Versammlungsgrundrecht in Corona-Zeiten durchsetzen

Ich erläutere, wie Lüneburger Aktivistis es geschafft haben, trotz versammlungsfeindlicher NI-Corona-Verordnung eine Kundgebung anzumelden und bestätigt zu bekommen.

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#LeaveNoOneBehind Demo in Lüneburg am 4.4.2020

Am Beispiel einer erfolgreichen wenn auch stark eingeschränkten #leaveNoOneBehind-Kundgebung in Niedersachsen.

Ich erläutere heute, wie Lüneburger Aktivist*innen es geschafft haben, trotz des implizierten Versammlungsverbotes in der aktuellen niedersächsischen Corona-Verordnung eine Kundgebung anzumelden und bestätigt zu bekommen. Es war ein längeres Hin und Her zwischen der Anmelderin (und ihrem Anwalt), dem Ordnungsamt (Versammlungsbehörde) und dem Landkreis Bereich Gesundheit. Dieser Text kann als kleine Handreichung zur künftigen Anmeldung und Durchführung eigener Versammlungen nützlich sein, jedenfalls für politische Versammlungen in Niedersachsen.

Der gefährliche Ruf nach dem starken Staat

Mit dem Erlass von Allgemeinverfügungen und Verordnungen und der Änderung des Infektionsschutzgesetzes im Zuge der Corona-Pandemie sind die Proteste der Zivilgesellschaft auf der Straßen zum großen Teil verstummt. Doch nach der anfänglichen Schockstarre mehren sich die Stimmen, die das Geschehen kritisch hinterfragen und pauschale Versammlungsverbote nicht mehr hinnehmen wollen. Gesundheitsschutz ist notwendig. Der Schutz weiterer Grundrechte ist aber ebenfalls notwendig. Es muss eine Abwägung stattfinden (können) und auf die Verhältnismäßigkeit geachtet werden. Es steht schon fest, dass manch eine Maßnahme und Verordnung über das Ziel des Gesundheitsschutzes hinaus schießt und mehr die autoritären Macht-Kontroll-Phantasien einiger Politiker*innen bedient. Kurzfristig ist es eine erfolgreiche politische Strategie, in Krisenzeiten sind die Leute anfällig für den starken Staat.

Aber ist es die Lösung zur Krise? Haben wir bei der Abwägung alle „Opfer“ im Blick, ist es richtig, die Zählung auf die direkt durch das Virus betroffenen Personen zu beschränken? Sind am Ende die Langzeitwirkungen nicht schädlicher als das Virus?

Wie sieht es mit Vereinzelung der Menschen aus? Mit der Suzid-Statistik in Folge dessen? Mit Gewalt in den Familien, die nicht mehr sichtbar und bekämpft wird? Mit der langfristigen Auswirkung auf Grundrechte? Ist der Einsatz der Bundeswehr im Inneren nicht ein gefährlicher Dammbruch? Wie lange wird es dauern? Wie sieht es mit der Abwägung der Grundrechte aus, mit der Verhältnismäßigkeit? Wie lange können die Menschen Einschränkungen aushalten, ohne dass es zwangsläufig zu Unruhen kommt? Wie lange halten es Menschen in kleinen Wohnungen ohne Garten aus? Und die Obdachlosen, wo können sie hin? Und die Geflüchteten?

Gesellschaftlicher Schnellkochtopf

Zu viele rigide Einschränkungen können kontraproduktiv sein. Ich sehe die Gesellschaft als einen Schnellkochtopf. Wenn der Dampf nicht herausgelassen wird, explodiert er – irgendwann.

Wir brauchen wenug Schutz: ausreichend (genug) Schutz mit so wenig Einschränkungen wie möglich.

Ein totales Versammlungsverbot ist in diesem Zusammenhang meiner Meinung nach kontraproduktiv und unverhältnismäßig.

