Fakten zur französischen Militärpolizei im Einsatz gegen soziale Bewegungen

Ich setze meine Serie „Erlebnisse und Einblicke im Widerstand gegen Hochspannungsleitungen und AKW-Neubau in Frankreich“ fort, mit Informationen zur französischen Militärpolizei. Es gibt Unterschiede zur Deutschen Polizei, die einiges an die Entwicklung von sozialen Bewegungen erklären können. In vielen Fällen setzt sich der Staat gegen die Bevölkerung militärisch durch. Ich lege hier nicht den Schwerpunkt auf die Geschichte, sondern auf die Vorgehensweise der Polizei. Die Quelle für diese Informationen sind meine eigene Erfahrung und Interviews mit „alten Hasen“, AktivistInnen, die schon seit drei oder vier Jahrzehnte dabei sind.

Ich setze meine Serie „Erlebnisse und Einblicke im Widerstand gegen Hochspannungsleitungen und AKW-Neubau in Frankreich“ fort, mit Informationen zur französischen Militärpolizei. Es gibt Unterschiede zur Deutschen Polizei, die einiges an die Entwicklung von sozialen Bewegungen erklären können. In vielen Fällen setzt sich der Staat gegen die Bevölkerung militärisch durch. Ich lege hier nicht den Schwerpunkt auf die Geschichte, sondern auf die Vorgehensweise der Polizei. Die Quelle für diese Informationen sind meine eigene Erfahrung und Interviews mit „alten Hasen“, AktivistInnen, die schon seit drei oder vier Jahrzehnte dabei sind.

Die Militärpolizei wird wegen ihrer Brutalität gefürchtet, sie verwendet im großen Umfang besonders gefährliche „nicht-Letale“ Waffen. Dabei kommt es immer wieder zu schwersten Verletzungen, Todesopfer sind auch möglich. Wer den Ausmaß der Repression kennt, versteht besser die Entwicklungen sozialer Bewegungen. Ob Resignation, Spaltungen, Radikalisierungsprozesse, etc. Die unmittelbare Gewalt ist ein Bestandteil der Repression (nicht aber der einzige, dazu komme ich in anderen Beiträgen zum Widerstand in der Normandie zurück)

Es gibt in Frankreich verschiedene Polizeikörper mit verschiedenen Zuständigkeiten. In der Stadt kennt man vor allem die CRS (Compagnie Républicaine de Sécurité). Diese Einheiten sind in der französischen Nationalpolizei (police nationale) eingegliedert, das zuständige Ministerium ist das Innenministerium. 60 Hundertschaften haben den Erhalt der öffentlichen Ordnung, den Landfrieden zur Aufgabe.

Auf dem Land ist in der Regel die Gendarmerie nationale zuständig. Weil die Beamten der Gendarmerie Militärs sind, ist das Verteidigungsministerium für diesen Polizeikörper zuständig. Aus diesem Grund nenne ich diese Polizei „Militärpolizei“. Die Armee darf in Frankreich im Inneren eingesetzt werden. Entsprechend militärisch und brutal ist die Ausbildung der Beamten. Als besonders gewalttätig gelten die Gardes Mobiles. Diese Sepzial-Hundertschaften werden zum Erhalt des Landesfrieden und zur „Aufstandsbekämpfung“ eingesetzt. Sie verfügen über Waffen, die die CRS nicht haben. Soldaten der Armee sind bei Einsätzen dieser Einheiten häufig auch dabei.

In Plogoff stand sogar die Fallschirmspringereinheit der Armee den DemonstrantInnen gegenüber. Über diesen erfolgreichen Kampf gegen ein AKW Bau ende deer 70er Jahren gibt es einen sehr beeindruckenden Film mit Archivmaterial. Der Film heißt „Der pierres contre des fusils“ auf Deutsch „Steine gegen Gewehr“.

