Sensible Polizei

Ungeschickte Polizeibeamt*innen verklagen Demonstrant*innen

Eichhörnchen-Artikel, Erstveröffentlichung in der GWR 416, Februar 2016

Polizist*innen sind sehr sensibel. Darum hat der Gesetzgeber Paragrafen geschaffen, die entweder nur für sie gelten oder fast ausschließlich zur Durchsetzung ihrer Interessen angewendet werden.

Eine „Beamtenbeleidigung“ gibt es im Strafgesetzbuch nicht. Doch § 185 StGB, der Beleidigungsparagraf, findet fast ausschließlich Anwendung in Fällen wo Beamt*innen sich „in ihrer Ehe“ verletzt fühlen. Eine Demonstrantin, die im öffentlichen Fernsehen durch einen ranghohen Beamten als „verrückt“ oder „krank“ bezeichnet wird, muss dagegen nicht mit einer Anklage rechnen (1). Der Widerstandsparagraf (§ 113 StGB) ist exklusiv für Amtsträger*innen wie Polizeibeamt*innen gedacht und die Polizeigewerkschaften werden nicht müde zu erzählen, man müsse zum Schutz der Beamt*innen die Strafen erhöhen. Insbesondere Polizeibeamt*innen machen reichlich von diesem Vorwurf Gebrauch, um Demonstrant*innen zu kriminalisieren. Und da reicht schon der Vorwurf, eine Demonstrantin habe sich „schwer gemacht“ zur Erhebung der Anklage durch die Staatsanwaltschaft. Ob als Angeklagte oder als Verteidigerin: ich habe schon etliche Verfahren dieser Art erlebt, wo die Beamt*innen partout die Schwerkraft nicht verstehen wollten und die Auffassung vertraten, mensch könne sich „schwer“ machen, also die physikalischen Gesetze durchbrechen. Und wenn der Widerstandsvorwurf nicht durch kommt, dann die Körperverletzung: es reicht wenn ein Polizist behauptet, er habe einen Schmerz verspürt, weil zum Beispiel auf seine – die Aktivistin würgende – Hand bei der Räumung einer Sitzblockade Druck ausgeübt wurde. Eine winzig kleine Schürfwunde, die sich eine Polizistin im Einsatz zuzieht, reicht auch für eine Anklage.

Ungeschickte Polizeibeamt*innen verklagen Demonstrant*innen

Eichhörnchen-Artikel, Erstveröffentlichung in der GWR 416, Februar 2016

Polizist*innen sind sehr sensibel. Darum hat der Gesetzgeber Paragrafen geschaffen, die entweder nur für sie gelten oder fast ausschließlich zur Durchsetzung ihrer Interessen angewendet werden.

Eine „Beamtenbeleidigung“ gibt es im Strafgesetzbuch nicht. Doch § 185 StGB, der Beleidigungsparagraf, findet fast ausschließlich Anwendung in Fällen wo Beamt*innen sich „in ihrer Ehe“ verletzt fühlen. Eine Demonstrantin, die im öffentlichen Fernsehen durch einen ranghohen Beamten als „verrückt“ oder „krank“ bezeichnet wird, muss dagegen nicht mit einer Anklage rechnen (1). Der Widerstandsparagraf (§ 113 StGB) ist exklusiv für Amtsträger*innen wie Polizeibeamt*innen gedacht und die Polizeigewerkschaften werden nicht müde zu erzählen, man müsse zum Schutz der Beamt*innen die Strafen erhöhen. Insbesondere Polizeibeamt*innen machen reichlich von diesem Vorwurf Gebrauch, um Demonstrant*innen zu kriminalisieren. Und da reicht schon der Vorwurf, eine Demonstrantin habe sich „schwer gemacht“ zur Erhebung der Anklage durch die Staatsanwaltschaft. Ob als Angeklagte oder als Verteidigerin: ich habe schon etliche Verfahren dieser Art erlebt, wo die Beamt*innen partout die Schwerkraft nicht verstehen wollten und die Auffassung vertraten, mensch könne sich „schwer“ machen, also die physikalischen Gesetze durchbrechen. Und wenn der Widerstandsvorwurf nicht durch kommt, dann die Körperverletzung: es reicht wenn ein Polizist behauptet, er habe einen Schmerz verspürt, weil zum Beispiel auf seine – die Aktivistin würgende – Hand bei der Räumung einer Sitzblockade Druck ausgeübt wurde. Eine winzig kleine Schürfwunde, die sich eine Polizistin im Einsatz zuzieht, reicht auch für eine Anklage.