Kontraproduktiv, weil das Bedürfnis da ist, Protest öffentlich auf der Straße zu artikulieren. Die Politik macht munter weiter, verabschiedet Gesetze, sieht tatenlos zu, wie die Menschen in Flüchtlingslagern auf Lesbos um ihr Leben kämpfen, und die Polizei missbraucht regelmäßig ihre neue Macht… Virtueller Protest, wie er nun vermehrt stattfindet, ist eine gute Sache, aber er reicht nicht aus.

Verbote sind kontraproduktiv, weil die Gründe für Protest da sind und die Menschen sich die Freiheit, diesen zu artikulieren nicht nehmen lassen. Wenn alles verboten bleibt, selbst zwei Menschen mit einem Banner nicht zusammen stehen dürfen, führt es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Auseinandersetzungen und Gefahren, die mit einer klaren ausgewogenen Regelung zur Ausübung des Versammlungsgrundrechts trotz Pandemie, vermeidbar wären.

Unverhältnismäßig sind die Verbote bei Versammlungen im Sinne von Art. 8 GG, weil sicheres Protestieren durchaus möglich ist.

Es wurden in Kiel, Flensburg und nun auch Münster Kundgebungen bestätigt, mit „Corona-Auflagen“ wie Abstand zwischen den Menschen, Mundschutz, etc. Diese Versammlungen sind störungsfrei und sicher abgelaufen. In jeder Schlange beim Supermarkt kommen sich die Menschen näher, als es bei den Kundgebungen der Fall war. Die Versammlungen unter Auflagen zu bestätigen, war verhältnismäßig.

An allen Orten, an denen Versammlungen systematisch verboten wurden, griff die Polizei unter Einsatz körperlichen Zwanges ein– auch gegen allein herumstehende Menschen mit Plakaten. Die Menschen haben trotz Verbot versucht ihren Protest im Rahmen der #LeaveNoOneBehind Kampagne auf der Straße sichtbar zu tragen. Die Menschen in den Lagern sind jetzt gefährdet, das kann nicht warten! Grundrechte bewahren sich erst Recht in Krisenzeiten! Der Eingriff der Polizei verursachte viel mehr Gefahren (die Beamt*innen trugen keinen Mundschutz) als es die Versammlungen getan hätten, wären sie unter den entsprechenden Corona-geeigneten Auflagen bestätigt worden.

Uneinheitliche Rechtslage bei politischen Versammlungen unter freiem Himmel

In Kiel und Flensburg waren Demonstrationen möglich, weil die dortigen Corona-Regelungen ein Ermessen bei der Anmeldung von Versammlungen vorsehen (Beispiel Anmeldebestätigung las PDF). In Münster hat ein Rechtsanwalt seine Handlungsreichung bezogen auf die Rechtslage in NRW veröffentlicht.

Bremen hat eine Regelung für Versammlungen getroffen, nach welcher diese grundsätzlich erlaubt sind und ein Verbot erst nach Abwägung in Frage kommt.

2. Öffentliche oder nichtöffentliche Versammlungen nach Art. 8 GG (unter freiem Himmel oder in geschlossenen Räumen) sind von dem Verbot ausgenommen. Sie sind, sofern es sich nicht um eine Eil- oder Spontanversammlung handelt, der zuständigen Versammlungsbehörde spätestens 48 Stunden vor ihrer Bekanntgabe fernmündlich, schriftlich, elektronisch oder zur Niederschrift anzuzeigen. Vor dem Hintergrund, dass in Bremen bereits kranke, krankheitsverdächtige und ansteckungsverdächtige Personen festgestellt wurden, kann die zuständige Behörde die Versammlung zum Zwecke der Verhütung und Bekämpfung des Corona-Virus verbieten, beschränken oder mit Auflagen versehen.