Sitzblockade und Polizeikessel nach deutschem Muster habe ich in Frankreich nie erlebt. Wenn die Polizei eine Demonstration oder eine Sitzblocakde auflösen und vertreiben will, schießt sie reichlich und wahllos Tränengas in die Menge hinein. Wenn es nicht genug hilft, setzt sie weitere Waffen wie Schockgranaten (laute Detonation, die kurzfristig handlungsunfähig macht), Wasserwerfer, Schlagstöcken, Flashballs (Tennisball dicke Gummi-Geschosse) ein. Polizeikessel und „Freiluftgewahrsam“ habe ich nicht gesehen. Es kann vorkommen, dass die DemonstrantInnen eingekesselt werden. Aber das ist eher Zufall und es wird weiter geschossen! Wer auf eine Demonstration geht, die voraussichtlich eskalieren kann – das ist leider selten vorauszusehen -, sollte gut auf die Beine stehen und schnell laufen können.

Bei der Auflösung einer Demonstrationen macht die Polizei gerne ein paar Gefangenen. Diese Gefangenennahmen sind als „13. Monat“ bekannt. Die Festgenommenen werden beispielsweise des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamten oder der Beleidigung beschuldigt und vor Gericht in einem Schnellverfahren gestellt. In einem Schnellverfahren hat der Anwalt keinen Zugang zur Akte und die Aussagen der Polizei (oft erfunden) reichen in der Regel für eine Verurteilung aus. Die AktivistInnen werden in der Regel sowohl strafrechtlich als auch zivilrechtlich verurteilt. Die Beamten klagen nämlich systematisch auf Schmerzensgeld. Die paar Hundert Euro Schmerzensgeld für die Polizisten sind der berühmte 13. Monat. Aus diesem Grund verlangen Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International die Abschaffung des Paragrafen „Beamtenbeleidigung“.

Es ist möglich, das Schnellverfahren abzulehnen – dies sollte auf jeden Fall gemacht werden. Das Risiko, in Untersuchungshaft zu kommen ist dann aber ziemlich groß. Ich kenne das aus Feldbefreiungsaktionen gegen Gentechnik. Die freiwilligen MäherInnen / FeldbefreierInnen (Faucheurs volontaires) haben zahlreiche Aktionen des zivilen ungehorsam gegen Gentechnik durchgeführt und Genpflanzen herausgerissen. Die Aktionen brachten Konzerne und Politiker auf die Palme, es wurde ein Paragraf im Strafgesetzbuch für die Zerstörung von Gentechnikfelder zugefügt. Also ein besonders schwerer Fall der Sachbeschädigung. Die Menschen schreckte es aber nicht ab. In einigen Fällen wurde versucht, die Menschen in Schnellverfahren abzuurteilen. Was die Beschuldigten ablehnten. Es gab Fälle, wo sie bis zu ihrem Prozess 15 Tage später in Untersuchungshaft bleiben mussten. Die Untersuchungshaft kann deutlich länger dauern.

Die Einschüchterung durch Geld- und Haftstrafen ist nur ein Teilaspekt der Repression. Die körperliche Gewalt ist ein sehr verbreitetes Mittel der Einschüchterung und „Aufstandsbekämpfung“.

Die Militärische Polizei hat hierfür zusätzlich zu der üblichen Ausrüstung extrem gefährliche Waffen. Sie werden als „non letale“, nicht tödlich bezeichnet. Todesopfer hat es aber trotzdem gegeben. Und schwere Verletzungen habe ich öfter gesehen.

Bei Aktionen des zivilen Ungehorsames gegen die Gentechnik wurde sogar aus dem Polizeihubschrauber geschossen. Bei einer Aktion in der Nähe von Auch flogen die Granaten überall hin. Die FeldbefreierInnen waren noch über 500 Meter vom Genacker entfernt. Kinder und eine Frau im Rollstuhl waren dabei.

