Anlässlich der an diesem Wochenende statt findenden Antiatom-Konferenz in Hamburg hat Charlotte, die für Sortir du nucléaire nach Hamburg kommt, eine Zusammenfassung über die aktuelle Atompolitik Frankreichs geschrieben. Auf der Konferenz wollen wir uns außerdem über mögliche gemeinsame Aktionen Gedanken machen. Ich habe Charlottes Zusammenfassung ins Deutsche übersetzt.
Atomkraft in Frankreich:
eine Regierung, die an der Situation nichts ändert, älter werdende Atomkraftwerke und eine auf Hochtouren laufende Uranindustrie
Die Regierungen wechseln, die Atomkraftbefürworter bleiben
Mai 2012: drei Versprechen des damaligen Präsidentschaftskandidat François Hollande betrafen die Atomkraft: Aufrechterhaltung des Abschreckungspotential der Atomwaffen, Schließung des AKW Fessenheim, Reduzierung des Anteils der Atomenergie am französischen Energiemix auf 50% bis 2025
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Atomwaffen: Das erste Versprechen wurde selbstverständlich eingehalten. Es traut sich keine Regierung zu, die Atomwaffen in Frage zu stellen. Auch wenn der Verteidigungshaushalt unter François Hollande geschrumpft ist, wird weiter auf die Atombombe und auf die „Modernisierung“ der Atomwaffen gesetzt.
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Fessenheim, das lästige Versprechen.Fessenheim ist das älteste im Betrieb befindliche Atomkraftwerk Frankreichs. Unterhalb des großen Elsass-Kanals und auf einer seismischen Verwerfung gebaut, stellt das AKW eine Gefahr dar – nicht nur für Frankreich, sondern auch für Deutschland und die Schweiz. François Hollande hat zunächst von einer sofortigen Schließung des AKW geredet, es hieß dann aber schnell, das AKW werde Ende 2016 abgeschaltet. Eine Wiederinbetriebnahme ist somit nach den Präsidentschaftswahlen von 2017 möglich. Dies ist sogar wahrscheinlich, weil der Druck, den der Stromkonzern EDF ausübt sehr stark ist und das Unternehmen sich weigert, Abschaltpläne zur Verfügung zu stellen. Hinzu kommt, dass die Atomare Sicherheitsbehörde ASN, nach der zehnjahres-Sicherheitsüberprüfung zum 30. Inbetriebnahmetag des Atomkraftwerkes, den Weiterbetrieb des Atomkraftwerkes genehmigt hat – unter Voraussetzung, dass große teure Arbeiten durchgeführt werden. Diese Arbeiten sollen nicht einen Unfall vorbeugen, sondern lediglich die Auswirkungen dessen vermindern. Wahrscheinlich ist, dass EDF die endgültige Abschaltung des AKW ablehnt, mit dem Argument, die durchgeführten Arbeiten müssen „sich rentieren“.
Zu meinem letzen Besuch in der Gegend von Fessenheim.
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Den Anteil der Atomkraft reduzieren: Aber wie? François Hollande hat versprochen, den Anteil der Atomenergie in der Stromproduktion von 75% auf 50% bis 2025 zu senken. Doch, mit einer möglichen Abschaltung des AKW Fessenheim im Jahr 2016 und der Inbetriebnahme eines neuen Atomreaktor EPR in Flamanville im selben Jahr, ist es nicht getan . Der Leistungswert der Atomkraft dürfte in der fünfjährigen Amtszeit gleich bleiben. Hinzu kommt, dass die Regierung sich von dem Vorschlag des EDF-Konzern, die Laufzeit der Meiler auf 50 Jahre zu verlängern, begeistert zeigt. Dies würde die Stilllegung sämtlicher Anlagen weiter verzögern.
Es handelt sich entweder um ein leeres Versprechen, oder man will nur den relativen Anteil der Atomenergie reduzieren, indem mit einem Anstieg des gesamten Energieverbrauchs rechnet damit bloß kein AKW abgeschaltet wird. Dies wurde bereits von EDF erwähnt und findet ein gewisses Echo in der Politik.
