Ich habe beim zuständigen Landkreis Darmstadt-Dieburg eine Anfrage zur Umsetzung des Personenenbeförderungsgesetzes, die Barrierefreiheit im ÖPNV zum 1.1.2022 vorschreibt (§ 8, Abs. 3 PBefG), gestellt. Wie in anderen Landkreisen, wo ich bisher angefragt habe, verweist der Landkreis auf « konkrete Ausnahmen ». Die Antworten fallen aber immerhin ausführlicher aus, als die, die ich in Lüneburg erhalten habe.
Ich gebe die Antworten vom 11.01.2022 des Kreisausschausses des Landkreises Darmastadt-dieburg wieder und kommentiere diese. Eine Antwort der Stadt Darmstadt zu der Frage 7) steht noch aus (und die Antwort interessiert mich sehr, welche Ausnahmeregelung für den nicht Ausbau eines zentralen Umsteigepunktes da her halten muss… UPDATE: Ernüchternd. Aber der Denkmalschutz und die Bodenmosaik!!!)
1) Es ist festzustellen, dass im Landkreis Darmstadt, zahlreiche Öpnv-haltestellen nicht barrierefrei umgebaut sind. Warum wurden und werden die gesetzlichen Vorgaben nicht eingehalten.
Es trifft nicht zu, dass die gesetzlichen Vorgaben nicht eingehalten wurden oder werden. Wie oben korrekt angeführt, erfordert § 8 Abs. 3 PBefG zwar eine vollständige Barrierefreiheit des ÖPNV zum 01.01.2022. Allerdings greift dieses Datum nicht, wenn im gültigen Nahverkehrsplan Ausnahmen konkret benannt und begründet werden bzw. ein Zeitplan für die weitere Umsetzung des barrierefreien Ausbaus im ÖPNV vorgelegt wird. Diese Auflistung der Ausnahmen mit jeweiliger Begründung sowie eine für die noch ausstehenden umzubauenden Haltestellen sogenannte „Prioritätenliste“ wird aktuell sowohl für die Wissenschaftsstadt Darmstadt als auch für den Landkreis Darmstadt-Dieburg erstellt. Die Erarbeitung erfolgt in der engen Abstimmung mit den jeweiligen Behindertenbeauftragten, dem Büro für Inklusion und Migration des Landkreises Darmstadt-Dieburg sowie örtlichen Behindertenbeauftragten. Die Wahl der Prioritäten sowie die Begründungen werden mit den zuständigen Fachbehörden abgestimmt. Eine gemeinsame Liste mit den Ausnahmen sowie mit den Prioritäten samt einer Zeitangabe wird mit der zuständigen Landesbehörde Hessen Mobil finalisiert und bildet sodann die im PBefG geforderte Anlage zum Nahverkehrsplan. Diese finalisierte und abgestimmte Anlage wird der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt.
Kommentar: ich fage mich warum die Pläne gerade erstellt werden. Das Gesetz trat 2013 in Kraft, Umsetzugn bis zum 1.1.2022 war vorgeschrieben. Ich hätte da erwartet, dass zumindest der Plan mit den brgründeten Ausnahmen zum Stichtag vorliegt.
2) Welche Alternativen haben Menschen mit Behinderung, die Aufgrund der mangelnden Barrierefreiheit im ÖPNV in ihrer Mobilität eingeschränkt werden (Zb. Rollstuhl-Taxi auf Kosten des Landkreises?), welche Klage- / Beschwerdemöglichkeiten haben Betroffene?