Allgemeinverfügung über das Verbot von Veranstaltungen, Zusammenkünften und der Öffnung bestimmter Betriebe zur Eindämmung des Coronavirus vom 23. März 2020

In Sachsen-Anhalt sieht die Regelung so aus:

§ 1 Abs. 5
Versammlungen unter freiem Himmel und in geschlossenen Räumen, oder Aufzüge unter freiem Himmel können nach Durchführung einer individuellen Verhältnismäßigkeitsprüfung durch die zuständige Versammlungsbehörde unter Beteiligung des zuständigen Gesundheitsamtes zugelassen werden. Dabei können über die in Absatz 4 Nm. 1 bis 5 hinausgehende Auflagen verfügt werden.

Zweite SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung vom 24. März 2020

Dies lässt mehr Spielraum für eine ausgewogene Entscheidung als ein pauschaler Verbot.

Zur Situation in Niedersachsen.

Niedersachsen hat eine Verordnung erlassen – diese wird alle paar Tage überarbeitet, doch das grundlegende Verbot von Zusammenkünften und Ansammlungen von mehr als zwei Personen bleibt bestehen

Das wurde durch die Versammlungsbehörden zum Anlass genommen, Versammlungen grundsätzlich zu verbieten. So zum Beispiel in Hannover. Das angerufene Verwaltungsgericht hat im Eilverfahren das Verbot bestätigt. In Zeiten, wo ein Großteil der Menschen nach dem starken Staat ruft, lehnen sich Gerichte nicht mit gewagten Entschiedungen aus dem Fenster, sondern verweisen auf später – erst in einem langwierigen Hauptsachverfahren könne das alles geklärt werden. Rechtsschutz jetzt und gleich gibt es nicht.

Wir lassen uns davon nicht einschüchtern und haben am 30.3.2020 eine Kundegebung zu den Menschenrechtsverletzungen in Lesbos für den 4.4.2020 angemeldet. Nach einer Woche hin und her zwischen der Anmelderin, den Behörden und dem Anwalt (er hat die Gruppe toll beraten!) wurde uns die Versammlung bestätigt.

Der Kniff: Die Corona-Verordnung untersagt Zusammenkünfte von mehr als zwei Personen. Damit ist eine Zusammenkunft im Sinne des Infektionsschutzgesetzes gemeint.

Es ist durchaus möglich, Versammlungskonzepte im Sinne des Versammlungsgesetzes zu entwerfen, die dem Gesundheitsschutz, den die Corona‑Verordnung bezweckt, gerecht werden. Weiträumig, aber in Sichtweite verteilte Zweiergruppen sind im Sinne der Verordnung eine Zusammenkunft von zwei Personen und im Sinne des Versammlungsgesetzes alle zusammen ein und die selbe Versammlung, weil die Menschen in Sichtweite zueinander stehen (vorliegend auf allen Seiten einer großen Kreuzung verteilt) und es einen inhaltlichen Zusammenhang gibt.

Anmeldung und Ummeldung

Nun der Reihe nach, damit Außenstehende das alles möglichst gut verfolgen können, die einzelnen Schritte:

AnmeLdung

Die Anmelderin hat in ihrer Anmeldung ihre Kundgebung mit „Corona-Auflagen“ versehen und sich dabei von Anmeldungen und Versammlungsbestätigungen aus Flensburg und Kiel inspiriert, da es dort alles entspannt abgelaufen war.

Die Anmeldung aus Lüneburg seht als PDF zur Verfügung (danke an die Anmelderin dafür).

Verbot durch Ordnungsamt und Landkreis

Das Ordnungsamt kündigte daraufhin ein Verbot an und verwies auf den Landkreis, Fachbereich Gesundheit (Scheiben als .jpg Bild)

Der Landkreis, der nicht für Versammlungen im Sinne von Art. 8.GG zuständig ist, nahm die Angelegenheit an sich. Meiner Meinung nach rechtswidrig, er darf die Versammlungsbehörde beraten, Gutachten erstellen, etc. Aber bei einer versammlungsrechtlichen Anmeldung ist es absurd, dass eine Behörde, die von Versammlungsrecht absolut keine Ahnung hat, über solchen Angelegenheiten Entscheidungen treffen darf.

