* Nachspiel zum so genannten Keksprozess in Lüneburg – oder der Versuch, Gehorsam zu erzwingen
* Das Märchen der objektiven Ermittlungen zur Be- und Entlastung durch die Staatsanwaltschaft
* Richterin Lindner im Zeugenstand : Maßnahme ohne Rechtsgrundlage und lückenhafte Erinnerungen
* Eichhörnchen als Wahlverteidigerin genehmigt – Einstellung des Verfahrens erreicht
* « BerufsdemonstrantInnen » starten die nächste Aktion
Hintergrund: Container Prozess
Für etwas Aufsehen und Empörung sorgte Anfang des Jahres der so genannte Keksprozess. Meinem Bauwagennachbar Karsten wurde vorgeworfen, das Grundstück der Lüneburger Firma Scholze betreten zu haben, um abgelaufene Kekse aus einer Mülltonne zu klauen. Solch eine Lappalie wird in der Regel wegen Geringfügigkeit eingestellt – nicht aber im Falle eines politischen Aktivisten, der schon länger im Visier der Staatsanwaltschaft steht – Karsten ist hartnäckiger Atomkraftgegner! Ganze vier Tage wurde wegen dieser Lappalie vor dem Lüneburger Amtsgericht verhandelt. Richterin Lindner verweigerte Karsten seine elementare Verteidigungsrechte und machte von Ordnungsmaßnahmen gegen kritische ZuschauerInnen und den Angeklagten Karsten reichlich Gebrauch. Das Ergebnis war eine Verurteilung nach Tageslicht. Der Angeklagte habe zwar das Gelände durch ein offenes Tor betreten. Der Tatbestand des Hausfriedensbruchs sei aber trotzdem erfüllt, weil das Betreten zur Nachtzeit erfolgte (Mensch braucht nicht zu suchen, davon ist nichts im Gesetz zu finden!). In der Sache wurde längst nicht das letzte Wort gesprochen, sowohl die Staatsanwaltschaft also auch Karsten haben Berufung eingelegt.
Absurd ist aber nicht nur, dass die Staatsanwaltschaft auf die Verfolgung besteht und sich nun das Landgericht mit der Angelegenheit beschäftigen soll. Sondern dass auch Amts- und Oberlandesgericht weiterhin damit beschäftigt werden.
Nachspiel bis vor dem Oberlandesgericht
Die überforderte Richterin machte wie bereits erwähnt von Ordnungsmaßnahmen nach dem Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) reichlich Gebrauch. Das GVG (§ 176 und ff) soll den reibungslosen Betrieb der Urteilsfabrik garantieren und Angeklagter und Zuschauer fügsam und gehorsam machen.
Vor dem Oberlandesgericht Celle ist eine Beschwerde des Eichhörnchens gegen ein Ordnungsgeld nach § 177 GVG anhängig. Es wird darüber gestritten, ob sitzungspolizeiliche Maßnahmen gegen Personen, die sich draußen auf der Straße oder an der Fassade des Gerichtes aufhalten und ihre Meinung gegen das Justiztheater kund tun, greifen…
Nachspiel vor dem Amtsgericht: der Versuch, Gehorsam zu erzwingen
Pikanter als der Streit um Ordnungsgeld ist aber das Verfahren gegen Christian. Am 28. Juni 2011 musste sich Christian vor dem Amtsgericht Lüneburg verantworten. Als er während Karstens Prozesses aus dem Saal verwiesen und weg getragen wurde, soll er Widerstand geleistet haben. Das klingt nach einer Racheakt der Staatsanwaltschaft gegen einen unliebsamen Aktivisten der die Autorität einer – vollkommen überforderten – Richterin (Lindner) nicht anerkennen mag. Gehorsam soll mit strafrechtlicher Verfolgung erzwungen werden. Und hierzu sind alle Mitteln gut.Wenn die Aussage der Zeugen nicht ins Bild der Anklage passen, sollen sie nochmal vernommen werden, bis es in die Schublade « Widerstand gegen Vollstreckungsbeamter » hineinpasst….
