunkt des seit
zwei Jahren stetig wachsenden Widerstandes geworden. Aktivist*innen halten den
Wald seit dem Sommer 2016 besetzt (die GWR berichtete).
Der Winter war geprägt von direkten Aktionen gegen CIGÉO und juristischen
Auseinandersetzungen um den Wald.
Nach aktuellem Stand ist eine Räumung des besetzten Waldes in den kommenden
Wochen nicht unwahrscheinlich. Außerdem führt die ANDRA nun Bauarbeiten an
anderer Stelle durch. Vorbereitungsmaßnahme für den Bau der künftigen
CASTOR-Bahn sind in die Wege geleitet worden. Künftig sollen 130 Jahre lang
zweimal die Woche Castortransporte stattfinden.
Die Aktivist*innen freuen sich über Unterstützung.
Verankerung des Widerstandes
Das Haus des Widerstandes vom Verein Bure Zone Libre (BZL) ist längst nicht
mehr der einzige Ort des Widerstandes in der dünn besiedelten Gegend. Der
ehemalige Bahnhof von Luméville, wo es 2015 ein internationales und
antikapitalistisches Antiatom-Camp gab, ist inzwischen zu einem festen
Stützpunkt mit Zeltmöglichkeiten für Widerständige geworden. Immer mehr
Menschen lassen sich dauerhaft in der Gegend nieder und gründen in alten
Bauernhöfen politische Hausprojekte. Sie kämpfen gegen CIGEO an, indem sie
bäuerliche Landwirtschaft betreiben und Saatgut auf den Flächen der ANDRA
anbringen. Tausende Kartoffeln wurden in diesem Jahr gepflanzt. Immer mehr
Einwohner*innen trauen sich, ihre Opposition zu CIGEO öffentlich kund zu tun.
Ob direkte Aktionen oder Demonstrationen, die Menschen zeigen ihre
Entschlossenheit und es herrscht in den Aktionsformen große Vielfalt. Auch wenn
hin und wieder Spannungen zu spüren sind, das Zusammenwirken unterschiedlichen
Aktionsformen scheint gut zu funktionieren. So gehören Sabotageaktionen gegen
Anlagen der ANDRA regelmäßig zum Abschlussprogramm von ansonsten eher
bürgerlich geprägten Demonstrationen. Den Abend verbringt man dann gemeinsam
mit alternativen Kulturveranstaltungen.
Kristallisationspunkt des Widerstandes war in diesem Winter vor allem der
besetzte Wald von Mandres en Barrois. Boden- und Baumhäuser sind wie Pilze
gewachsen. Es wurde regelmäßig zu Kaffee und Kuchen im Wald eingeladen,
Wissenstransfer zum Beispiel in Sachen Aktionsklettern wurden angeboten. Eine
Gruppe Naturalist*innen ist dort ebenfalls aktiv. Sie sammelt Informationen
über seltene Pflanzen und Tiere und will somit den Naturschutz zum Gegenstand
diverser Klagen gegen das Bauprojekt machen. Sven, ein skandinavischer
Aktivist, hat seinen Wohnsitz im Wald gemeldet. Dies verhinderte über Monate
eine Räumung des Waldes, weil die ANDRA einen Räumungstitel vor Gericht
einholen musste. Dieser wurde Ende April erteilt. Seitdem ist die Waldbesetzung
erneut akut räumungsbedroht. Die Polizeihubschrauber zeigen sich täglich, die
Präfektur erlässt Bescheide, die die Polizei dazu ermächtigen, Fahrzeuge und
Menschen ohne Begründung zu kontrollieren.
Repression
Der Staat setzt außerdem auf Repression gegen einzelne, um den Widerstand zu
brechen. Ein Bauer, der im vergangenen Frühjahr seinen Viehwagen für
Materialtransporte bei der ersten Baumbesetzung zur Verfügung stellte, stand am
2. Mai vor Gericht. Der Prozess wurde vertagt. Sein Viehwagen bleibt
beschlagnahmt. Die Wegnahme von Arbeitsmitteln soll Landwirt*innen davon
abhalten, den Widerstand praktisch zu unterstützen.
Eine andere Strategie der Justiz ist es, Menschen durch Aufenthaltsverbote vom
Protest fern zu halten. In Frankreich werden seit einigen Jahren in
Einzelfällen (2015 waren dies ca. 1600 Fälle) Einreiseverbote in bestimmte
Departements (kleinere Regionen, Frankreich besteht aus 90) bei der Verkündung
von Bewährungsstrafen als Auflage erteilt. Häufig werden diese mit hohen
Bewährungsstrafen versehen, um die Hemmschwelle, gegen diese zu verstoßen, zu
erhöhen. Der Staat erhofft sich davon eine Einschränkung der Handlungsmacht
widerständiger Personen und die Eindämmung sozialer Kämpfe durch räumliche
Isolation.
Um gegen diese besonders perfide Art der Repression zu protestieren, zogen Ende
März 2017 etwa 40 Menschen von Bure aus los, um gemeinsam mit einem vom
Einreiseverbot betroffenen Genossen symbolisch die Grenze zum Departement zu
überschreiten. Der Aktivist hat aufgrund seiner Beteiligung an
Widerstandsaktionen im vergangenen Sommer eine Bewährungsstrafe von sechs
Monaten erhalten. Er darf das Meuse Département zwei Jahre lang nicht betreten
und geht mit diesem öffentlichen Verstoß gegen die Auflagen das Risiko einer
Verhaftung bewusst ein.