Älter werdende Atomkraftwerke, die EPR-Baustelle versandet
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Kein Ruhestand für die Atommeiler: Die atomare Sicherheitsbehörde ASN will eine Laufzeitverlängerung bis 40 Jahre Laufzeit genehmigen, EDF und die Regierung wollen sogar 50 Jahre Betriebszeit. Und es ist festzustellen, dass 25 der 58 Atomreaktoren schon über 30 Jahre alt sind und immer mehr Störfälle auftreten. 55 Milliarden Euro sollen in Maßnahmen zur Verlängerung der Betriebszeit gesteckt werden, die AKWs werden aber trotzdem weiter altern: der Kessel, das sicherheitsrelevante Containment, die Kabel… das kann alles nicht ersetzt werden. Hinzu kommt, dass einige Gewerkschaften die Befürchtung haben, dass diese Renovierungsarbeiten für die Belegschaften zum Verhängnis werden: Einstellung von nicht ausgebildeten und über die Risiken nicht informierten ArbeiterInnen. Soziales Dumping…
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EPR : Die Baustelle geht trotz katastrophalen Zuständen weiter.
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Der Bau des EPR-Atomreaktors in Flamanville (Manche-Département) hat 4 Jahre Verzögerung und verursacht 5 Milliarden Euro Zusatzkosten. Um dies auszugleichen und den Reaktor 2016 in Betrieb zu nehmen, versucht das Stromunternehmen EDF um jeden Preis den Arbeitstakt zu erhöhen und die Kosten zu senken. Dies führt zu erbärmlichen Zuständen auf der Baustelle, wo ArbeiterInnen aus 25 Ländern zusammen arbeiten: Mehrere Tote sind bereits zu beklagen, polnische ArbeiterInnen von Subunternehmen arbeiten in der Illegalität… 2013 räumte der CEA (Atomare Energiebehörde) ein, dass EDF Stahl schlechter Qualität aus Russland eingesetzt hat. Einige Bauteile mussten wieder abmontiert werden, dies führte zu einer weiteren Verzögerunge der Bauarbeiten. Im August wurde anlässlich eines Kontrolle festgestellt, dass ein 2 Meter langes Ventil falsch herum montiert worden war… Wir sind möglicherweise nicht am Ende der Überraschungen.
Mehr Infos unter:http://groupes.sortirdunucleaire.org/Flop-EPR
Sowie: Eichhörnchen Berichte und Radiodeature über die Normandie und den Antiatom-Widerstand
Cigéo, Iter : zwei großen unnütze und gefährliche Projekte:
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ITER : Die Arbeiten am Fusionsreaktor gehen voran.
Die Baustelle des ITER-Fusionsreaktor befindet sich in Cadarache, Provence. Der Schätzungen nach sollen die Baukosten 16 Milliarden Euro betragen, das Projekt soll 2020 starten – obwohl die Fusion ja immer noch nicht beherrscht wird. ITER benötigt außerdem große Mengen radioaktiver Stoffen (Tritium, Deuterium) nur um die atomare Reaktion, die sich in der Sonne abspielt für wenige Sekunden zu reproduzieren.
Die Bestandteile des Reaktors sollen 2014 zur Baustelle mit riesigen LKW, die bis 800 Tonnen Beton tragen können, gebracht werden. Tests haben dieses Jahr bereits statt gefunden. Auf der Baustelle sollen bis zu 3000 Menschen arbeiten. Die Gewerkschaften befürchten soziales Dumping und schlechte Arbeitsbedingungen für schlecht bezahlte ausländische ArbeiterInnen.
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Atommüll: Ein Problem, dass begraben werden soll
In Bure (Meuse, Lothringen) gibt es seit 1994 ein „Labor“ zur Erkundung von Endlagerungsmöglichkeiten für den hoch radioaktiven Müll. Dieses „Labor“ oder „Forschungsbergwerk“ wird aber faktisch zu einem Endlager – obwohl vieles dagegen spricht: Ein groß Teil der Bevölkerung ist gegen die Endlagerung, die Ergebnisse einer „öffentlichen Debatte“ 2005 sprach ebenfalls gegen die Endlagerung.
Von 2025 an soll das Entsorgungszentrum « Cigéo » Tonnen abgebrannter Brennelemente aus französischen und vielleicht auch aus ausländischen Atomanlagen empfangen. 15 Quadratkilometer Kammern sollen mit dem Atommüll verfüllt werden. Geplant sind 2 Transporte pro Woche, 100 Jahre lang. Die Andra (Agentur zur Entsorgung radio
aktivem Müll) behauptet fälschlicherweise – dass der Müll rückholbar sein wird – ohne über die dazu gehörigen Risiken zu reden: Explosionsgefahr, Verseuchungsgefahr des Grundwassers… Auch wird das Potential, das das Areal darüber für die Erdwärmenutzung darstellt, nicht berücksichtigt. Würde dies Berücksichtigung finden, wäre jegliche Bohrung untersagt.
