In diesem Jahr jährt sich zum 10. mal der Todestag von Sébastien Briat, der 2004 bei einer Protestaktion in Frankreich gegen einen CASTORtransport nach Deutschland ums Leben kam. Die Missachtung von Sicherheitsregeln seitens der französischen Eisenbahn SNCF und die Intervention der Polizei trugen zu seinem Tod bei. Dazu äußerte ich mich bei einer Mahnwache in Gedenken an Sébastien 2005, einem Jahr nach seinem Tod. In einigen Städten wird es zum 10. Todestag von Sébastien Gedenkveranstaltungen geben.
Ausgerechnet wenige Tage vor diesem traurigen Jahrestag kommt ein weiter Umweltaktivist in Frankreich ums Leben. Rémi Fraisse war 21 Jahre alt und wurde am Sonntag um 2 Uhr Nachts bei einer Demonstration gegen den Bau eines Staudammes in Testet (Tarn-Département, Süd-West-Frankreich) durch eine Explosion getötet. Zahlreiche Zeugenaussagen deuten darauf hin, dass es sich bei der « Explosion » um die Explosion einer « grenade de désencerclement », einer Offensiv-Granate der Militär-Polizei (Gendarmerie, Gardes Mobiles Einheit) geht. (eine Quelle auf Französisch: http://www.reporterre.net/spip.php?article6496 , das Bild oben ist auch von Reporterre)
Die Französische Polizei benutzt häufig unterschiedliche Offensivgranaten gegen DemonstrantInnen. Dies habe ich bei Antiatomdemonstrationen und Demonstrationen gegen die Gentechnik (mit Bildern) sehr oft erlebt. Bei der Explosion dieser Granaten ist eine extrem Laute Detonation zu hören (um die 160 Dezibel). Bei einigen Granaten verteilen sich Gummigeschosse sowie Splitterteile aus Metall. Die Splitterteile der Granaten können Menschen treffen und sich mehrere Zentimeter durch das Fleisch in den Körper durch fressen. Dabei können Arterien oder Nerven getroffen werden. Ihre Entfernung ist gefährlich, die Opfer müssen die Splitterteil im Körper behalten. (die Menschen können dann keinen Metalldetektor mehr passieren, ohne dass es piepst!). Andere Granaten, die grenade offensive sans éclats 410 haben keine Splitterteile, die Wucht der Explosion macht aber die Menschen handlungsunfähig und wenn die Granate zu nah an einer Person explodiert, kann diese schwer verletzt werden – oder wie Rémi, der möglicherweise eine solche Granate abbekommen hat, ums Leben kommen.
Wer eine Granate bei der Explosion in der Hand hält, kann sein Körperteil (oft ist es die Hand, der Fuß) verlieren. Eine Explosion am Boden macht einen Krater von 20 – 50 Zentimeter. Wer sich in unmittelbarer Nähe aufhält, wird verletzt. Ich habe schon durch eine Granate zerfetzte Wanderschuhe gesehen, das Opfer hatte einen blutigen Fuß.
Über die « nicht letalen Waffen » und das Vorgehen der französischen Polizei berichtete ich 2012. Ich habe damals die Proteste gegen den Neubau einer Hochspannungsleitung in der Normandie journalistisch begleitet. Daraus sind ein Radiobeitrag und mehrere Artikel entstanden.
Auf der Seite vom Umweltinformationsdienst « Reporterre » wurde ein Bild des Ortes veröffentlicht, wo Rémi durch die Granate getroffen wurde. Es sind Blut- und Schleifspuren zu sehen. Dies stimmt mit Zeugenaussagen überein, wonach an jenem Abend als Rémi starb, eine Person nach einer Explosion zu Boden fiel und kurze Zeit später von Gendarmen weg geschliffen wurde. Die Menschen dachten in diesem Moment nicht, dass eine Person vor ihren Augen ums leben gekommen war, sie dachten an einer Festnahme mit Verletzung eines Demonstranten.Die Waffen der Polizei sind unter DemonstrantInnen dafür bekannt, dass damit Menschen schwer verletzt werden können. An den Tod will man lieber nicht denken. Doch: Rémi ist tot. Das ist die traurige Nachricht des Tages. Das macht mich wütend. Hinzu kommt, dass bei der besagten Demo (und bei anderen Demos) weitere AktivistInnen schwer verletzt wurden und ins Krankenhaus evakuiert wirden (u.a. Schwere Verletzung durch » Flash Balls », weil die Polizei in den Kopf geschossen hat, was sie nicht darf…aber so isses im Polizeistaat)
Als ich von Rémis Tod erfahren habe, habe ich sofort an Sébastien gedacht. Aber auch an Vital Michalon, der 1977 auf einer Antiatomdemonstration in Malville ums Leben kam. Die Explosion einer Granate der Polizei führte damals zu seinem Tod. Und das sind sicher nicht die einzigen Toten… leider. Aus diesem Grund habe ich mich dazu verpflichtet gefühlt, eine Zusammenfassung auf Deutsch zu machen. Ich entschuldige mich dafür, dass ich nicht die Kapazität dafür habe, ausführlichere Infos zu übersetzten und veröffentlichen. Ich setze aber immerhin hiermit ein Zeichen für Solidarität auf Deutsch und hoffe dass er sich verbreitet.
Der Staudamm in Testet steht auf einer langen Liste von unnütze Großprojekte, die mit Staatsgewalt durchgesetzt werden. In Deutschland ist S21 ein Begriff dafür. In Frankreich ist es « la ZAD » in Notre Dame des Landes (NDL) und nun auch le Testet.
Der etwa 300 Meter lange Damm, der seit Anfang September gebaut wird, soll den Fluss Tescou stauen. Dafür werden 20 Hektar Feuchtgebiet und Wald geopfert. Der Zweck des Projektes ist die Bewässerung von wenigen Großbetrieben, die intensive Landwirtschaft betreiben. Die Großbetriebe zahlen natürlich nicht. Die 8 Milionen Euro inverstiert der Staat, also der Steuerzahler. Das Projekt ist selbst unter « Experten » nicht unumstritten. Einer am Montag veröffentlichten Untersuchung zur Folge, wurden die Bedürfnisse überschätz und die Konsequenzen für die Umwelt unterschätzt. Die Untersuchung wurde durch zwei Ingenieure des zuständigen Amtes für Großprojekte durchgeführt. (Siehe http://www.reporterre.net/spip.php?article6498 ) Gegen dieses Bauprojekt gibt es seit Wochen und Monaten einen vielfältigen Widerstand. Der Tod von Rémi ereignete sich im Anschluss an einer Demonstration mit ca. 5000 Menschen. Er löste in Frankreich zahlreiche Spontandemonstrationen aus, dort wurde und wird noch getrauert. Die Menschen äußern aber auch ihre Wut gegen ein System, dass solche Projekte möglich macht und über Leichen geht. In le Testet geht der Widerstand weiter. Aus der Wut wird Energie.
Dossier über das Großprojekt und den Widerstand auf Französisch: http://www.reporterre.net/spip.php?article6247