Überwachung mit « geringfügiger Eingriffsintensität? »

Kontrolle einer „bekannten französischen Umweltaktivistin“ in einem ICE: Akteninhalt laut Polizeibehörden Verschlusssache
Anhörungsrüge und Verfassungsbeschwerde eingereicht

Auszüge aus Stellungnahmen der Bundespolizei: Es wurde gezielt nach einer bekannten französischen Aktivistin im ICE gesucht und das Protokoll dazu ist geheime Verschlusssache
Geheimes Überwachungsprotokoll zur Kontrolle einer "bekannten französischen Aktivistin"
  • Kontrolle einer „bekannten französischen Umweltaktivistin“ in einem ICE: Akteninhalt laut Polizeibehörden Verschlusssache
  • Anhörungsrüge und Verfassungsbeschwerde eingereicht

Rückblick

Polizeikontrolle im ICE
ungebetener gezielter Polizeibesuch im ICE, 3.12.2020

Im Dezember 2020 berichtete ich über einen ungebetenen Besuch der Bundespolizei in einem ICE am Hauptbahnhof Frankfurt am Main. Es war eine gezielte Kontrolle. Die Beamten erklärten, Amtshilfe für die Polizei Mittelhessen zu leisten. Diese hege den Verdacht, ich wolle mich kletternd dem Protest gegen die Autobahn im Dannenröder Wald anschließen, meine Sachen müssen deshalb durchsucht werden. Es traf offensichtlich nicht zu. Mein Zug war bereits an Kassel und Marburg gen Süden vorbei gefahren und ich hatte Hin- und Rückfahrkarten für ein anderes Ziel, meine Fahrt war bis Darmstadt beim Mobilitätsservice der Bahn für die Ausstiegshilfe mit meinem Rollstuhl angemeldet, ich reiste privat ohne Demonstrations-Zusammenhang. Meine Einwände halfen nichts. Mein Gepäck wurde durcheinander gewühlt und Gegenstände ohne Angabe eines Vorwurfes beschlagnahmt. Die Maßnahme dauerte 45min an, die Weiterfahrt des Zuges verzögerte sich um 30 Minuten „aufgrund eines Polizeieinsatzes“. Ja, so eine absurde Geschichte, kann sich hinter einer solchen Durchsage der Bahn verstecken.

Am Tag danach schilderte ich, sichtlich noch unter Schock, meine Erlebnisse in einem Video und reichte mit Unterstützung von RA Spörkel Klage gegen die polizeilichen Maßnahmen vor dem Verwaltungsgericht.

Schleierhafte Erkenntnisse und Gefahrenprognose

Ein Jahr später bin ich leider nicht sehr weit voran gekommen, die Polizei mauert zu und die Gerichte bescheinigen der Polizei, richtig gehandelt zu haben – ohne dass die Polizei jemals dazu aufgefordert wurde, Akten zu liefern. Man gab sich damit zufrieden, dass die Beklagte behauptete, es gebe keine Akte, nur ein bei der Kontrolle angelegter Vorgang mit Dokumentation der Maßnahmen. Gegenüber vom Gericht wurden die Maßnahmen gegen mich mit meinem allgemeinen politischen Engagement begründet (Auszüge aus einem Wikipedia-Eintrag und Twitter). Die Polizei behauptet, Erkenntnisse darüber gehabt zu haben, dass ich in den Dannenröderforst wollte. Welche Erkenntnisse es waren und in welcher Form ich die Proteste hätte unterstützen wollen, wurde nicht mitgeteilt.

Für den Tag der polizeilichen Maßnahmen am 03.12.2020 ergaben sich Erkenntnisse, dass sich die Klägerin in dem Zug ,,ICE 1671″ in Richtung Hessen aufhält und sich in den Dannenröder Forst begeben werde, um dortige Proteste zu unterstützen. Die Klägerin wurde daher am 03.12.2020 gegen 17. 15 Uhr am Frankfurter Hauptbahnhof polizeilichen Maßnahmen durch Polizeivollzugsbeamte der Bundespolizei unterzogen.