Auszug aus dem Bescheid vom Landkreis

So sah auch der Bescheid des Landkreises, unterschrieben durch den ersten Kreisrat, aus. Ich habe mich beim Lesen gefragt, ob er nicht beim zu viel Bier trinken geschrieben wurde, so unsachlich und juristisch schlecht die Begründung war. Auch im weiteren Verlauf glänzte der erste Kreisrat nicht mit Sachlichkeit, als er schließlich die laufende Versammlung mit absurden Verfügungen störte (dazu unten mehr)

Damit wurde auf jeden Fall ein Verbot für die Versammlung ausgesprochen. Die Stadt, die ebenfalls einen Bescheid mit Verbot erlassen hatte, nahm diesen zurück als der Bescheid vom Landkreis kam.

Behördenintern scheint Uneinigkeit über Zuständigkeit geherrscht zu haben. Das liegt auch daran, dass die niedersächsische Corona-Verordnung sehr schlecht ist. Es steht nichts zu Versammlungen nach Art. 8 GG (ich rede hier nicht von Ansammlungen von Menschen) darin, auch nichts zu Zuständigkeiten. Es ist viel in die eine oder andere Richtung auslegbar, es gibt keine Rechtssicherheit und steht damit im Widerspruch zum Rechtsstaatsprinzip – selbst nach der Erfahrung, die wir nun in Lüneburg gemacht haben, steht das Versammlungsgrundrecht auf sehr wackeligen Beine.

Die Argumentation aus dem Bescheid vom Landkreis war eher eine politische als eine rechtliche (Siehe Auszug als Bild oben oder die PDF mit dem Bescheid). Der Landkreis wollte anstelle der Anmelderin bestimmen, wann es politisch an der Zeit ist, zu demonstrieren oder nicht. Er stellte für sein Verbot auf « das öffentliche Zeichen » das mit einer Demo gesetzt werde, ab. Der Landkreis störte sich an der möglichen Wirkung einer Versammlung. Dabei ist es aber Zweck von Art. 8 GG, die kollektive öffentlichkeitswirksame Kundgabe einer Meinung zu schützen.

Der VerbotsBescheid steht als PDF zur Verfügung.

Ummeldung

Der Bescheid wurde nicht angegriffen, sondern die Versammlung umgemeldet.

Der Anwalt riet zu mehr Auflagen, damit in der Anmeldung nichts steht, was für sich genommen gegen die Corona-Verordnung verstößt. Selbst wenn Versammlungen im Sinne von Art. 8 GG nicht aus der Niedersächsischen Verordnung explizit ausgenommen, war die Versammlung somit verordnungskonform und ein Verbot wäre nicht mehr mit der Verordnung rechtlich zu begründen gewesen. Eine Regelung wie in Bremen wäre allerdings deutlich besser und rechtssicherer. Nachbesserung würde der Niedersächsischen Verordnung nicht schaden!

Die Ummeldung steht als PDF zur Verfügung und kann für diejenigen, die eine eigene Kundgebung anmelden wollen, nützlich sein.

Die erste Anmeldung blieb also bestehen, ergänzt und verändert durch die Ummeldung.

Der Landkreis erklärte daraufhin dem Anwalt, dass sein Verbot die nun angemeldete Variante nicht mehr betreffe, da darin keine Verstöße gegen die Verordnung festzustellen seien, man werde aber die Umsetzung vor Ort überwachen.

Durch das Verteilen der Standorte, die mit jeweils nur bis zu zwei Personen besetzt werden, demonstrieren die Veranstalter sogar, dass sie der derzeitigen Lage gerecht werden möchten. Vor diesem Hintergrund greift der Landkreis Lüneburg die Änderung des Konzepts als Gesundheitsamt nicht auf und wird dazu im Moment keine Regelung treffen.

Landkreis Lüneburg

Versammlungsbestätigung

Die Stadt Lüneburg (Ordnungsamt) bestätigte dann die angemeldete-umgemeldete Versammlung, der Bescheid mit den Auflagen steht als PDF zur Verfügung.

