BverfG: generelles Versammlungsverbot unzulässig

Das Bundesverfassungsgericht hat am 15.4.20 in einer Eilentscheidung Az. 1 Bvr 828/20 klar gestellt, dass ein generelles Versammlungsverbot mit Verweis auf die Gefahren vom Coronavirus und Verordnungen der Ländern rechtswidrig ist.

Demo mit Corona-Auflagen in Flensburg - Foto: FeinFrisch
Demo mit Corona-Auflagen in Flensburg - Foto: FeinFrisch

Das Bundesverfassungsgericht hat am 15.4.2020 in einer Eilentscheidung Az. 1 Bvr 828/20 klar gestellt, dass ein generelles Versammlungsverbot mit Verweis auf die Gefahren vom Coronavirus und Verordnungen der Ländern rechtswidrig ist. Im konkreten Fall ging es um eine angemeldete und verbotene Demonstration in Gießen (Hessen). Der Beschluss ist auf andere Bundesländer übertragbar.

Die zuständigen Behörden dürfen Demonstrationen nicht pauschal mit Verweis auf eine Corona-Verordnung des Landes verbieten. Eine Abwägung zwischen den Rechtsgütern muss im Rahmen des durch das Versammlungsgesetz eingeräumten Ermessensspielraum erfolgen. Das bedeutet, dass Auflagen erteilt werden dürfen und dass bei Auflagen, die dem Schutz vor Gefahren durch Covid19 gerecht ein Verbot unverhältnnismäßig und rechtswidrig ist. Das bedeutet aber auch dass Verbote nicht gänzlich ausgeschlossen sind.

Nach diesen Maßgaben hat es in den vergangenen Wochen zahlreiche rechtswidrige behördlichen Eingriffe und Verbote gegen Versammlungen bundesweit gegeben!

Es ist daher schon gut, dass es nun diesen Beschluss gibt. Es ist schwer Rechtsschutz überhaupt zu erhalten, weil die Behörden – so mein Gefühl – absichtlich mit ihren Verbotsverfügungen bis zur letzten Minute warten. Das erschwert den Gang durch die Instanzen, der sich häufig dann durch Zeitablauf erledigt (der Zeitpunkt der Kundgebung ist vorbei, wenn es vor Gericht kommt). In Gießen hatten die Menschen deshalb für drei Tage nacheinander angemeldet. Ein Termin ist vor Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes verstrichen. Der Beschluss gilt nun für die weiteren angemeldeten Termine.

Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch nicht konkretisiert, was für Auflagen genau Corona-Konform wären, sondern der Stadt Gießen aufgegeben, über die angemeldete Versammlung in Gießen neu zu entscheiden. Die Anmelder*innen hatten bei ihrer Anmeldung bereits ein Konzept dazu vorgestellt. Die Behörden haben leider noch viel Spieraum für willkürlichen demonstrationsfeindlichen Auflagen.

Update 16:30 am 16.4.: Demo  läuft … wie erwartet Riesenmedieninteresse … neue Auflagen der Stadt: max. 15 Leute, max. 1 Stunde, alle mit 1,5m Abstand.Wir werden überlegen, was morgen geht. Wahrscheinlich: Mehrere 15er Demos an verschiedenen Plätzen.

die Veranstalter*innen

In Lüneburg haben wir das Recht so zu demonstrieren vor zwei Wochen erkämpft, und es kam in der Tat zu übertiebenen nicht unbedingt für den Gesundheitsschutz notwendigen und verhältnismäßigen Auflagen. Gegen das Baumklettern- und Musikverbot durch den ersten Kreisrat klage ich noch.

Wir hatten letztlich nach einem anfänglichen komplettem Verbot die Behörden dazu bewogen, genau das zu tun was das Bundesverfassungsgericht nun sagt. Das hatten wir mühsam erstritten, andernorts – auch Nidesersachsen – ist es nicht gelungen (zb in Hannover).

Im Blogbeitrag habe ich erläutert wie wir in Lüneburg vorgegangen sind, die Schriftstücke können als Grundlage für weiteren Anmeldungen genutzt werden.

