Antiatombewegung in der Normandie – Vorgeschichte zum HSL-Kampf Teil 2/2

Teil 2 – Valognes Stopp Castor und die Hochspannungsleitung: Bewegung und Entschlossenheit

Ich setze meine Serie „Erlebnisse und Einblicke im Widerstand gegen HSL in Frankreich“ mit Hintergrundinformationen zum Widerstand gegen die Atomanlagen in der Normandie fort.

valognes 2011
Valognes, November 2011

Teil 2 – Valognes Stopp Castor und die Hochspannungsleitung: Bewegung und Entschlossenheit

Ich setze meine Serie „Erlebnisse und Einblicke im Widerstand gegen HSL in Frankreich“ mit Hintergrundinformationen zum Widerstand gegen die Atomanlagen in der Normandie fort.

valognes 2011
Valognes, November 2011

Anders als in Deutschland, sind Atomtransporte selten der Höhepunkt des französischen Antiatomwiderstands. Es wurde in den letzten drei Jahrzehnte immer mal wieder gegen die Ankunft von ausländischem Atommüll in La Hague protestiert. 1981 wurde sogar ein Atommüllzug aus Deutschland zurück geschickt. Der Widerstand gestaltete sich aber in der sehr früh und stark nuklearisierten Normandie mit den Jahren zunehmend schwierig

Gegen die so genannten Rücktransporte nach Gorleben, wurde immer wieder zu Protesten aufgerufen. Mahnwachen und ein paar einzelne Blockadeaktionen fanden immer wieder statt. Das regionale Komitee für Information und Atomwiderstand (CRILAN), die größte Antiatomorganisation in der Nähe von der Plutonium Fabrik La Hague,  steht diesen Transporten gegenüber sehr kritisch. Zu Blockadeaktionen hat das Komitee jedoch nie aufgerufen.  Die Forderung, den ausländischen Müll in La Hague, also quasi in ihrem Garten, zu belassen, war nicht konsensfähig. Auch wenn allen klar ist, dass in La Hague kein Recycling statt findet und alles in einem Topf geschmissen wird.  Von „Deutschem“ oder „Japanischem“ Müll kann nicht die Rede sein.  Der „Rücktransport“ betrifft nur ein kleiner Teil der gesamten gesendeten Atommüllmenge. Außerdem entsteht bei der  Wiederaufbereitung zusätzlichem Müll durch Kontamination und Verseuchung.

Die Neubaupolitik der Regierung und das langsame Erwachen der Antiatombewegung
Erst die AKW-Neubaupläne der Regierung bringen seit 2006 immer wieder Tausende Menschen auf die Straße. 30 000 demonstrierten im April 2006 in Cherbourg. Für französische Verhältnisse, wo gegen eine Rentenreform schnell eine halbe Million auf die Straße geht, ist das kein Massenprotest. Nachdenklich, wird auf die Protesten im Wendland geschaut. Insbesondere bei Atomtransporten. Denn so wird der Protest sichtbar.

Eins zu eins können Ideen nicht übernommen und umgesetzt werden. Die atompolitische Situation und die Reaktionen der Staatsgewalt sind in Frankreich anders als in Deutschland. Der Austausch bringt aber trotzdem seine Früchte.

Caen Italien Castor 2008

Italien Castorblockade in Caen, 2008

Im Juli 2008 wurde ein Castortransport aus Italien bei Caen für 5 Stunden gestoppt. Die AktivistInnen Beton im Gleisbett gefunden: Ob die Robin Wood Blockade von 2011 im Wendland sie „inspiriert“ hat? Es folgten Prozessen und Verurteilungen (2500 Euro Geldbuße, davon 2000 Euro auf Bewährung). Einen positiven Bilanz zogen die AktivistInnen dennoch: durch die Aktionen und die Prozesse konnte die Atompolitik öffentlich thematisiert werden.

Strategiewechsel
Doch die Staatsgewalt wechselte schnell die Strategie. Ob sie eine Zunahme von öffentlichen Aktionen des zivilen Ungehorsams als gefährdend für die AKW-Neubaupläne angesehen hat? Angst vor Nachahmung? Zu dieser Zeit bildete sich immer mehr Komitees gegen die   für den neuen Atomreaktor geplante Hochspannungsleitung quer durch die Normandie.

Valognes
Caen, November 2010 – Castorblockade

Valognes
Gegen den Castortransport nach Gorleben ketteten sich im November 2010 fünf AktivistInnen an die Schiene, nachdem der Castorzug zum stehen gebracht worden war. Auf die Aktion reagierte der Staat mit ungewöhnlicher Härte. Die anwesenden Pressevertreter wurden von der Polizei weg geschickt. Die Beamten griffen zu einer großen Straßenflex und schnitten die Aktivisten so schnell es ging und ohne Schutzmaßnahmen von den Gleisen los. Dabei verletzen sie sie schwer: Sehnen wurden bei zwei Personen durchgeschnitten, drei Aktivistinnen erlitten Verbrennungen des dritten Grades. Die DemonstrantInnen wurden nach einem kurzen Krankenhausaufenthalt in Gewahrsam genommen und kamen nach Zahlung einer Kaution in Höhe von über 15 000 Euro frei. Sie wurden angeklagt und in erster Instanz zu Bewährungsstrafen verurteilt. Die Staatsanwaltschaft will aber Gefängnisstrafen ohne Bewährung und geht in Berufung. Wann diese statt findet ist noch nicht bekannt. Die AktivistInnen, die heute noch unter den Folgen ihrer Verletzungen leiden, haben Strafanzeige gegen die Polizisten erstattet. Das Verfahren wurde eingestellt. Begründung: die AktivistInnen haben sich freiwillig angekettet, sie sind an ihren Verletzungen schuld. Eine Beschwerde gegen die Einstellung des Verfahrens läuft noch.