Hier gilt es zu unterscheiden, welche Behinderung Fahrgäste haben und welchen Schweregrad. Grundsätzlich sind die Verkehrsmittel im DADINA-Gebiet (Busse und Straßenbahnen) als barrierefrei klassifiziert. Die Busflotte in Stadt- und Landkreis ist vollständig niederflurig, mit Klapprampen versehen, mit einer Kneeling-Funktion sowie mit ausreichend dimensionierten Aufstellflächen samt einer Ausstattung mit gesonderten Anforderungstasten und Gurten zur Sicherung während der Fahrt. Für im Sehen eingeschränkte Fahrgäste dient die vorgegebene kontrastreiche Gestaltung des Wageninnenraumes mit so deutlich wahrnehmbaren Haltestangen sowie gut ertastbaren Funktionstasten (Haltewunsch und Anforderung Fahrpersonalhilfe). Eine Auskunft über die Folgehaltestelle wird in allen Fahrzeugen sowohl akustisch als auch visuell dargestellt. Die Außen- und Innenbeschilderung der Fahrzeuge erfolgt selbst leuchtende Anzeigefelder. In Abstimmung mit den Behindertenverbänden wird hierbei auf die stets bestmögliche Technik geachtet. Daher ist im Grundsatz der ÖPNV weitestgehend auch von Fahrgästen mit Handicap selbständig zu nutzen. Barrierefreie Fahrzeuge und barrierefreie Haltestellen werden in den Auskunftsmedien als solche gekennzeichnet.
Kommentar: in der Praxis läuft es nicht ganz glatt. Die visuelle oder akutische Ansage im Bus ist häufig deffekt. Aber gut dass es im großen und ganzen Vorhanden ist.
Sollte entgegen der Auskunft eine Fahrt nicht barrierefrei nutzbar sein, ist selbstverständlich ein entsprechender Hinweis nicht nur möglich, sondern im Rahmen unseres Qualitätsmanagements erwünscht. Fahrgäste mit Handicap, die solch einen Vorfall erleben mussten, können ihre Beschwerde bei der DADINA als für den ÖPNV im Landkreis Darmstadt-Dieburg sowie der Stadt Darmstadt zuständigen Nahverkehrsorganisation per E-Mail, über das Kontaktformular, per Telefon, postalisch oder auch in persönlicher Vorsprache vorbringen. Die DADINA-Geschäftsstelle ist barrierefrei zu erreichen.
Zudem besteht die Möglichkeit, sich über das Kundendialogportal des RMV ebenfalls auf verschiedenen Kommunikationswegen zu äußern. Bei Verpassen eines Anschlusses greift zudem die allgemein gewährte 10-Minuten-Garantie, die sich von anteilig erstatteten Fahrkartenpreisen bis hin zur Erstattung einer Taxifahrt erstreckt. Probleme von Fahrgästen mit Handicap können auch an den Behindertenbeauftragten des Landkreises Darmstadt-Dieburg – im Büro für Inklusion und Migration – gerichtet werden. Hier findet ein enger und regelmäßiger Austausch mit der DADINA statt.
Kommentar: erstattung des Fahrpreises bringt Wertmarkebesitzer*innen (die viele Menschen mit Gehbehinderung haben) nicht weiter. Aber das mit der Taxis-Erstattung ist gut zu wissen. Wobei sich die Frage stellt, wie ist es wenn es sich nicht um einen Anschluss handelt, wenn die Person mit Behinderung erst recht nicht mitgenommen wird (zb weil es keinen Platz für sie mit Rollstuhl gibt, weil schon durch andere Person mit Rollstuhl, Rollator oder Kinderwagen belegt). Wird da auch eine Taxifahrt bezahlt?
Fahrgästen mit einem Schwerbehindertenausweis mit entsprechendem Beiblatt und Wertmarke steht eine Nutzbarkeit des ÖPNV ohne Fahrkarte entsprechend den Vorschriften des SGB IX zu. Bei der Berechtigung einer Begleitperson, fährt diese ebenfalls unentgeltlich. Für Schülerinnen und Schüler im Landkreis bestehen neben den in den Linienverkehr integrierten Fahrten besondere Beförderungen, die von fachkundigen Unternehmen der Behindertenbeförderung zielgenau und außerhalb des Linienangebots durchgeführt werden, als sogenannter „Freigestellter Verkehr“. Die On-Demand-Shuttle-Systeme in der Stadt Darmstadt, der „HeinerLiner“ sowie das in Vorbereitung befindliche System „DadiLiner“ für zwei Pilotgebiete in Landkreis werde eine dezidierte Buchbarkeit für Fahrgäste im Rollstuhl ermöglichen, wofür dann ein eigens umgebautes Fahrzeug eingesetzt wird. Somit ergibt sich auch eine passgenaue Beförderungsmöglichkeit in Ergänzung zum bereits weitgehend barrierefrei nutzbaren Linienverkehr.