Mit dem Beschluss vom Bundesverfassungsgericht dürfte es nun möglich sein, dieses Recht andernorts zu erkämpfen. Es bleibt aber abzuwarten wie die Behörden damit umgehen und « abwägen » ; ihren « Spieraum » nutzen. Daraus kann sowohl eine sehr restriktiv als auch eher freiheitlich Auslegung werden.

Rechtssicherheit ist damit nicht garantiert. Besser wäre eine bundesweite einheitliche Regelung, eine Nachbesserung der jeweiligen Verordnungen. Statt dessen hat NRW vor kurzem die Regelung zu Versammlungen Verschärft und noch mehr Rechtsunsicherheit geschaffen… (Analyse von Freiheitsfoo)

Grundrechte leben davon, dass sie genutzt und verteidigt werden. Insofern: Lasst uns die Straße zurück erobern. Ja das geht auch in Coronazeiten. Mit kreativen Konzepten, mit Abstand, mit Mundschutz, …

Cécile Lecomte

Pressemitteilung aus Gießen zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes

Ergänzung: Die PM vom Bundesverfassungsgericht ist hier.

16.4.2020, Gießen

  • Bundesverfassungsgericht hebt Demoverbot auf
  • Organisator*innen: « Corona-kompatible Meinungskundgabe ist möglich – und nötig »

Seit Wochen ringen in vielen Städten Deutschland Behörden, Polizei und politische Aktivist*innen um das Recht auf Meinungskundgabe. Immer wieder sorgen Verbote und rabiate Polizeieinsätze selbst gegen Einzelpersonen mit Meinungsäußerung auf einem Schild oder gegen Versammlungen, bei denen größere Abstände eingehalten werden als vorgeschrieben, für Aufregung. Dabei gäbe es viel zu kritisieren an einer Coronaschutz-Politik, die große Teile der Menschen zwar wirksam schützt, andere aber dafür im Stich lässt oder sogar in Gefahr bringt.

Um dafür zu sorgen, dass Meinungskundgabe nicht weiter unterdrückt wird, hatten Gießener Gruppen eine Versammlung mit dem Motto « Gesundheit stärken statt Grundrechte schwächen – Schutz vor Viren, nicht vor Menschen » angemeldet. Sie sollte vom heutigen 14. bis zum 17. April jeweils ab 14 Uhr am Berliner Platz beginnen. Erwartungsgemäß wurde die Versammlung, für die die Anmelderinnen selbst umfangreiche Schutzvorkehrungen überlegt und in der Anmeldung beschrieben hatten, verboten. Auch das Verwaltungsgericht Gießen und der Hessische Verwaltungsgerichtshof stellten sich hinter die Verbotsverfügung, die die 3. Hessische Corona-Verordnung zur Grundlage wählte, zu der die Landesregierung selbst inzwischen aber gegenüber Medien klarstellte, dass diese keine Ermächtigung zum Verbot von Versammlungen enthalte. Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht entschieden: Das Verbot war rechtswidrig. Versammlungen, bei denen die Ansteckungsgefahr nicht größer ist als bei anderen Bewegungen im Alltag unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben und Hygieneempfehlungen der Behörden, sind grundrechtlich geschützt. Der Schutz vor Gefahren müsse durch geeignete Auflage statt Verbote erreicht werden.

« Damit ist der Versuch der Politik, sich unter dem Deckmantel des Infektionsschutzes eine oppositions- und kritiklose Zeit zu ergaunern, vorbei! » rufen die Initiatiorinnen jetzt alle gesellschaftlichen Gruppe auf, sich wieder lauter zu äußern. « Die Ausweitung der Überwachung, die Lage von Flüchtenden an den EU-Außengrenzen und hier im Land, die Einstellung der Hilfe für Bedürftige, Wohnungslose, Drogenkonsument*innen und viele andere, die aufbrandenden Forderungen nach einem Ende von Klimaschutz und Grundrente – wir lassen uns den Mund nicht weiter verbieten ».

Nun rufen Aktive aus Gießen zu einem bundesweiten « Fridays for Grund- und Menschenrechte » am kommenden Freitag, den 17.4. auf.