Das Märchen der objektiven Ermittlungen zur Be- und Entlastung
Aus dem Gesetzkommentar zur Strafprozessordnung Meyer-Goßner ; Vor § 141 GVG ; 10. Titel. Staatsanwaltschaft ; Randnummer 8 » Die Staatsanwaltschaft ist nicht Partei im Strafprozess. […] Die Staatsanwaltschaft hat während des ganzen Verfahrens Belastung und Entlastung des Beschuldigten gleichermaßen zu berücksichtigen. »
An die gesetzlichen Voraussetzungen hält sich die Staatsanwaltschaft in der Praxis nicht. Das Verfahren gegen Christian ist ein eklatanter Beispiel dafür.
Dass die Staatsanwaltschaft bestimmte Interessen vertritt ist bekannt. Verfahren gegen Polizeibeamten stellt sie oft trotz klarer Beweislage ein ; Verfahren gegen politischen AktivistInnen führt sie bis zur bitteren Ende.
Ich möchte hier nur ein paar Beispiele nennen, die sich auf Lüneburg beschränken.
Ermittelungen gegen Polizeibeamten:
Wenn der Lüneburger Polizeipräsident und Castoreinsatzleiter das Eichhörnchen im Fernsehen als krank, verrückt und Störfaktor bezeichnet, wird das auf Antrag gegen ihn eingeleitete Strafverfahren wegen Beleidigung ganz schnell eingestellt.
Wenn einem am Boden liegenden Aktivisten bei einer Protestaktion gegen den Castortransport (2005) drei Zähne durch den Fußtritt eines Polizisten einer Bloomberger BFE-Polizeieinheit ausgeschlagen werden, wird von der Staatsanwaltschaft zunächst behauptet, der verantwortlicher Beamter sei nicht zu ermitteln. Und wenn Unbekannte die Staatsanwaltschaft bei der Indentifizierung der TäterInnen helfen, wird dann behauptet, der Beamter habe die am Boden liegende Person nicht absichtlich ins Gesicht getroffen.
Ermittelungen gegen AktivistInnen
Wenn ein Mensch Kekse aus einer Mülltonne klaut, wenn eine Aktivistin im Rahmen einer Demonstration kurzfritig auf das Gelände des Atommüllzwischenlagers gelangt, wird von der staatsanwalt das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht.
Und wenn die Zeugenaussagen widersprüchlich und nicht genügend belastend sind, werden die Zeugen, die den Beschuldigten zu sehr entlasten erneut geladen – in der Hoffnung von ihnen eine belastendere Aussage zu bekommen. Und dann ist es auch egal, was daraus kommt. Das Entlassende wird ignoriert und eine Anklage gefertigt… wie in Chritians Verfahren am 28. Juni 2011. Ich dokumentiere das Vorgehen der Staatsanwaltschaft:
* Die polizeilichen Ermittlungen und erste Zeugenaussagen:
Zeuge Ekkel – erste Vernehmung: « er hat sich dabei schwer gemacht. Er hat auch versucht, sich irgendwo festzuhalten, das was aber nicht störend. Er hat nicht um sich geschlagen oder getreten. […] Aus meiner Sicht hat er bei der ganzen Aktion eher passiven Widerstand geleistet, er hat sich einfach von uns weg tragen lassen. »
Zeuge Mittendorf – erste Vernehmung: « Der ließ sich richtig hängen und riss dann noch Stühle um als er weggetragen wurde. »
Zeuge Brosy , ein Wachmeister aus Celle – nur ein mal vernommen worden: » Er hat sich auf der Bank regelrecht festgeklammert. ich hielt mich zu dem Zeitpunkt hinter der Person auf.
« Ich habe ihn kräftig an dem Unterarm gepackt,dieses hat ausgereicht, dass er von der Bank abgelassen hat und ich dann den Arm nehmen konnte und zu einem Kreuzfesselgriff führen konnte.
Insgesamt kann man schon sagen, dass sich die Person nicht so verhalten hat, also ob wir ihn so leicht rausbekommen können. Er hat sich eher gegen die Maßnahme gewehrt, indem er sich in die Sitzbank gedrückt hat und unserer Aufforderung nicht nachgekommen ist. »
* Die Staatsanwaltschaft mischt sich ein und
verlangt eine erneute Vernehmung der Zeugen, die Christian entlasten:
Aus ihrem Vermerk vom 28. April 2011: […] die Zeugen Ekkel und Mittendorf im Hinblick auf die Bl. 35. d.A. aufgezeigten Widersprüche zu den Angaben des Zeugen Brosy nochmals zu vernehmen.