Hinweis: es geht um Bestätigung, nicht um Genehmigung. Eine Versammlung darf unter Umstände verboten werden, muss aber nicht « gehemigt » werden. Sie muss angemeldet werden und oft kommt eine Bestätigung per (Auflagen)Bescheid. Wenn keine Bestätigung mit Bescheid kommt, gilt die Demo als bestätigt wie angemeldet.

Im Gespräch mit dem Anwalt wollte die Versammlungsbehörde das Erklimmen von Bäumen durch jeweils eine Person zu Protestzwecken (Banner, Megafon-Bedienung) untersagen. Ein Verweis auf das jüngste Urteil vom Verwaltungsgericht Lüneburg zu Kletterversammlungen, das keinen Monat alt ist, überzeugte die Behörde, weshalb kein Verbot von Baumklettern für die Kundgebung durch die Versammlungsbehörde erlassen wurde. (Urteil vom Verwaltungsgericht als PDF). Mit der Gesundheitsbehörde wurde darüber nicht explizit geredet, da sie nun nicht mehr für die Bestätigung der Versammlung zuständig war und Baumklettern nicht gegen die Corona-Verordnung verstößt, die Bäume hatten mehr als 2 Meter Abstand und es war jeweils eine einzige kletternde Person pro Baum am Straßenrand (nicht über der Strasse) eingeplant.

Schöne Kundgebung mit behördlicher Störung

Es kam schließlich zur Kundgebung, die so durchgeführt wurde, wie nun in den Auflagen stand. Das war schon hart für die Teilnehmer*innen so viele Einschränkungen zu akzeptieren, denn es erschwerte das Protestieren erheblich (das kann anhand der Anzahl an Auflagen im PDF nachvollzogen werden). Aber die Beteiligten waren froh überhaupt wieder auf der Straße zu stehen und ihre Meinung öffentlich wahrnehmbar kund zu tun. Sie waren auf einer großen Kreuzung verteilt, mit viel Autoverkehr und Fußgänger*innen, die auf dem Weg zum Wochenmarkt waren.

Die Kundgebung verlief an sich gut. Nur der erste Kreisrat vom Landkreis störte erheblich und verursachte zwischendurch etwas Chaos, weil seine Autoritären Verfügungen nicht wortlos ohne Protest hingenommen wurden.

Er kam an, als die Seile für’s Baumklettern bereits im Baum waren und ein Kletterer oben war. Der Kreisrat untersagt das Baumklettern, ohne Begründung. Die Polizei setzte dies um. Der Kletterer kam herunter, weil es nicht im Sinne der Demonstrant*innen war, mit Gewalt geräumt zu werden. Verbale Proteste gegen das willkürliche Verbot und das Intervenieren des Anwaltes halfen nichts, auch nicht die Unterlagen mit der ersten Anmeldung, im welcher das Baumklettern explizit erwähnt wurde, auch nicht die Mails zum Baumklettern mit anwaltlicher Versicherung zwischen dem Ordnungsamt als Versammlungsbehörde und dem Anwalt. Es war Willkür mit sofortiger Vollziehung auf Geheiß vom Landkreis. Dieser hat grundlos Einfluss auf die Gestaltungsfreiheit und Sichtbarkeit vom Protest genommen, obwohl es sich nicht um eine Gestaltungsform handelte, die gegen die Corona-Schutz-Regelungen verstieß.

Im Gegenteil, Baumklettern dürfte in Corona-Zeiten eine geeignete Form des Demonstrierens darstellen. Dies ist mit wenig Menschen möglich. Sowohl das Klettern als auch das Aufhängen des Banners erzeugen Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit für den Protest. Wenn die Sichtbarkeit bereits durch die eingeschränkte Teilnehmer*innenzahl eingeschränkt ist, sind Demonstrationsformen, die diese erhöhen und keine Corona-Gefahren verursachen, erst recht ein richtiger Ansatz.