3) Wie viele Bushaltestellen sind bisher im Landkreis barrierefrei umgerüstet worden, wie viele sind noch umzurüsten?
An dieser Stelle möchten wir zuerst auf die Ausstattung der Straßenbahnhaltestellen im Landkreis (Bereich der Stadt Griesheim sowie an der Bergstraße mit den Gemeinden Seeheim-Jugenheim und Alsbach) verweisen: Hier sind sämtliche Straßenbahnhaltestellen barrierefrei ausgebaut, und somit ist ein Faktor von 100 Prozent erreicht. Aufgrund der Vielzahl von Bushaltestellen, der unterschiedlichen räumlichen Bedingungen, der umfangreichen Antrags- und Ausschreibungsverfahren sowie der derzeit verfügbaren personellen Ressourcen liegt der Anteil der bereits umgebauten Bushaltestellen im Landkreis derzeit bei ca. 35 Prozent. Die verbleibenden Haltestellen sind entweder im Ausbauprogramm 2022 bereits enthalten, in einem der Folgejahre oder werden mit begründeter Ausnahme nicht ausgebaut.
Kommentar: 35% ist nicht sehr viel… also gibt es begründeten Ausnahmen für die restlichen 65% wo das Deadline zum 1.1.2022 nicht eingehalten wurde? Ausnahme ist also die Regel. Das ist das Problem am Gesetz und an iseiner Umsetzung. Und ja, es geht häufig deshalb langsam voran, weil die Gelder fehlen. Aber wie Prioritäten gesetzt und Gelder verteilet werden, ist auch eine politische Entscheidung und sagt schon was darüber aus, welchen Stellenwert Barrierefreiheit , Teilhabe und Inklusion bei der Politik haben (leider zu gering)
4) Wie viele Haltestellen und welche wurden jeweils in 2021, 2020, 2019 und 2018 auf Barrierefreiheit umgerüstet?
Der Haltestellenausbau wird finanziell gefördert. Daher werden stets im Frühling eines Jahres die Maßnahmen für das Folgejahr beim Fördermittelgeber angemeldet, um rechtzeitig zum Baubeginn die Förderungsbewilligung vorliegen zu haben.
Im Jahr 2018 wurden 23 Haltestellensteige barrierefrei ausgebaut.
Im Jahr 2019 waren es 29 Haltestellensteige.
Im Jahr 2020 waren es 34 Haltestellensteige.
Im Jahr 2021 waren es 40 Haltestellensteige.
Fürs Jahr 2022 sind derzeit 23 Haltestellensteige zum Umbau angemeldet.
In einem ähnlichen Umfang wird der Haltestellenausbau auch in den darauf folgenden Jahren erfolgen. Hintergrund ist neben dem bereitgestellten Finanzierungsmitteln samt der Förderung auch die gleichmäßige Auslastung der Baufirmen sowie die Überschaubarkeit der Baulose.
Kommentar: Immerhin wirde in den letzen Jahren einiges Ausgebaut. Besser als im Landkreis Lüneburg, wo nur wenige Haltestellen ausgebaut wurden, mit Verweis auf Schwierigkeiten wegen Corona. Wenn man wirklich will, finden sich Wege!
5) Welche Summe ist im Haushalt des Landkreises für 2022 für die barrierefreie Umrüstung von ÖPNV-Haltestellen vorgesehen?
