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« Nicht in unserem Rücken – Für eine solidarische Antwort auf die Corona-Pandemie » die Initiative Shutdown Lüneburg hat heute eine Demonstration vom Stadtteil Kaltenmoor in die Innenstadt verantaltet (Aufruf). Die Demo war klein (bis 40 Demonstrant*innen) aber fein – abgesehen vom kalten-windigen-nassen-Hagel Wetter.
Es gab gute Redebeiträge, die ich nach und nach veröffentliche. Ich fange mit meinem Redebeitrag zum Thema Ableismus in der Corona-Pandemie an.
Redebeitrag
Beim Ableismus – aus dem Englischen to be able – es geht darum, wie nicht-behinderte Menschen das Leben von Menschen mit Behinderung bewerten; welche Bilder und Stereotypen sie im Kopf haben, wenn sie an behinderte Menschen denken. Es geht aber auch um die strukturelle Diskriminierung von Menschen mit Behinderung, um die täglichen Barrieren, die sie behindern. Menschen werden durch die Gesellschaft behindert.
Und dies erst recht in der Corona-Pandemie.
Die Corona-Pandemie macht es vielen Menschen mit Behinderung zu schaffen. Sie trauen sich oft nicht heraus, weil sie zur Risikogruppe gehören und einen schweren und möglicherweise tödlichen Covid19 Verlauf befürchten müssen. In Sache in Inklusion sind viele Sachen zu stillstand gekommen.
Kein Fortschritt ohne Lobby
Wir stehen am Bahnhof. Der ÖPNV ist ein gutes Beispiel dafür. Der barrierefreie Ausbau der Bushaltestellen geht in Lüneburg schon ohne Corona-Pandemie äußerst schleppend voran. 2020 wurden „coronabedingt“ lediglich 2 statt 7 Bushaltestellen barrierefrei umgebaut. Von 340 Haltestellen in der Hansestadt sind lediglich 76 barrierefrei umgebaut. Selbst die gesetzlichen Verpflichtungen werden missachtet. Barrierefreiheit steht oft nur auf dem Papier.
Hätten Menschen mit Behinderung eine Lobby, hätte die Politik angst vor ihren Protest, würden sich breite Teile der Gesellschaft sich für ihr Anliegen einsetzen, sehe es möglicherweise anders aus. Denn die Pandemie zeigt auch: Ist die Zielgruppe groß, ist vieles möglich. Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, die Online-Vorlesungen benötigen wurde vor der Pandemie seitens der Uni häufig gesagt, das könne man nicht umsetzen. Dann trifft uns diese Pandemie und die Universitäten bieten Online Vorlesungen, weil plötzlich 100 Prozent der Studenten betroffenen sind und nicht mehr nur eine Minderheit.
Gesundheit
Das Gesundheitssystem ist der Pandemie nicht gewachsen, Menschen mit Behinderung sind diejenigen, die unter diesen strukturellen Defizit leiden.
Ihre alltägliche medizinische Versorgung hat sich verschlechtert. Viele notwendige Operationen und Krankenhausaufenthalte wurden verschoben, weil es an Kapazitäten fehlt und das Infektionsrisiko bei einem stationären Aufenthalt für viele Menschen zu hoch ist.
Triage schwebt wie ein Damoklesschwert über den Betroffenen. Was passiert, wenn sie an Covid 19 schwer erkranken und alle Krankenhausbetten belegt sind? Wie wird entschieden, wer behandelt wird?
Es droht Triage. Einigen Berichte zur Folge hat dies sogar bereits manchenorts statt gefunden. Menschen ohne Behinderung, bei denen man eine höhere Überlebenschance gesehen hat, wurden bevorzugt. Dieses mag in einer Weise irgendwie pragmatisch klingeln. Aber es kommt auch daher, dass Teile der nicht behinderten Bevölkerung, Menschen mit Behinderung für weniger wertvoll halten und kein Problem damit hätten, sie sterben zu sehen, damit sie zurück zu ihrem normalen Leben kehren können. Damit sie ins Fitnessstudio, eine Bar, oder ins Kino können ohne Rücksicht auf Risikopatientinnen und vollen Krankenhäusern, die ihr Verhalten impliziert.