Wie weiter? Fragte man sich nach dem Castortransport von November 2010. Die Wut war groß. Die Motivation, weiter zu machen auch. Doch sich der Polizeigewalt erneut wie auf den Gleisen in Caen auszuliefern, schließen die AktivistInnen aus.

Es wurde nach einer kollektiven Antwort auf die Repression des Staates gesucht. Auch wenn keine massive Mobilisierung wie in Deutschland für realistisch geschätzt wurde, schlossen sich diverse informelle und libertären Gruppen zusammen und starteten die Mobilisierung für eine Massenaktion beim Castortransport nach Gorleben im November 2011.

Valognes stop Castor
Mehrere Hundert Menschen versammelten sich zum Protest gegen den Castortransport  in Yvetot Bocage bei Valognes. Das selbstverwaltete Camp wurde unter dem Motto „der Castorzug wird nicht einfach so vorbei fahren“  organisiert.  Fukushima und der zunehmende Druck auf die Bevölkerung, die sich gegen die neue Hochspannungsleitung engagiert, trugen zu dieser Mobilisierung bei.  Der Atomstaat fürchtete den Protest so sehr, dass die Bahnlinie Valognes – Caen für den übrigen Verkehr gesperrt und Schulen geschlossen wurden. Zu Sitzblockaden wie im Wendland üblich, kam es nicht. Die Militärpolizei setzte Tränengas-, Schock- und Splittergranaten gegen die DemonstrantInnen ein. Viele wurden verletzt und ins Krankenhaus eingeliefert. Nur vereinzelt gelangen Menschen auf die Gleise. Es wurde geschottert, ein Trafohäuschen geriet in Brand. Der Castorzug startete mit erheblicher Verspätung.

Valognes
Valognes, November 2011 – Castor Schottern

Im Januar und Februar 2012 folgten die ersten Prozesse gegen sechs AtomkraftgegnerInnen.
Zwei AktivistInnen wurden vom Vorwurf der Störung der Bahnanlage frei gesprochen. Ein Freigesprochener wurde jedoch zu einer Bewährungsstrafe von einem Monat verurteilt, weil er sich im polizeilichen Gewahrsam geweigert hatte, eine DNA-Probe abzugeben – diese Weigerung gilt in Frankreich als Straftat. Eine Person wurde zu 300 Euro Geldstrafe verurteilt, drei anderen erhielten eine Bewährungsstrafe von einem Monat für das Mitführen von Waffen im Auto auf dem Weg zu den Protestaktionen (Taschenmesser, kleine Holzaxt und Pfefferspr
ay). Fünf Berufungsverfahren stehen noch an. Eine zweite Welle der Repression ereignete sich im Mai 2012. Drei Personen wurden von der Polizei vorgeladen und bei ihrer Ankunft auf der Wache (In Frankreich muss man erscheinen, was in Deutschland nicht der Fall ist) für bis zu 24 Stunden in Gewahrsam genommen. Ihnen wird nun am 9. Oktober 2012 der Prozess gemacht. Ihr Vergehen? Sie haben in Valognes mit der Presse gesprochen und werden für die „unerlaubte bewaffnete Zusammenrottung“ und Sachbeschädigungen an der Bahnanlage (mit)verantwortlich gemacht.

http://pix.toile-libre.org/upload/original/1326895561.jpg
Valognes, November 2011 – Soliflyer

Die Protesten in Valognes bekamen viele Öffentlichkeit und trugen zur Motivation für weitere Protestaktionen gegen die Atomkraft bei.

Assemblée du Chefresne gegen die Hochspannungsleitung
Als Folge der Störungsaktionen des Atommülls-Zuges von Valognes und verschiederner Koordinationstreffen gegen die Hochspannungsleitung (HSL), wurde am 14. Januar 2012 eine lose informelle Vereinigung im Dorf von Le Chefresne (Département 50 ) gegründet, heute „Assemblée du Chefresne“ genannt. Das Dorf kämpft bereits seit Jahren gegen die Trasse.

Für die Einwohner der Départements der Manche, der Mayenne, der Ille et Vilaine und vom Calvados ist die 160 Kilometer lange geplante Hochspannungsleitung bereits seit sieben Jahren wie ein Damoklesschwert über den Kopf.
Konkreter wurde die Gefährdung im Dezember 2011 mit dem Baubeginn. RTE, dass Stromnetzunternehmen (privatrechtlich aber im Besitz vom Staat) hat angefangen Tatsachen zu schaffen. Die Atompolitik wird mit Gewalt durchgesetzt. Die TrassengegnerInnen gehen mit vielfältigen Aktionen gegen die Bauarbeiten vor. Die „Assemblée du Chefresne“ ist der Kristalisationspunkt des Widerstandes. Die Menschen treten mit ihrer Meinung öffentlich ein: es ist die Zeit von direkten Aktionen des zivilen Ungehorsames gekommen.
Zum besseren Verständnis über die Entwicklungen und Spannungen der letzten Monaten, liefere ich in nächsten Beitrag ein paar Fakten zur Taktik und Praxis der französischen Militärpolizei.

Abschraubeaktion

Abschraubeaktion