Alle sind gleich, nur einige sind gleicher

Wer dagegen durch Polizeibeamt*innen krankenhausreif verletzt wird, darf nicht mit der strafrechtlichen Verfolgung der Täter*innen rechnen. Anklage wird nur in seltensten Fällen erhoben. Die zivilrechtliche Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen gegenüber Polizeibeamt*innen ist für die Betroffenen ebenfalls schwierig. Ein ganzer staatlicher Apparat mauert zu und manipuliert an Fakten herum. Hier fällt mir der Fall eines Baumpflegers, der bei einer Protestkletteraktion gegen den Castortransport 2010 nach Gorleben durch Beamte mit Pfefferspray angegriffen wurde und bei seinem Sturz aus dem Baum an der Wirbelsäule schwer verletzt wurde, ein (2). Schadenersatz gab es für den Baumpfleger nicht.
Oder das jüngste Urteil in eigener Sache. Ich habe vor dem Essener Landgericht die Polizei auf Schmerzensgeld verklagt, aufgrund eines rechtswidrigen Freiheitsentzugs und der Misshandlungen, die zu meiner Einlieferung ins Krankenhaus führten. Das beklagte Land bestritt letzteres mit „Nichtwissen“, obwohl die Einlieferung im Krankenhaus aktenkundig und die Misshandlungen sogar durch das Polizeivideo dokumentiert waren. Das Gericht sprach mir schließlich ein Schmerzensgeld in Höhe von 400 Euro für den rechtswidrigen Freiheitsentzug zu – die Misshandlungsvorwürfe wurden dabei nicht aufgeklärt. Die verantwortlichen Beamt*innen zahlen nicht – sondern das Land. (3)

Nur wenige Menschen wissen über ihre Rechte Bescheid, über die Möglichkeit der Geltendmachung ziviler Ansprüche bei rechtswidrigen Amtshandlungen. Die Durchsetzung solcher Ansprüche ist zugegeben auch nur ein kleiner Trotz. Geld kann Misshandlungen nicht wieder gut machen. Auch löst diese Art der Auseinandersetzung die grundsätzlichen Probleme nicht. Rechtswidrige polizeiliche Maßnahmen bleiben auf der Tagesordnung und – das ist politisch gewollt – die Gerichte sind dazu da, die herrschende Ordnung aufrecht zu erhalten. Grundrechte müssen wir nach wie vor auf der Straße verteidigen.

Die Erdanziehungskräfte und das Missgeschick von Polizeibeamten

Unrechtsbewusstsein haben Polizeibeamt*innen in der Regel nicht. Rechtswidrige Amtshandlungen hin und oder her, sie sind Wiederholungstäter*innen. (4) Und von physikalischen Gesetzen wollen sie, wie oben bereits dargelegt, nichts wissen. Dies kann zu unterhaltsamen oder gar skurrilen Gerichtsverfahren führen.

„Kommen Sie da runter!“, höre ich als Kletteraktivistin immer wieder in Situationen, wo dies physikalisch gar nicht möglich ist. Zum Beispiel wenn ein Polizeibeamter an meiner Kletterausrüstung zerrt und dabei erst recht dafür sorgt, dass meine Klemmknoten halten und ich nicht hinabsteigen kann. Und wenn die Polizeibeamt*innen mit Gewalt gegen die Schwerkraft anzukämpfen versuchen und sich dabei verletzen, dann muss die Demonstrantin oder der Demonstrant schuld daran sein. Er oder sie wird verklagt.

„Demonstrant soll für Missgeschick eines Polizisten zahlen, das er gar nicht verursacht hat“, las ich auf einen Flyer mit der Ankündigung eines zivilrechtlichen Prozess um die Forderung des Landes Niedersachsens gegen einen Demonstranten. Hintergrund war eine Protestaktion gegen einen Plutoniumtransport zum AKW Grohnde im November 2012. Der Demonstrant hatte sich an einem Transport-LKW festgekettet und wurde nach seiner Räumung von der Straße gebracht und mit Gewalt über eine Leitplanke eine Böschung hinunter geworfen. Im Anschluss daran, bei Maßnahmen zur Personalienfeststellung und dem Versuch den Demonstranten mit einem Griff unter die Achsel hoch zu heben, verletzte sich ein Polizeibeamter an der Hand und war bis Ende März 2013 arbeitsunfähig. Das Land Niedersachsen verklagte daraufhin den Demonstranten auf die Zahlung von 15.121,72 Euro für Heilbehandlungskosten und Bezüge des Beamten.
Der Fall erinnerte mich an ein eigenes Verfahren aus dem Jahr 2010. Es scheint häufiger vorzukommen, dass Beamt*innen sich beim Wegtragen oder Hochheben von Demonstrant*innen am Handgelenk verletzen und die Schuld für ihr ungeschicktes Vorgehen beim Demonstranten sehen.
Hintergrund war damals eine Ingewahrsamnahme bei der Waldbesetzung gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens im Jahre 2009. Eine Polizistin, die der Meinung war, ich hätte mich bei der Räumung einer Harvestermaschine „schwer gemacht“, verlangte 1200 Euro Schmerzensgeld für eine Verletzung am Handgelenk. Das Verfahren verlief äußerst skurril, man unterhielt sich über die Erdanziehungskraft: „Ebensowenig gab es sonstige physikalische Veränderungen, insbesondere keine Veränderungen der Erdanziehungskraft, aus denen auch nur annähernd geschlossen werden könnte, die Beklagte habe sich ‘plötzlich schwer’ gemacht. Beweis: Einholung eines Sachverständigengutachtens“, hieß in einer Stellungnahme meines Verteidigers in diesem absurden Verfahren. (4) Das Gericht urteilte schließlich, dass Sitzenbleiben ein Grundrecht jedes Demonstranten ist und diese zu keiner aktiven Mithilfe bei der eigenen Ingewahrsamnahme verpflichtet sind.