Juristischer Thriller
Der juristische Thriller hat auch interessante Aspekte. Auch wenn die ANDRA
Ende April einen Räumungstitel gegen die Waldbesetzer*innen erlangen konnte,
ist selbst auf juristischer Ebene das letzte Wort nicht gesprochen. Geräumt
werden dürfen nämlich nur Flächen, die der ANDRA gehören. Bei dem Bois Lejuc
sind die Eigentumsverhältnisse allerdings höchst umstritten. Die Gemeinde von
Mandres en Barrois hat ihren Wald mit einem anderen Wald der ANDRA getauscht.
Es gehört zur Strategie der ANDRA, ganze Landstriche zu erwerben, um diese dann
gegen Flächen, die sie für CIGÉO benötigt, zu tauschen.Verantwortlich für das
Tauschgeschäft ist Herr Hance, ein ANDRA-Mitarbeiter, der im Januar 2017 Benzin
auf eine durch Demonstrant*innen verteidigte Barrikade im besetzten Wald goss
und dabei gefilmt wurde.
Der Beschluss des Gemeinderates, mit dem die ANDRA das Eigentum über den Wald
Bois Lejuc 2015 erlangte, wurde Ende Februar 2017 durch das Verwaltungsgericht
auf Grund von Formfehlern für nichtig erklärt. Der Beschluss kam zustande,
obwohl die Dorfbewohner*innen sich zwei Jahre zuvor in einem - unverbindlichen
- Referendum klar gegen das CIGÉO-Projekt positioniert hatten. Die
Gemeinderatssitzung fand - aus Furcht vor Protesten - soweit wie möglich von
der Öffentlichkeit abgeschirmt statt. Einwohner*innen klagten gegen den
Beschluss und bekamen nun recht.
Das letzte Wort ist in der Sache noch nicht gesprochen. Das Gericht hat der
Gemeinde eine viermonatige Frist zur Behebung der Formfehler gesetzt. Der
Bürgermeister, der keinen Hell daraus macht, dass er GIGÉO befürwortet, hatte
für den 18. Mai 2017 eine erneute Abstimmung über den Waldtausch angesetzt. Bei
vielen Ratsmitgliedern ist ein Interessenkonflikt offensichtlich. Sie selbst
oder Familienmitglieder arbeiten für die ANDRA. Oder sie haben ihren Hof der
ANDRA verkauft und dürfen ihre Flächen mit Genehmigung der ANDRA weiter
bestellen, so lange sie den Mund nicht aufmachen und bis die ANDRA die Fläche
für ihr Bauvorhaben tatsächlich in Anspruch nimmt. CIGÉO-Gegner*innen
prangerten die Interessenkonflikte an und riefen zu Protesten vor dem Rathaus
auf. Ca. einhundert Demonstrant*innen kamen – und genauso viele Gendarmen, die
die Straßen um das Rathaus hermetisch absperrten. Es wurden vier Meter hohen
Absperrungen eingerichtet. Die Militärpolizei ging mit Schlagstöcken und
Tränengas mitten im 120-Einwohner*innen-Dorf gegen die CIGÉO-Gegner*innen vor.
Die Ratsmitglieder sprachen sich mit 6 zu 5 Stimmen für den Tausch des Waldes
aus. Nun wollen Einwohner*innen erneut gegen die Entscheidung klagen.
Wem gehört der Wald? Uns!
Nach Einschätzung der Aktivist*innen vor Ort ist eine zeitnahe Räumung des besetzten Waldes wahrscheinlich.In diesem Fall wird dazu aufgerufen, sich am selben Abend um 18 Uhr vor dem Widerstandshaus in Bure zu versammeln. Menschen, die weiter weg wohnen, sollen vor der Präfektur oder vor dem Konsulat ihren Protest zum Ausdruck bringen. Eine Großdemo soll dann folgen. Dezentrale Aktionen gegen die an CIGEO beteiligten Unternehmen sind ebenfalls erwünscht. Genannt seien an dieser Stelle: Vinci, Eiffage, Edf, Andra, AREVA, CEA.Weitere Widerstandsaktionen sind in Planung. Vom 16. bis zum 26. Juni 2017 wird dazu eingeladen, Widerstandsnester in den Bäumen zu bauen. Für den Sommer wird zum Jahrestag der Fall der Mauer mobilisiert. Nachdem das Verwaltungsgericht im vergangen Sommer die Rodungsarbeiten der ANDRA auf Grund einer fehlenden Rodungsgenehmigung für rechtswidrig erklärt hatte, rissen Aktivist*innen die zum Schutz der Rodungsarbeiten eingerichtete Mauer am 14. August 2016 nieder. Vom 11. bis zum 13. August findet ein Anti-CIGÉO-Festival „Les burelesque“ statt. Am 14. August dann der Abschluss mit einer Demonstration.Kommt nach Bure! Der Widerstand braucht Eure Unterstützung!Eichhörnchen
Informationen:
http://www.eichhoernchen.ouvaton.org/de/atom/bure.html
http://de.vmc.camp/
http://www.burefestival.org/