Schreiben des PP Mittelhessen vom 18.02.2021

Meine journalistische Tätigkeit wurde zudem in der Klageerwiderung durch das PP Mittelhessen herangezogen:

Bei einer weiteren Aktion am 20.11.2020 nahm die Klägerin an einer Baumbesetzung von Bäumen vor dem Parteigebäude der Partei die Grünen in Wiesbaden teil und berichtete darüber in ihrem Blog. Dort wurden Bäume in mehreren Metern überseilt. Diese Maßnahme konnte nur durch eine Höheninterventionskomponente der hessischen Polizei beendet werden.

Schreiben des PP Mittelhessen vom 18.02.2021
Aktion von robin wood vor dem Parteigebäude der grünen. Polizei beobachter die Räumung des SEK, mit einem Hubwagen, auf dem Banner steht "Grüne , packt die Kettensäge ein"
Aktion von Robin Wood bei den Grünen am 20.11.2020

Dabei blieb seitens der Polizei unerwähnt, dass ich mich mit meinem Presseausweis auswies, dass ich die Aktion mit meiner Kamera begleitete und herunter kletterte, bevor das SEK die Aktion räumte, um sodann die Räumung von unten zu filmen. (zum Video) Berichtet habe ich dann auch in der GWR, dort sind auch meine Bilder zu finden. Die Erwähnung hätte nicht zur Darlegung wie gefährlich ich bin, nicht ins Bilde gepasst und wurde deshalb weg gelassen?

Ich stehe zu den Protesten gegen Atobahnbauten und für eine ökologische soziale inklusive Mobilitätswende. Keine Frage. Doch im Dannenröder Wald war ich damals nicht. Auch nicht zu Dokumentationszwecken. Es wäre für mich mit Rollstuhl schwierig gewesen hin zu kommen. Außerdem gab es damals noch keine Corona-Impfung und aufgrund meiner Vorerkrankung habe ich größere Menschenansammlungen gemieden. Ich habe deshalb Proteste am Rande begleitet (Baumbesetzung vor der Geschäftstelle der Grünen) oder eben recherchiert und Artikel geschrieben.

Eingriffsmaßnahme geringer Intensität

Das Verwaltungsgericht sprach mir ein Feststellungsinteresse ab, es sei eine ordinäre Personenkontrolle gewesen. Das VG Gießen ist für seine Protest-feindlichen Beschlüssen im Zusammenhang mit dem Protest gegen die Autobahn und für den Dannenröder Wald bekannt. Einer der am Beschluss mitwirkenden Richter wurde außerdem durch das Bundesverfassungsgericht in einem Asylverfahren für Befangen erklärt.

Im vorliegenden Fall ist eine derart erhebliche Verletzung von Grundrechten der Klägerin schon nicht ersichtlich.

Eine Identitätsfeststellung sowie eine Durchsuchung einer Person und von ihr mitgeführter Gegenstände stellen keine schwerwiegenden Grundrechtseingriffe dar. Allenfallsbetroffen könnten hier das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG oder die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG sein. Bei einer zwangsweisen Durchsetzung kann zusätzlich Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG betroffen sein. Die von der Klägerin geschilderten kurzfristigen Maßnahmen zur Feststellung ihrer Identität stellen jedenfalls keine schwerwiegenden Beeinträchtigungen dieser Grundrechte dar. Eine solche folgt insbesondere auch nicht aus einer etwaigen Verunsicherung der Klägerin, zukünftig unbesorgt Bahn fahren zu können.

Beschluss VG Gießen Az n: 4 K 1898/21.GI vom 21.06.2021

Der Hessische VGH erkannte im PKH-Beschwerdeverfahren ein Feststellungsinteresse, er bescheinigte aber der Polizei, richtig gehandelt zu haben, mein Vortrag fand so gut wie keine Berücksichtigung. Es wurde sich festgelegt, obwohl die Hauptsachklage noch gar nicht verhandelt wurde und eine Beweisaufnahme nicht in das vorgelagerte Prozesskostenhilfeverfahren (PKH Verfahren) hineingehört.