Zwei Menschen reichen dafür schon aus. Mit ausreichend Abstand zueinander erklimmen sie jeweils einen Baum und kommen sich daher nicht ausversehen zu nahe. Wenn das Banner am Boden vorbereitet wird, kann es zudem auch ohne die Hilfe einer dritten Person direkt hochgezogen werden. Wenn Mensch eine Rettungsperson einplanen will, kann man eine Person aus dem gleichen Haushalt wählen, die nur im Notfall tätig wird. Aber wenn die Menschen ausgebildet sind… ist klettern letztlich nicht gefährlicher als Autofahren oder eine Straße überqueren. Ich wurde noch nie bei einer einfachen Banner-Aktion mit zwei Bäumen gerettet oder musste es für andere tun.

Es konnte bei der Versammlung schließlich durchgesetzt werden, dass das Banner hochgezogen wurde, wie es bei einer Fahne am Fahnenmast der Fall ist. Dies ging nur, weil wir vor Ankunft vom ersten Kreisrat Fakten geschafft hatten und die Seile schon im Baum waren. Das Megafon konnte nicht wie geplant hoch in den Baum, wo die Beiträge besser zu hören gewesen wären.

Gegen die Verfügung reiche ich Klage ein. Und bei der nächsten Kundgebung, an der ich mich beteilige, stelle ich mich auf ein Eilverfahren vor Gericht ein. Das war im vorliegenden Fall nicht möglich, da das Gericht Samstags nicht erreichbar ist – wenn kein Eilantrag vorab angekündigt wurde. Ich vermute, dass es zum »Spiel« des ersten Kreisrates gehört, eine Situation zu schaffen, in welcher so gut wie kein Rechtsschutz zu schaffen, wo so gut wie kein Rechtsschutz zu erlangen ist. Schließlich gehört der Kreisrat zur Spitze der Verwaltung … und hat zugleich ein Parteibuch (hier die SPD).

Der erste Kreisrat hat es im weiteren Verlauf der Kundgebung nicht dabei belassen. Sein Anliegen war es offensichtlich, Wirkung und Sichtbarkeit des Protestes einzuschränken. Es sei nicht die richtige Zeit für Demonstrationen, rechtfertigte er sein Eingreifen der lokalen Zeitung gegenüber.

Als nächstes kam ein Verbot, Musik mit dem MP3-Megafon abzuspielen. Musik könne Menschen aggressiv machen, das sei als Gewalt einzustufen und somit zu untersagen. Es war ein technisch schwieriges Unterfangen, der Verfügung nachzukommen, weil die Demonstrant*innen eine Playlist erstellt hatten, in der Redebeiträge (Es war Auflage diese vorzuproduzieren) und Musik miteinander vermischt waren. Es führte immer wieder zu Spannungen mit der Polizei. Die Beteiligten waren zudem sauer darüber, dass sich der Landkreis, der für Versammlungen nicht zuständig ist, in Gestaltung und Sichtbarkeit des Protestes willkürlich einmischte. Der Vorgang wird ebenfalls einen juristischen Nachspiel haben.

Auch wenn der erste Kreisrat zeitweise für Stress und Unruhe sorgte, ziehen die Beteiligten ein positives Fazit, immerhin haben sie ein wenig demonstrieren können. Es gab zahlreiche Reaktionen von Autofahrer*innen und Passant*innen.

Soweit ich weiß, war es die erste Demo in Niedersachsen, die in „Corona-Zeiten“ angemeldet und auch bestätigt wurde (andere wurden verboten, spontane Zusammenkünfte auch nur von zwei Person durch die Polizei angegangen, wie z.B. in Lüchow am gleichen Wochenende)

Es dürfte künftig mehr davon geben. Sowie andere Aktionen. Protest ist auch in Corona-Zeiten notwendig!

Update 11.4.: Es gab gleich am Samstag darauf die nächste Kundgebung in Lüneburg