Der Zeuge Ekkel möge seine Angaben, wonach sich der Angeschuldigte « schwergemacht » und « verucht habe sich festzuhalten » konkretisieren. […]
Der Zeuge Mittendorf möge das « hängen lassen », Bl. 12, und das « umreißen der Stühle » erläutern.[…]
* Erneute Zeugenvernehmung…
Zeuge Ekkel – zweite Vernehmung: » Aus meiner Sicht hat er sich gegen unsere Maßnahme nicht aktiv gewehrt, sondern hat sich passiv gehalten, er hat sich hängen lassen wie ein nasser Sack.
Aus meiner Sicht hat er sich auch nirgendwo gegengestemmt. »
Zeuge Mittendorf – zweite Vernehmung: « Er hat das Tragen nicht aktiv unterstützt. Er ist die ganze Zeit vollkommen passiv geblieben. Gesagt hat er meines Wissens nichts. Er hat eigentlich die ganze Zeit nur gelächelt.
Als er dann hinten im Bereich der Arme gepackt wurde, um rausgetragen zu werden, hat er die Beine breit gemacht, er hat dabei richtig Spagat gemacht, und dabei einen Stuhl umgerissen und eine Bankreihe, nämlich die zweite Sitzbankreihe ein Stück mitgezogen, da hat er sich mit dem Fuß hinter verharkt. […]
Mit hängen meine ich, dass er sich in den Griff hat fallen lassen.[…]
Dabei hat er sich richtig sacken lassen.
Er hat das Tragen in keinster Weise aktiv unterstützt, sondern blieb dabei vollkommen passiv, nahezu bewegungslos. »
* Die Staatsanwaltschaft beantragt den Erlass eines Strafbefehls!
Der Strafbefehlsantrag (PDF) ist hier dokumentiert
Für das Verfahren wäre Karstens Richterin, also Richterin Lindner zuständig gewesen. Sie erklärte sich allerdings für befangen… Was ja auch logisch ist. Den Rauswurf von Christian ordnete sie damals an! Sie ist Zeugin.
Das Verfahren übernahm also eine andere Richterin. Richterin Schmeer, hieß sie. Zu gute kann ihr gesagt werden, dass sie die Akte ließ und den Strafbefehl der Staatsanwaltschaft nicht akzeptierte. Auf Grund der widersprüchlichen Zeugenaussagen setzte sie einen Termin zur Hauptverhandlung fest. Als Zeuge wurden die drei Justizbeamten und Richterin Lindner geladen.
Laienverteidigung
Am Dienstag begann die Verhandlung um 8:30 Uhr. Die vorsitzende Richterin Schmeer schien sich Gedanken über das Verfahren gemacht zu haben. Konfrontation wollte sie augenscheinlich möglichst aus dem Weg gehen. Sie verhielt sich in ihren Entscheidungen auf jeden Fall souveräner als Richterin Lindner in Karstens Prozess. Um die Einhaltung der eigenen Gesetze war sie im Vergleich zu vielen Kollegen bemüht. An der Absurdität des Justizsystems ändert es nicht viel, aber war immerhin für alle Beteiligten etwas entspannter als sonst – und in keiner Weise mit dem « Keksprozess » zu vergleichen.
Christian beantragte gleich zu Beginn der Verhandlung die Genehmigung von Eichhörnchen Cécile als seine Wahlverteidigerin (nach § 138 Abs 2. StPO ; siehe Hintergrundartikel zum Thema). Richterin Schmeer wusste wohl über das Eichhörnchen Bescheid. Einiges scheint sich bei der Justiz herumzusprechen. Die gab Christians Antrag auf jeden Fall ohne weitere Nachfrage statt. Nur darüber, dass kein Antrag auf Dolmetscher für die französische Verteidigerin folgen würde, wollte sie sich vergewissern… dies verrät etwas Furcht vor der Nervstrategie, die manche Angeklagten immer wieder wählen (manchmal genehmigen RichterInnen lieber gleich die Pflichtverteidigung, um ruhe zu haben!)