Schließlich war die Identitätsfeststellung zur Gefahrenabwehr auch geeignet. Sie war zudem erforderlich, da keine gleich geeignete, mildere Maßnahme existiert hat, um das Ziel der Identitätsfeststellung zu erreichen. Im Übrigen war die Maßnahme angesichts der damit verbundenen geringfügigen Eingriffsintensität in die Grundrechte der Klägerin auch angemessen.

Hessischer VGH, Beschluss vom 2.11.2021 Az. 8 D 1302/21

„geringfügige Eingriffintensität“… dies habe ich anders erlebt. Die Fahrgäste des durch die Maßnahmen dann verspäteten ICE sicherlich auch.

Anhörungsrüge und verfassungsbeschwerde

Das lasse ich natürlich nicht so stehen. Nachdem sowohl das Verwaltungsgericht Gießen und der Verwaltungsgerichtshof die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt haben, habe ich dagegen Verfassungsbeschwerde eingelegt (Az: Ar 9424/21). Ich habe die Klage selbst geschrieben, ich sehe da gute Chancen die Beschwerde zu gewinnen, das wäre ja auch nicht das erste mal, ein wenig Erfahrung habe ich damit. Ich habe zugleich eine Anhörungsrüge beim VGH eingereicht (genauer gesagt, der Anwalt hat diese geschrieben), weil diese Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde ist, wenn man die Verletzung des rechtlichen Gehörs rügt.

Seit Einreichung dieser Rüge passieren prozessual gesehen seltsame Dinge. Die Rüge ist noch nicht beschieden. Das Gericht führt im Rahmen dieser eine Form von Beweisaufnahme durch und erhebt Unterlagen von der Polizei Mittelhessen (Beklagte) und der Bundespolizei (Beigeladene) nach §99 Abs. 1 VwGO (Geheimhaltung), das dürfte im Prozesskostenhilfeverfahren unzulässig sein.

« Ankunft einer bekannten französischen Aktivistin »

Die Bundespolizei war jetzt, über ein Jahr nach Einreichen der Klage, so gnädig, Auszüge aus ihrer schriftlichen Kommunikation mit dem PP Mittelhessen im Zusammenhang mit meiner Klage (also nicht die Akte, die Grundlage für die Kontrolle war, sondern was danach gesammelt wurde) zur Verfügung zu stellen, nachdem der VGH im Rahmen der Anhörungsrüge danach fragte. Darin, die Bestätigung, dass die Kontrolle sich gezielt gegen mich richtete und die Polizeibehörden Kenntnis davon hatten, in welchem Zug ich reiste.

[…] erfolgte am 03.12.2020 um 17:07 Uhr ein Ersuchen aus dem Lagezentrum des PP Frankfurt. Danach wurde die Ankunft des ICE 1671 auf Gleis 13 sowie die Ankunft einer bekannten französischen Aktivistin gemeldet. Die Person sollte einer offensichtlichen Kontrolle durch Kräfte der Bundespolizei unterzogen werden. Bei einer Sichtbarkeit von Kletterausrüstung, sollte diese sichergestellt werden.

Schreiben der Bundespolizeiinspektion FFm an das PP Mittelhessen vom 14.1.2021

Woher dieses Erkenntnis stammte will die Polizei bis heute nicht mitteilen. Die „ELS-Einsatzchronologie“ (ELS = Einsatzleitsystem) der Bundespolizei ist Verschlusssache.

Die ELS-Einsatzchronologie wurde gem. §2 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 4 der Verwaltungsvorschrift zum materiellen Geheimschutz (Verschlusssachenanweisung -VSA) als Verschlusssache « VS-Nur für den Dienstgebrauch (VS-NfD) » eingestuft und kenntlich gemacht, da der dokumentierte Einsatzverlauf mit Maßnahmen Rückschlüsse auf die Funktions- und Arbeitsweise der Polizei ermöglicht und somit, bei Kenntnisnahme durch Unbefugte, zu nachteiligen Auswirkungen auf Belange der inneren Sicherheit des Staates führen kann.