Heimpolitik
Für viele Politiker*innen braucht es keinen Abbau von Barrieren. Menschen mit Behinderung können in Heime leben, in Werkstätten für Behinderte arbeiten und alles wird gut. Die Menschen verschwinden aus dem Leben der Nicht-Behinderten Menschen. Darauf zielt die Politik von Gesundheitsminister Spahn. Das im Sommer intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz wurde gegen den Protest zahlreicher Interessenverbände verabschiedet. Künstlich beatmete Menschen werden dazu gezwungen, in Heimen zu leben. Viele Betroffene sagen, dass sie lieber sterben wollen, statt einsam fremdbestimmt weit weg von ihrem sozialen Umfeld zu leben. Der Minister begründet die neue Regelung damit, dass man die Pflege verbessern wolle, die Menschen seien in Heimen besser aufgehoben. Für diese Aussage gibt es keine Belege und wo die Heimpolitik in Pandemiezeiten führt haben wir nun gesehen. Die Heime und die Behindertenwerkstätten haben sich als Infektionsherde erwiesen. Im Heim leben wurde für viele Synonym von Todesurteil.
Jens Spahn will aber das Leben von Menschen mit Behinderung immer weiter fremdbestimmen und diese in stationäre Einrichtungen zwingen. Es liegt ein neuer Gesetzentwurf für eine Pflegereform vor. Es wird als Fortschritt verkauft, dass Pflegeldleistungen beider Verhinderungspflege erhöht werden sollen. Wenn eine pflegende Person verhindert ist, können Pflegebedürftige auf die Verhinderungspflege zurückgreifen und damit externe Hilfe oder ein stationärer Aufenthalt finanzieren. In Wirklichkeit wird der Betrag für stationäre Kurzzeitpflege erhöht und der flexibel selbstbestimmt einsetzbarer Betrag für Verhinderungspflege im häuslichen Umfeld stark gekürzt. Mangels Finanzierung für ambulante Unterstützung, müssen die Menschen künftig in Stationären Einrichtung wofür es dann mehr Geld gibt.
Impfverordnung
Diese Denklogik ist in der Corona-Impf-politik wieder zu finden.Wenn man die Corona-Impfverordnung durchschaut, könnte man glauben, behinderte Menschen wohnen ausschließlich in Heimen oder anderen Betreuungseinrichtungen.Je selbstbestimmter ein Mensch mit Behinderung lebt, desto schwerer die Bewältigung der Coronapandemie.Menschen mit Behinderung und oder chronischen Erkrankungen, die nicht in Heime wohnen und unter 70 Jahre alt sind, wurden in den sukzessiven Impfverordnungen lange ignoriert. Protest hat bewirkt, dass ein Teil von ihnen in der Prioritätsgruppe 2 aufgenommen wurde. Viele von ihnen warten heute immer noch auf einen Termin. Gesunde Menschen, wie etwa Polizist*innen stehen noch vor ihnen auf der Liste.
Die Menschen, die persönliche Assistenz rund um die Uhr benötigen und diese mit einem Arbeitsgeber-Modell selbst ohne Hinzuziehung eines Pflegedienstes organisieren, wissen zum Großen Teil bis heute nicht, wann ihre Helfer*innen für die Impfung an der Reihe sind. Erkrankt eine Helferin, stehen Pflebedürftige vor großen Schwierigkeiten. Sie laufen die Gefahr infiziert zu werden, die Suche nach Ersatz ist äußerst schwierig. Aber dafür interessiert sich die Politik nicht, Menschen mit Behinderung sind nicht systemrelevant.
Schluss mit der Heimzwangspolitik!
Lasst uns gemeinsam für eine solidarische Antwort auf die Coronapandemie kämpfen und Ableismus bekämpfen!
Cécile Lecomte