Der Umbau eines Haltestellensteiges kostet ca. 55 TEUR. Abzüglich der Förderung über das Gemeinde-Verkehrswege-Finanzierungsgesetzt (GVFG) verbleiben ca. 30 TEUR, die sich der Landkreis Darmstadt-Dieburg und die jeweilige Kommune hälftig teilen. Der Anteil des Landkreises Darmstadt-Dieburg beläuft sich somit auf ca. 350 TEUR im Jahr 2022.
6) was wird bei der Umrüstung der Bushaltestellen, um den verschiedenen Arten von Behinderung gerecht zu sein, gemacht (Infrastruktur für Rollstuhlfahrende, für Sehbehinderte, für Schwerhörige…)?
Der barrierefreie Umbau umfasst verschiedene Maßnahmen. Die Steigfläche wird erhöht und mit einem besonderen Bordstein versehen, dem sogenannten „Kasseler Sonderbord“. Dieser Bordstein ermöglicht, dass die Busse spaltlos an die Bordsteinkante fahren können und somit ein problemloses selbständiges Ein- und Aussteigen von Fahrgästen im Rollstuhl, wie auch von Fahrgästen mit Gehhilfen sowie weiteren Fahrgästen mit motorischem Handicap ermöglichen. Die neu gepflasterte und erhöhte Bussteigoberfläche wird mit einem taktilen Leistreifen versehen, der mittels Blindenstock ertastbar ist. In Höhe der vorderen Bustür wird ein Aufmerksamkeitsfeld gepflastert, das ebenso ertastbar ist und nicht sehenden Fahrgästen ermöglicht, sich in der richtigen Höhe aufzustellen. Größere Haltestellen und Umsteigehaltestellen werden mit Dynamischen Fahrzielanzeigern (DFI) ausgestattet, die neben einer kontrastreichen visuellen Darstellung auch über eine Vorlesefunktion verfügen. Per Tastendruck wird per Text-To-Speech vorgelesen, welche Fahrten zur Abfahrt anstehen. Zukünftig einzusetzende Elektrofahrzeuge werden zudem mit akustischen Warntongebern ausgestattet, um sich wartenden Personen bemerkbar zu machen. Zudem verfügen die Fahrzeuge auch über Außenlautsprecher, die grundsätzlich auch Auskünfte über Linie und Fahrziel geben können.
7) Wann werden die zentralen Umsteigeplätze Darmstadt Ost (Bus und Bahn) und Luisenplatz (Darmstadt) barrierefrei ausgebaut? Warum wurden diese bislang nicht barrierefrei ausgebaut, obwohl es viel genutzte zentrale Haltepunkte im öpnv Netz sind?
Das betrifft die KollegInnen aus Darmstadt, die wir für Sie bereits entsprechend angefragt haben. Sobald uns die Antwort erreicht, leite ich sie Ihnen weiter…
Kommenar: auf die Antwort bin ich gespannt. Ob das wie in Lüneburg mit « Stadbildpflege » begründet wird?
8) Welcher Stellenwert hat die Barrierefreiheit in der Gestaltung einer ökologischen Mobilitätswende.
Die ökologische Mobilitätswende lebt neben einem dichten Takt, einem leicht verständlichen Angebot, hochwertigen und sicheren Fahrzeugen auch von einer barrierefreien Nutzbarkeit. Denn barrierefreie Haltestellen und Fahrzeuge bieten nicht nur Fahrgästen mit Handicap die notwendigen Möglichkeiten einer selbständigen und selbstbestimmten Mobilität, sondern allen Fahrgastgruppen große Vorteile, sei es das problemlose Ein- und Aussteigen auch mit Kinderwagen oder mit Traglasten, die gute Erkennbarkeit von Aufenthaltsflächen sowie die sichere Nutzbarkeit der Haltestellenbereiche.. Dementsprechend genießt die Barrierefreiheit einen hohen Stellenwert, stellt sie doch neben der Notwendigkeit auch einen deutlichen Nutzungsanreiz für den ÖPNV dar.
Kommentar: Okay, da sind wir uns einig. Also mehr Tempo bei der Umsetzung wäre wünschenwert!