Schreiben der Bundespolizeiinspektion Koblenz vom 11.02.2022

Wurde ich – in welcher Form auch immer – durch die Polizei observiert? Wie lange? Wie oft? Durch welche Polizeibehörde(n)?

Und all das damit begründet, dass ich „bekannte französische Umweltaktivistin“ bin und Klettern kann (und mit meiner Arbeit als freie Journalistin). Mit so einer Begründung kann jede Fahrt, jede Bewegung überwacht werden! Das ist ein schwerer Eingriff in Grundrechte, in das Grundrecht auf informelle Selbstbestimmung.

Ich gehe weiter gegen Überwachungsstaat und Willkür vor. Mein Anwalt Nils Spörkel hat bezüglich des Einsatzprotokolls einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 99 Abs. 2 VwGO gestellt (in Camera Verfahren), die Anhörungsrüge und die Verfassungsbeschwerde laufen weiter.

Weitere Überwachungsmaßnahmen, weitere Klagen gegen die Bundespolizei

Ich habe inzwischen 4 Klagen gegen die Bundespolizei wegen präventiven Maßnahmen dieser Art am laufen. Die Polizei begründet diese jedes Mal damit, dass ich engagierte Atomkraftgegnerin, Klimaschützerin und Klettern kann (obwohl Behindert, das gehört sich ja gar nicht!). Das ist in meinen Augen, politisch motivierte Verfolgung.

Im Einzelnen geht es um:

1) Klage gegen meine Ausschreibung zur präventiven polizeilichen Fahndung vor dem VG Hannover
Eine ein paar Monate alte Zusammenfassung dazu: https://blog.eichhoernchen.fr/post/uberwachungsstaat-lasst-grusen-praventiv-polizeiliche-fahndungsausschreibung/

2) Längerfristige präventive Observation beim Castor 2020 im Oktober – November 2020 . Klage vor dem Verwaltungsgericht Hannover. Inzwischen weiß ich, dass die Observation am 27.10.2020 um 13:12 Uhr (sic!) begann, dass man die Observation angeblich bei Demonstrationen ausgesetzt hat (wie das praktisch geht , weiß ich nicht) und es steltl sich die Frage ob hier meine journalistische Tätigkeit nicht überwacht wurde, da ich am 27.10 in die Sitzung des Rates der Hansestadt Lüneburg als Journalistin verfolgte und die Bundespolizei nicht erwähnt, dass sie die Observation hierfür unterbrochen hätte.

In Hinblick auf die Dauer der Observation ist festzustellen, dass die Klägerin zur Umsetzung der hier in Rede stehenden polizeirechtlichen Observationsanordnung erstmalig am 27.10.2020 um 13.12 Uhr durch Einsatzkräfte der Bundespolizei aufgenommen und in der Folge bis zur Beendigung der Maßnahme am 04.11.2020 um 08.30 Uhr nahezu durchgehend observiert wurde. Die Observation der Klägerin wurde allerdings für die Dauer ihrer Teilnahme an grundrechtlich besonders geschützten Versammlungen unterbrochen. Die planmäßige Beobachtung der Klägerin wurde daher insbesondere während ihrer Teilnahme an einer versammlungsrechtlichen Kundgebung in Lüneburg am 27.10.2020 sowie während ihrer Anwesenheit bei einer von den Teilnehmern als Spontanversammlung bezeichneten Kletteraktion am Hauptbahnhof Bremen am 01.11.2020 ausgesetzt.

Schreiben der Bundespolizeidirektion Hannover vom 02.02.2022:

3) Auskunftsklage vor dem Verwaltungsgericht Potsdam, denn die Bundespolizei verweigerte mir zum Teil die Auskunft beim jüngsten Auskunftsersuchen

4) Die Klage vor dem VG Gießen, VGH und BVerfG gegen die ICE Kontrolle vom Dezember 2020 (also Gegenstand von diesem Artikel)