Es wurden zahlreiche Menschen zum Teil schwer verletzt. Die schrecklichste Waffe sind eine Art Angriffsgranaten mit Splitterteilen. Bei der Explosion ist eine extrem Laute Detonation zu hören (160 Dezibel), Gummigeschosse sowie Splitterteile aus Metall verteilen sich. Wer eine solche Granate zum Beispiel auf dem Fuß eines Menschen explodiert, wer eine solche Granate bei der Explosion in der Hand hält, kann sein Glied verlieren. Eine Explosion am Boden macht einen Krater von einigen Zentimeter. Wer sich in unmittelbarer Nähe aufhält, wird verletzt. Ich habe schon durch eine Granate zerfetzte Wanderschuhe gesehen, das Opfer hatte einen blutigen Fuß. Die Splitterteile der Granate können Menschen treffen und sich mehrere Zentimeter durch das Fleisch in den Körper durch fressen. Dabei können Arterie oder Nerven getroffen werden. Ihre Entfernung ist gefährlich, die Opfer müssen die Splitterteil im Körper behalten.

Bei der Demonstration am 24. Juni 2012 in Montabot gegen die Hochspannungsleitung griff die Polizei ohne jegliche Vorwarnung an. Schwerverletzte gab es bereits beim ersten Angriff. Die Polizei schoss trotzdem weiter. Sie zielte bewusst auf SanitäterInnen, die sich um die Verletzten kümmerten. Eine Praxis die selbst in einer Kriegssituation als Verbrechen gegen die Menschheit gilt.

Innerhalb einer halben Stunde wurden ca. 25 Menschen verletzt. Die meisten durch die Splittergranaten. Einer Frau trafen 15 Splitterteile im ganzen Körper (Brust und Vagina inklusive). Ein Splitterteil wurde im Krankenhaus entfernt, weil ein Nerv durchgeschnitten wurde – war ihr Schwierigkeiten bei der Steuerung ihrer Finger bereitet. „ In unserer schönen Demokratie darf mit Kriegswaffen auf die Bevölkerung geschossen werden“ erklärte die DemonatrantInnen später. Ihr Brief will ich noch übersetzen, der Stil ist aber sehr schwierig zu übersetzen ohne dass etwas a
n Sinn und Gefühle die der Text vermittelt verloren geht.

granante

Dispersionsgranate
Explodiert mit 165 Dezibel
Streut 18 Gummigeschosse
Metallischer Deckel explodiert , Splitterteile fressen sich durch das Fleisch des Menschen

Zwei Personen wurden am Auge schwerst verletzt. Einem Demonstranten traf eine Granate am Kopf, ihm bleibt an einem Auge nur noch 1/20 der Sehfähigkeit. Der Demonstrant wurde bewusstlos zum Camp zurück gebracht, der Krankenwagen wurde über eine halbe Stunde von der Polizei in Campnähe festgehalten. Die Polizei untersagte der Feuerwehr die weiter fahrt für ihre eigene Sicherheit, die CampbewohnerInnen würden die Feuerwehr angreifen, so die Begründung! Erst mein entschlossenes Einschreiten (mit Presseausweis und Kamera) und Einreden auf Polizei und Feuerwehr führte zur Aufhebung der Polizeianordnung. Ein zweites Krankenwagen erreichte nie sein Ziel, die Polizei ordnete eine Routenänderung an so dass der Wagen sein Ziel nie erreichte – ohne dass die Sanitäter im Camp davon erfahren. Erst anderthalb Stunde nach dem Hilferuf erreichte ein anderer Krankenwagen die Verletzte. Die anderen Verletzten mussten auf eigene Faust mit FreundInnen zum Krankenhaus. Was keine einfache Sache war, die Polizei hatte Sperren um die Krankenhäuser eingerichtet, um an die Identität der Verletzten zu kommen. Sie rief dutzende male die Krankenhäuser um an die Informationen zu kommen – die Ärzte verwiesen in den Meisten Fällen zum Glück auf ihre Schweigepflicht.