Schmerzgriffe statt wegtragen

Interessant war in diesem Verfahren eine Stellungnahme der Klägerin. Ich hatte erklärt, sie sei an ihrer Verletzung am Handgelenk selbst schuld, weil sie mich nicht fachgerecht getragen habe. Darauf erwiderte sie, dass Polizist*innen in ihrer Ausbildung nicht lernen würden, wie man Menschen wegträgt. Im jüngst vor dem OLG Celle verhandelten Fall ging es ebenfalls darum. Demonstranten sollen nach der Logik des Landes Niedersachsen, dass die Klage führte, dafür zahlen, dass Polizeibeamt*innen nicht adäquat ausgebildet werden und nicht in der Lage sind Menschen fachgerecht weg zu tragen. Polizeibeamt*innen lernen offensichtlich nur wie man Menschen Schmerzen zufügt, Schmerzgriffe und andere Quälerei gehören wohl zum Katalog polizeilicher Maßnahmen. Der Staat will vom Protest abhalten und schert sich kaum um die körperliche Unversehrtheit von Demonstrant*innen.

Das allgemeine Einsatzrisiko eines Polizeibeamten darf nicht auf Demonstrant*innen abgewälzt werden

„Demonstrant haftet nicht für Verletzung eines Polizeibeamten“, hieß es nach der mündlichen Berufungsverhandlung in einer Pressemitteilung vom Oberlandesgerichte Celle. Das Gericht hob somit das erstinstanzliche Urteil vom Landgericht Hannover, dass der Klage des Landes statt gegeben hatte, ohne den Beklagten auch nur anzuhören und das Beweismaterial zu sichten. Das Oberlandesgericht übte dagegen scharfe Kritik am Verhalten der Polizei. Besonders kritisch bewertete der vorsitzende Richter, dass in den beiden vorgelegten Polizei-Videos gerade die Sequenzen fehlen, bei denen der Beklagte über die Leitplanke bewegt wurde. Nach einer vom Gericht angebotenen Beratungspause teilte der Vertreter des Landes mit, dass die Klage nicht zurück gezogen werde, machte aber zur Sache keine weiteren Ausführungen. Der Vorsitzende wurde noch einmal deutlich. Er wisse nicht, warum die Videosequenz fehle und wolle es sich auch gar nicht vorstellen. Aber man könne es.
Das am 8. Dezember 2016 verkündete Urteil (6) stellte klar: „Damit hat sich nicht eine spezifische Einsatzgefahr verwirklicht, die dem Beklagten zuzurechnen wäre, sondern das allgemeine Risiko, dem sich ein Polizeibeamter aussetzt, der seinen Beruf ausübt und sich im Einsatz befindet.“
Das OLG deutet sogar an, es halte die Handlung der Polizeibeamten für rechtswidrig: „In der konkreten Situation bestand nach Auffassung des Senats kein Anlass den Beklagten über die Leitplanke hinüber auf die relativ stark abfallende Böschung zu verbringen.“

Schmerzensgeld hätte es also eher für den misshandelten Demonstranten geben sollen!

Eichhörnchen

Fußnoten:

(1) Siehe: www.lto.de/recht/nachrichten/n/scharfe-kritik-polizeisprecher-an-anti-castor-klette
raktivistin-keine-schmaehkritik/

(2) Siehe www.taz.de/!5285266/ und www.oberlandesgericht-celle.niedersachsen.de/aktuelles/presseinformationen/keine-amtshaftung-fuer-sturz-beim-castortransport-142318.html
(3) Siehe: http://blog.eichhoernchen.fr/post/Essen-Kletteraktivistin-gewinnt-Schmerzensgeldklage-gegen-Land-NRW
(4) Siehe eine ganz persönliche Liste gesetzwidriger Polizeimaßnahmen: http://blog.eichhoernchen.fr/post/Politisch-Motivierte-Polizeikriminalitaet
(5) Aktenzeichen: 31 C 1253/09 – 23 Amtsgericht Frankfurt am Main. Siehe auch „ kommen Sie da runter!“ 2014 Verlag Graswurzelrevolution ISBN 978-3-939045-23-6
(6) Aktenzeichen 5 U 44/16, OLG Celle