2013 soll eine öffentliche Debatte als Teil des Planfeststellungsverfahren statt finden, das ist die letzte Hürde vor der industriellen Phase. Das Ziel dieser Debatte war nicht, die Infragestellung des Projektes, sondern die Gewinnung von Erkenntnissen über die GegnerInnen des Projektes! Die örtlichen Bürgerinitiative und Vereine, unterstützt durch zahlreiche EinwohnerInnen haben diese pseudo-demokratische Maskerade angeprangert und die Debatten aktiv boykottiert. Diese konnten schließlich nicht statt finden, so dass das Projekt nun jegliche Legitimität verloren hat.
Mehr Infos: http://burestop.free.fr/spip
sowie mein Bericht über die « öffentliche Debatte ».
Eine verkannte Uranindustrie
Wenige Franzosen wissen über die französische Uranindustrie und ihre weltweite Bedeutung Bescheid. Das französische Netzwerk « Sortir du nucléaire » (« Atomausstieg ») hat aus diesem Grund eine Kampagne gestartet, um die versteckten Verschmutzungen ins Fokus zu rücken: „ Atomkraft: vom Uranbergwerk zum Atommüll – es geht uns alle an.“
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Die französischen Uranbergwerke sind geschlossen. Die Firma AREVA betreibt Uranbergwerke in der ganzen Welt.: in Australien, im Niger, in Kasachstan… Es gibt sogar ein Bergwerkprojekt im Nunavut-Gebiet, einem Inuit-Gebiet!
Mehr Infos: http://groupes.sortirdunucleaire.org/Petition-Nunavut-en
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Das Uran wird nach Frankreich verschifft und wird zum Comurhex-Werk in Malvési, in der Nähe von Narbonne, geliefert. Dieses Werk ist wenig bekannt, obwohl das gesamte in Frankreich gebrauchte Uran und ein Viertel des weltweit gebrauchten Urans (auch des für Deutschland bestimmten!) durch diese Anlage geht. Der Yellowcake wird dort chemisch verarbeitet. Das Werk setzt große Mengen flüssiger Abfälle,frei, die in unter freiem Himmel stehenden Becken abklingen – selbst Plutonium wurde dort gefunden. Der radioaktive Schlamm wurde nach Erdrutschen in der Umgebung entdeckt. Das Netzwerk Sortir du nucléaire hat dieses Jahr mehrere Blockadeaktionen durchgeführt um auf diese Risiken hinzuweisen. Auf die Atomtransporten, die die Anlage verlassen wurde ebenfalls aufmerksam gemacht: täglich 3 bis 5 mit Urantetrafluorid beladene LKW!
Mehr Infos: http://groupes.sortirdunucleaire.org/blocage-camion-tetrafluorure
Sowie meine Übersetzungen zu der jüngsten Aktionen in Malvési: Aktionsbericht und Pressemitteillung
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Das Uran wird dann nach Tricastin (Urananreicherungsanlage) befördert, aufbereitet und in angereichtes Gas (UF6) umgewandelt. Das Uran kommt dann in die Brennelementefertigungsanlage von AREVA. In der letzten Zeit ereigneten sich zahlreiche ernsthafte Zwischenfälle in diesen Anlagen. Im Sommer fand an den Anlagen ein Protestmarsch statt, um die Risiken der Anlagen öffentlich anzuprangern.
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Die Brennstäbe werden daraufhin zu verschiedenen Atomkraftwerken im In- und Ausland geschickt. Die abgebrannten Brennelemente der französischen Atomanlagen werden dann nach La Hague gefahren, zur „Wiederaufbereitungsanlage“ von AREVA. Das Plutonium wird von den anderen Isotopen getrennt – es kann dann zur Herstellung von Atomwaffen … oder MOX-Brennstäben verwendet werden. Diese Art von Brennstäben wird in Marcoule ( Gard) verwendet. Geplant ist die Einlagerung des hoch gefährlichen radioaktiven Mülls in Bure (Meuse)
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Bei jeder Etappe der Atomspirale werden radioaktive und chemische Stoffe in die Umwelt freigesetzt, zahlreiche gefährliche Atomtransporte durchgeführt und große Mengen gefährlichem Atommülls produziert: abgebrannte Brennelemente, aber auch abgereichtes Uran. Niemand weiß wohin damit. Der 30. November 2013 wurde als frankreichweiter Aktionstag gewählt; diese ganzen Risiken sollen öffentlich thematisiert werden.
Wir können auch über gemeinsame Aktionen in Frankreich und Deutschland reden
Mehr Infos: http://groupes.sortirdunucleaire.org/Tous-concernes
Für weitere Informationen zur Atomkraft und zum Widerstand in Frankreich: Charlotte Mijeon – charlotte.mijeon[@]sortirdunucleaire.fr (Anfrage auch auf Deutsch möglich!)