Eine solche Granate wie sie in Montabot geschossen wurden, kostete 1977 Vital Michalon das Leben bei einer Antiatomdemonstration gegen den schnellen Plutomniumbrüter Superphénix in Malville.. Die Granate traf Vital Michalon auf Brusthöhe, er starb kurz daraufhin. Offiziell starb er an einem Herzinfarkt. Mehre Demonstranten verloren eine Hand oder einen Fuß, als die Granaten explodierten.

granante
Verletzungen durch Granate
Hier bei einer Feldbefreiung 2004

Über Superphénix: Der Reaktor Superphénix war ein teures Versuchsreaktor. Er sollte das Atommüllproblem lösen, indem er Plutonium verbrennen sollte. Die Tonnen Plutonium, die in La Hage (wir sind wieder in der Normandie..) anfallen hätten so eine strahlende Zukunft gehabt… Superphénix war aber nur ein Pannenreaktor. In zehn Jahren lief er real ca. 11 Monate. 1998 wurde er endgültig abgeschaltet. Der Rückbau ist bislang nicht weit gekommen. Keine weiß wohin mit den Tausende Kubikmeter radioaktiv verseuchtem Natrium des Kühlsystems. Natrium hat gut Kühleigenschaften. In Kontakt mit Luft kommt es aber zu einem heftigem Brand, der selbst durch Wasser nicht gelöscht werden kann. Und es geht hier nicht um ein paar tropfen Natrium, sondern um ein ganzes Kühlsystem. Und im Reaktorkessel daneben gibt es jede Menge Plutonium. Superphénix ist eine Zeitbombe. Heute noch.

Bei älteren DemonstrantInnen kamen an diesem 24. Juni Erinnerung wieder hoch „Malville war das Aus der Antiatombewegung“, erklärte mir ein älterer Mensch, ca. 60 Jahre alt. Die Gewalt und der Tot schockierten viele Menschen. Für veiel Menschen war das ihre letzte Antiatom-Demonstration, sie resignierten. Es wurde nach „Schuldigen“, nach „Erklärungen“ gescuht. Eine Spaltung der Antiatombewegung war die Folge. Zwischen „guten“ und „bösen“ DemonstrantInnen, zwischen „militanten“ und „gewaltfreien“. Genau diese Schwächung wollte der Staat erreichen. Es was das Ende einer Massenbewegung (mit wenigen Ausnahmen in der Zeit danach, in Plogoff zum Beispiel), das von der Staatsgewalt niederschlagen wurde und sich dann selbst zerfleischte.

Wie es sich in der Normandie, nach der Wende vom 24. Juli entwickeln wird, ist ungewiss. Am Tag nach der Demonstration führte ich zahlreiche Interviews. Es war ein Tag voller Anspannung nach dem Schock. Es fühlte sich seltsam an. Die Geschichte war nicht weit – damit ist Malville gemeint.

Ihr Ziel haben die Menschen aber nicht aus den Augen verloren und es gibt gute Gründe zu denken, dass der Widerstand dieses Hindernis überstehen wird. Darüber werde ich noch schreiben. Davor muss ich schildern, wie es eben zu dieser „Wende“ kam. Nämlich mit den Entwicklungen der letzten Monate am Beispiel vom Dorf „Le Chefresne“: legal, illegal, unten, oben, etc. Der Widerstand hat viel zu bieten… die Staatsgewalt auch… Das ist nicht nur ein Krieg, sondern auch ein Nervenkrieg.

Eichhörnchen

granante
Verletzungen durch Granate
Hier bei einer Feldbefreiung 2004
granante
Verletzungen durch Granate, Hose und Schuhe zerfetzt
Hier bei einer Feldbefreiung 2004

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Erster Teil : Ein Dorf gegen die „finanzielle Diktatur“ der Atommafia