Befangene Richterin im Zeugenstand
Sehr spannend gestaltete sich die Vernehmung von Richterin Lindner als Zeugin nicht. Ausschlaggebend für die Einstellung des Verfahrens nach einer Stellungnahme der Verteidigung über die Beweisaufnahme war sie aber schon.
Die 31 Jährige Richterin wollte sich als Zeugin nicht allzu weit aus dem Fenster lehnen. Sie behauptete, sie würde sich an das Geschehen vor sechs Monaten nicht mehr erinnern. Sie könne nur sagen, dass es um den Ausschluss eines Zuschauers aus dem Gerichtssaal ging. Weswegen er heraus gebeten wurde und ob der Zuschauer ermahnt und angehört worden war, konnte sie nicht mehr sagen. Allgemein sei der Prozess turbulent gewesen und sie sei mit Ordnungsmaßnahmen gegen viele ZuschauerInnen – und auch gegen den damaligen Angeklagten Karsten vorgegangen.
Es war ihr augenscheinlich unangenehm, im Zeugenstand zu sitzen und Fragen von der Verteidigung beantworten zu müssen. Vor allem im Hinblick darauf, dass sie sowohl den Angeklagten als auch die jetzige Verteidigerin im Laufe des Verfahrens gegen Karsten mehrfach aus dem Saal verwies, weil diese aus dem Publikum ihre willkürliche Prozessführung kommentierten (keine vollständige Akteneinsicht, Rauswurf der Verteidigerin, Verweigerung von Pausen zum beraten und Schreiben von Anträgen durch den Angeklagten, Entscheidung im Alleingang über die eigene Befangenheit – statt den Antrag einem Kollegen vorzulegen, etc.)
In einer anschließenden Stellungnahme beantragte die Verteidigung die Einstellung des Verfahrens – ein übliches Vorgehen bei Bagatelldelikten und unklarer Sachlage (ein vorriges Beispiel: Castorprozess gegen Kasten in Greifswald).
Eichhörnchen wies auf die widersprüchlichen Aussagen der Justizwachmeistern und auf die unrichtigen Angaben des einzigen belastenden Zeugen hin, der eine Ingewahrsamnahme von Christian auf dem Polizeirevier im Anschluss an dem Wegtragen phantasiert hatte und deswegen unglaubwürdig wurde.
Die Zeugin Lindner habe zudem keine Klarheit über die rechtliche Grundlage der von ihr angeordneten Maßnahme schaffen können, da sie behauptet habe, sich nicht mehr erinnern können. Aus dem Protokoll der damaligen Sitzung ist ebenfalls keine Begründung für den Rauswurf von Christian zu entnehmen, angehört wurde er auch nicht.
Diese Umstände begründen erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Anordnung, Christian aus dem Saal zu verweisen. Widerstand ist aber nur dann strafbar, wenn die Amtshandlung rechtmäßig war.
Die Staatsanwaltschaft stimmte der Einstellung zu. Nach zwei Stunden Verhandlung wurde die Akte der absurden Gerichtsposse geschlossen.
BerufsdemonstrantInnen
Nach der Auffassung von Stefan Mapp
us (ehem. Ministerpräsident BaWü) bin ich Berufsdemonstrant, erklärte Christian sinngemäß bei der Frage nach Ausbildung und Beruf in der Hauptverhandlung. Um dieser Berufsbezeichnung gerecht zu sein beteiligten sich beide AktivistInnen nach dem Prozess an Solidaritätsaktionen gegen die Räumung eines als Kulturzentrum eingerichteten besetzten Hauses in der Frommestrasse.
Am Nachmittag hingen zwei Eichhörnchen an einer Fassade über der Abrissbaustelle von Lüneburger Immobilieninvestor Sallier. die Stadt gehört allen! Und weil viele AktivistInnen, sich den Machenschaften des Investors und die Macht von Profit über Menschen wiedersetzten, wird die Staatsanwaltschaft die nächsten Verfahren gegen unbequeme DemonstrantInnen einleiten… Die nächste Gerichtsposse kommt bestimmt.
Aktenzeichen vom Widerstandsprozess: NZS 13 Cs 1108 Js 5823/11 (65/11), Amtsgericht Lüneburg